Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Krise und kleine Inseln

Stillstand oder Rezession in den USA, Chaos in der Euro-Zone und ein Problem namens Zypern. Die Inselrepublik ist mit Karacho in die Krise gebrettert – und hofft auf »Hilfe«

Von Rainer Rupp *

Die Krise war nie weg, das zeigen die zurückliegenden Tage. Einen derart steilen Absturz der Börsenindizes hatten die professionellen Gesundbeter des Finanzkapitals dennoch nicht erwartet. Ausgelöst hatte das weltweite Zittern der »Anleger« die Revision der Daten für das Wirtschaftswachstum in den USA. Von dem ursprünglich gemeldeten stattlichen Aufschwung in den beiden ersten Quartalen sind im Schnitt nur schlappe 0,9 Prozent Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) geblieben. Und Aussicht auf Besserung besteht nicht.

In der weltgrößten Volkswirtschaft stagnieren Einkommensentwicklung und Konsum seit Monaten. Der Eiterherd Immobilienkrise vergiftet weiterhin den US-Wirtschaftskreislauf; die Hunderte Milliarden Dollar schweren Konjunkturhilfen sind ausgelaufen. Jetzt ist die Gefahr groß, daß sich der Trend nach unten fortsetzt. Im günstigsten Fall besteht Aussicht auf Stagflation, also einer Mischung aus wirtschaftlichem Stillstand und konstanter Teuerung. Zugleich basieren die Pläne der Ausgaben und Einnahmen der US-Bundesregierung auf der äußerst optimistischen Annahme, daß die Wirtschaft im Jahresdurchschnitt um über drei Prozent wächst – inflationsbereinigt. Damit sind auch die letzten Hoffungen einer Sanierung des maroden Haushalts der Obama-Administration dahin.

Keine Zukunft

Obwohl in den zurückliegenden beiden Tagen wegen der Börsenpanik eine Art kleiner »Flucht« in US-Staatsanleihen gemeldet wurde, gibt es strukturell immer weniger Käufer für die »T-Bonds« (Treasury Bonds, also Schatzbriefe). Deshalb ist zu erwarten, daß die US-Notenbank (Fed) in einer dritten Auflage von »Quantitative Easing« (euphemistisch für quantitative Erleichterung; QE3) in Zukunft einen noch größeren Teil der US-Staatsausgaben mit der Notenpresse finanzieren muß. Mit den bekannten verheerenden Folgen für die Weltwirtschaft. In den zurückliegenden Jahren hat jede neue Welle der globalen Dollarschwemme (QE1 und QE2) weltweit wie ein gigantischer Heuschreckenbefall auf die Ökono­mien gewirkt. Dank des billigen Geldes wurde die Spekulation mit Rohstoffen und Lebensmitteln befeuert und starke inflationäre Entwicklungen auf den regionalen Märkten ausgelöst. Die düsteren Aussichten führten jetzt zu den panikartigen Aktienverkäufen. Das Szenario wurde durch weitere Anzeichen einer Verschärfung der Staatsschuldenkrisen in der Euro-Zone noch verschlimmert. Dafür hatte vor allem EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der, ohne nähere Gründe zu nennen, die Euro-Staats- und Regierungschefs aufforderte, den Rettungsschirm erneut auf den Prüfstand zu stellen.

EZB kauft wieder

Der deutlichste Indikator, wie schlecht es zwei Wochen nach der erneuten »Rettung« der Euro-Zone und ihrer Banken beim Gipfel in Brüssel den Geldhäusern schon wieder geht, ist die Tatsache, daß die Europäische Zentralbank (EZB) erstmals seit vier Monaten erneut Staatsanleihen der Krisenländer kauft. Zudem hat sie am Donnerstag angekündigt, die Märkte (über die Banken) weiter mit frischem Geld aufzublasen. Dabei hatte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet noch vor wenigen Wochen hoch und heilig versichert, in Zukunft derartige – im Grunde verbotene – Aktionen zu lassen. Nun aber, so Trichet am Donnerstag, habe sich der EZB-Rat »mit überwältigender Mehrheit« erneut für eine Geldschwemme und den Aufkauf der Krisen-Bonds ausgesprochen, weil die Unsicherheit für die Konjunktur »ungewöhnlich hoch« sei. Da dies die Inflation in Euro-Land weiter anheizen wird, hat Trichet zugleich eine erneute Erhöhung des Leitzinses in Aussicht gestellt. Offensichtlich ist auch der EZB-Chef mit seinem Latein am Ende, denn höhere Zinsen würden die Krise verschärfen, insbesondere in den am meisten bedrängten Ländern der Euro-Zone: Griechenland, Portugal, Irland, Spanien, Italien und jetzt auch die kleine Finanzhochburg Zypern.

Dort regierte an der Kapitalfront bis vor kurzem eine Art Mix aus griechischer Lockerheit und irischer Bankenkultur: Aufgrund ihrer lockeren Regulierungen hatte die Mittelmeerinsel, von der der Sage nach ein Stier die Zeus-Geliebte »Europa« in den Westen brachte, besonders viel Geld aus dunklen Quellen angezogen, insbesondere aus Rußland. Wie in Irland wurde innerhalb kurzer Zeit die Bruderschaft der international organisierten Bankster (aus Banker und Gangster gebildetes Schimpfwort) zum bestimmenden Faktor in der Wirtschaft des Landes. Das Urlaubsparadies wurde zum Zockerparadies. Die jetzt drohende Staatspleite der kleinen Inselrepublik – 1,12 Millionen Einwohner, ein BIP von 18,1 Milliarden Euro, mit einem Anteil der Staatsschuld am BIP von 62 Prozent und einem Haushaltsdefizit 2011 von über 5,1 Prozent – wurde erst jüngst im wahrsten Sinne des Wortes explosionsartig ins Rampenlicht gerückt. Mitte August waren 98 Seecontainer mit 2000 Tonnen Schießpulver auf einer Marinebasis in die Luft geflogen. Die Behälter stammten aus einer illegalen Lieferung, die in einem nahen Hafen beschlagnahmt worden war. Aber statt die hochgefährliche Fracht sicher und kühl zu lagern, wurden die Kisten auf der Wiese unter sengender Sonne abgestellt. Peng.

In dem Krater der gewaltigen Explosion verschwand auch das naheliegende Kraftwerk. Das jedoch produzierte 50 Prozent der Elektrizität der Inselrepublik, und ohne Strom funktionieren weder Industrie noch Tourismus. Die Wirtschaft ging auf Talfahrt, die Ratingagenturen stuften die Bonität des Landes herab. Das ohnehin hohe Haushaltsdefizit droht angesichts der ausbleibenden Einnahmen ebenfalls zu explodieren. Zugleich sorgt eine Regierungskrise für weitere Unsicherheit. In dieser Situation hat der Staat bisher vergebens die für den Wiederaufbau des Kraftwerks notwendigen Gelder in Höhe von Hunderten Millionen Euro gesucht.

Bekannt geworden ist nun auch, daß die zypriotischen Banken Staatsanleihen überwiegend von Krisenländern aus der Euro-Zone in Höhe von 600 Prozent des BIP in ihren Büchern haben. 180 Prozent des BIP (32 Milliarden Euro) sind allein in griechischen Schuldentiteln angelegt, von denen bereits 21 Prozent (86,8 Milliarden Euro) abgeschrieben werden müssen. Nun droht den Inselbanken – wie einst in Irland – die Pleite, wenn der Staat nicht eingreift. Der jedoch steht vor dem Bankrott. Also richten sich wieder alle Augen auf Brüssel und Berlin: in der Hoffung auf einen neuen Rettungsschirm.

* Aus: junge Welt, 6. August 2011


Zurück zur Zypern-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zur Griechenland-Seite

Zurück zur Homepage