Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Eskalation im Mittelmeer - Türkei und Zypern streiten um Erdgasvorkommen

Ein Beitrag von Dirk Eckert in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"

Andreas Flocken (Moderator der Sendung):
Das NATO-Mitglied Türkei lässt immer öfter die Muskeln spielen. Im östlichen Mittelmeer geht Ankara inzwischen nicht nur auf Konfrontationskurs zu Israel. Die Türkei droht mittlerweile auch Zypern. Dahinter stecken nicht nur Nationalstolz und ein neues Selbstbewusstsein, sondern auch handfeste Wirtschaftsinteressen. Dirk Eckert berichtet:


Manuskript Dirk Eckert

Zypern ist ein geteiltes Land, seit die Türkei den türkischen Nordteil der Insel 1974 besetzt hat. Doch nun wird der Konflikt zwischen der griechisch dominierten Republik Zypern und dem türkischen Nordteil zusätzlich angeheizt: Im östlichen Mittelmeer werden große Vorkommen an Erdöl und vor allem Erdgas vermutet. Weil die Republik Zypern nach Bodenschätzen im östlichen Mittelmeer sucht, eskaliert der Streit zwischen der Republik Zypern und der Türkei.

Die Frage ist: Wem gehören die Bodenschätze im Mittelmeer? Wie groß die Vorkommen vor Zypern sind, weiß niemand. Allein im sogenannten Block 12, einem rund 32.000 Quadratkilometer großen Gebiet südlich von Zypern, wer-den aber bis zu 280 Milliarden Kubikmeter Gas vermutet. Dort sucht seit Okto-ber die texanische Firma Noble Energy nach Erdgas.

Sehr zur Verärgerung der Türkei. Die Regierung in Ankara hat gedroht, Kriegsschiffe zu schicken, wenn die Erkundungsarbeiten nicht unverzüglich eingestellt würden. Die Türkei hatte schon einmal Marineschiffe in Marsch gesetzt. 2009 vertrieb die türkische Kriegsmarine vor Zypern norwegische Schiffe, die nach Bodenschätzen suchten. Der aktuelle Streit eskaliert zunehmend. Auf Zypern wurde die Nationalgarde mobilisiert. Israel soll zur Unterstützung Zyperns demonstrativ Kampfjets in die Region geschickt haben, was die Türkei allerdings dementierte. Russland wiederum hat Berichten zufolge atomgetriebene U-Boote in Marsch gesetzt, um Zypern zu unterstützen. Der zyprische Präsident Demetris Christofias machte den Konflikt im September vor die Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Thema:

O-Ton Christofias (overvoice)
„Unglücklicherweise begegnet die Türkei den Bemühungen der Republik Zy-pern, sein souveränes Recht auszuüben, seine maritimen Reichtümer auszu-beuten, mit Drohungen. Türkische Seemanöver genau in der Ausschließlichen Wirtschaftszone von Zypern, in der die Erkundungen durchgeführt werden, sind eine Provokation und eine reale Gefahr für weitere Verwicklungen in der Region.“

Die Türkei dagegen argumentiert, auch der Nordteil der Insel müsse an der Ausbeutung der Rohstoffe teilhaben. Deshalb dürften vor einer Wiedervereinigung des griechischen Südens und des türkischen Nordens keine Rohstoffvorkommen erschlossen werden. So entgegnete der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in der UN-Generalversammlung:

O-Ton Erdogan (overvoice)
„Wir können es nicht akzeptieren, wenn die griechisch-zypriotische Seite so tut, als sei sie der einzige legitime Vertreter der Insel oder als habe sie das Recht, eine Entscheidung für die türkischen Zyprioten mit zu treffen. Deswegen sind die Versuche der griechischen Zyprioten, einseitig Seegrenzen festzulegen und dann dort Öl und Erdgas zu fördern, extrem unverantwortlich, sowohl was den Zeitpunkt angeht als auch die möglichen Ergebnisse.“

International ist die Türkei mit dieser Argumentation jedoch isoliert. Die Republik Zypern ist ein von der Staatengemeinschaft und der UNO anerkannter Staat. Die türkische Republik Nordzypern in dem von der Türkei 1974 besetzten Nordteil wird dagegen nur von der Türkei anerkannt. Die Republik Zypern hat sich zudem mit den Anrainern mit Ausnahme Ankaras über die Ausbeutung der Rohstoffe verständigt.

Zuletzt schlossen Zypern und Israel im vergangenen Jahr ein Abkommen über die Ausbeutung der Rohstoffe. Beide Seiten einigten sich auf eine Seegrenze exakt auf halbem Wege zwischen beiden Ländern. Israel selbst hat in der Region 2009 zwei große Erdgasfelder entdeckt, die genau an den Block 12 grenzen, in dem nun Noble Energy bohrt. Mit dem Gas will Israel seine Versorgung für die nächsten Jahrzehnte sichern.

Tatsächlich dürfte es Ankara wohl eher beunruhigen, dass zwei vergleichsweise kleine Länder das östliche Mittelmeer unter sich aufteilen, ohne die Türkei gefragt zu haben. Mit neuen Energiequellen könnte sich Zypern zum Umschlagplatz für Erdgas entwickeln. Eine Anlage zur Erdgasverflüssigung ist bereits in Planung. Dadurch würde die Position der Türkei geschwächt, die sich ebenfalls als ein Handelszentrum für Gas und Öl aus dem Nahen Osten nach Europa sieht.

Der Streit belastet auch das Verhältnis der Türkei zur Europäischen Union. Am 1. Juli kommenden Jahres übernimmt Zypern die EU-Ratspräsidentschaft. Ankara hat angekündigt, während dieser Zeit die Beziehungen zur EU einzufrieren. Offiziell hält die Türkei zwar noch am Ziel eines EU-Beitritts fest. Doch das Land steht schon sehr lange auf der Warteliste. Und so verwundert es kaum, dass Ankara sich nach Südosten orientiert, also in die alten Gebiete des Osmanischen Reiches. Der Nahe Osten wurde damals vom heutigen Istanbul beherrscht. Von einer „neo-osmanischen“ Außenpolitik Ankaras ist mittlerweile bereits die Rede.

Seit dem arabischen Frühling und den Volksaufständen im Nahen Osten und Nordafrika pflegt Premier Erdogan eine ausgeprägte Reisediplomatie. In Libyen wäre er fast der erste hohe Staatsgast gewesen, der der neuen Regierung nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi seine Aufwartung gemacht hätte. Allerdings kamen ihm Frankreichs Präsident Nikolas Sarkozy und Großbritanniens Premier David Cameron zuvor. Und bei einem Besuch in Ägypten empfahl er dem Land, nach dem Sturz von Langzeit-Präsident Hosni Mubarak nun das türkische Modell der Trennung von Staat und Religion zu übernehmen.

Gleichzeitig ist die türkische Regierung Schritt für Schritt auf Konfrontationskurs zu Israel gegangen. Ankara hat sogar den israelischen Botschafter des Landes verwiesen, weil die Regierung in Jerusalem sich nicht für den Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte im vergangenen Jahr entschuldigen will. Bei der Militäraktion waren neun türkische Aktivisten von israelischen Soldaten getötet worden. Den Angriff benutzt die türkische Regierung nun, um die „Freiheit der Schifffahrt“ zu proklamieren und sich zu deren Garantiemacht im östlichen Mittelmeer aufzuschwingen.

Zyperns eigenmächtiges Vorgehen bei der Erschließung der Erdgasvorkom-men stört Ankara da natürlich. Die Türkei hat inzwischen mit Nordzypern ein eigenes Abkommen geschlossen und auch schon ein Erkundungsschiff losgeschickt. Dieses Vorgehen wiederum hat Zyperns Präsident Christofias vor der UN-Generalversammlung als rechtswidrig bezeichnet:

O-Ton Christofias (overvoice)
„Gleichzeitig setzt die Türkei ihre illegalen Handlungen fort, indem sie einen sogenannten Vertrag mit dem illegalen Regime im besetzten Gebiet der Re-publik Zypern abschließt, Erkundungen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone von Zypern durchzuführen. Ich verurteile von dieser Stelle aus diesen illegalen Akt, der eine Provokation darstellt."

Doch auch wenn die Türkei sich verstärkt den Ländern zuwendet, die einst zum Osmanischen Reich gehörten: Sie ist Mitglied der NATO und hat erst im September der Stationierung von Radaranlagen für die geplante NATO-Raketenabwehr zugestimmt, was besonders den USA sehr wichtig war. Von daher verwundert es nicht, wenn NATO-Generalsekretär Anders Fogh Ras-mussen Ende September bei einem Vortrag in Brüssel den Konflikt um Zypern herunterspielte:

O-Ton Rasmussen (overvoice)
„Ich befürchte keinen bewaffneten Konflikt im östlichen Mittelmeer. Ich fordere alle Seiten auf, friedliche Lösungen für Streitfragen durch konstruktive Gespräche zu finden."

Auch die EU-Kommission rief alle Seiten zur Zurückhaltung auf. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu gab einst die Devise aus, dass die Türkei „null Probleme mit Nachbarn“ anstrebe. Davon ist Ankara zurzeit weit entfernt.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 5. November 2011; www.ndr.de/info


Zurück zur Zypern-Seite

Zur Türkei-Seite

Zurück zur Homepage