Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zypern sucht den dritten Weg

Nicosia will nur ein bisschen unter den EU-Rettungsschirm / Neue Kredite aus Russland?

Von Christiane Sternberg, Nikosia *

Eine Woche vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft will die Republik Zypern vor den strengen Auflagen des EU-Rettungsschirms einen Haken schlagen.

In der Levante ist das Feilschen ein kulturelles Erbe. Wem es gelingt, den Preis zu drücken, der hat ein gutes Geschäft gemacht. In diesem Sinne wollen die Zyprer aus ihrer finanziellen Notsituation noch das Beste rausholen. Bis zum 30. Juni braucht die Marfin Volksbank 1,8 Milliarden Euro, um Verluste aus der Abschreibung griechischer Staatsanleihen auszugleichen. Auch andere Banken der Republik Zypern benötigen eine Finanzspritze, und die Regierung selbst ringt mit der EU-Auflage, das Haushaltsdefizit bis Ende 2012 unter drei Prozent zu drücken. Der gesamte Kreditbedarf liegt derzeit bei etwa sieben Milliarden Euro. Das entspricht fast einem Drittel der zyprischen Wirtschaftsleistung. Die EU hat angeboten, die Inselrepublik mit einem Zehn- Milliarden-Euro-Paket unter den Rettungsschirm zu nehmen.

Aber die dargebotene Hilfe macht Staatspräsident Dimitris Christofias nervös. Denn sie ist mit strengen Sparauflagen verbunden. Eine Reduzierung des aufgeblähten öffentlichen Dienstes wäre unvermeidlich. Doch der Politiker aus den Reihen der reformkommunistischen AKEL-Partei will den Werktätigen nicht ans Portemonnaie: »So lange ich Präsident bin, müssen die Beamten nicht um ihren Bonus oder ihre Pensionen fürchten.« Stattdessen sind höhere Steuern auf Tabak, Alkohol und Immobilien im Gespräch. Das konservative Lager hingegen befürchtet, dass es der attraktiven Körperschaftsteuer von zehn Prozent an den Kragen geht, wenn die EU sich in Zyperns Angelegenheiten einmischt. Das kleine Land lebt vom Tourismus und den ausländischen Firmen, die als zyprische Gesellschaften registriert sind.

Es muss also Geld her ohne schmerzende Einschnitte. Daher erwägt die Regierung Christofias, die EU nur um die Bankensanierung anzugehen und über die verbleibenden fünf Milliarden Euro einen Kredit von Russland aufzunehmen. Bereits Ende 2011 hat Moskau der Republik Zypern 2,5 Milliarden Euro geliehen, zu einem niedrigen Zinssatz von 4,5 Prozent und ohne Sparauflagen.

Die Republik Zypern verdankte Russland schon in den 90er Jahren einen beispiellosen Kapitalfluss. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion transferierten laut Forbes-Magazin russische Kleptokraten monatlich bis zu eine Milliarde Dollar nach Zypern. Später wurden dank lukrativer Konditionen für Offshorefirmen Tausende russische Gesellschaften registriert. Seit die Republik Zypern 2004 der EU beitrat, ist das ursprüngliche Offshoregeschäft zwar gestorben, aber Zypern ist noch immer ein Anziehungspunkt für russische Geschäftsleute. Diese Business-Interessen führten sogar so weit, dass die zyprischen Behörden im Januar 2012 einem russischen Schiff mit 60 Tonnen Munition für Syrien die Erlaubnis zur Weiterfahrt erteilten.

Skeptiker fürchten nun, dass Zypern sich mit dem neuen Finanzierungsgeschäft von Russland abhängig mache. Das könne Auswirkungen haben auf die Vergabe von Lizenzen für die Ausbeutung der kürzlich entdeckten Gasfelder vor der zyprischen Küste. Auch andere Gegenleistungen wären denkbar. Das US-Analyseinstitut Stratfor sieht Russlands geostrategisches Anliegen in einer neuen Marinebasis in Zypern, da der militärische Stützpunkt der Schwarzmeerflotte in Tartus durch die Unruhen in Syrien bedroht ist.

In jedem Fall übernimmt die Republik Zypern am 1. Juli 2012 die EU-Ratspräsidentschaft mit einem weiteren ungelösten Problem. Zur anhaltenden Teilung der Insel kommt nun auch noch die latente Gefahr einer Staatspleite. Statt mit einem straffen Sparprogramm langfristig Defizite abzubauen, erhöht die Regierung Christofias den Schuldenberg noch. Er selbst muss das nicht mehr ausbaden. Bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Februar 2013 wird er nicht als Kandidat antreten.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 23. Juni 2012


Zurück zur Zypern-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zurück zur Homepage