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Rettungsfonds und Ratspräsidentschaft

Zypern übernimmt EU-Vorsitz in angeschlagenem Zustand / Türkei erklärt Sendepause gegenüber Union

Von Kay Wagner, Brüssel *

Zypern übernimmt am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft, hat aber mehr denn je mit eigenen Problemen fertig zu werden.

Das hatten sich die Zyprer anders vorgestellt: Wenige Tage bevor der Inselstaat das erste Mal in seiner Geschichte für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen wird, ist er zum nächsten Sorgenkind der Eurozone geworden. Als fünftes Euroland hat Zypern um Finanzhilfen aus dem Brüsseler Rettungsfonds gebeten. Zu sehr leidet die eng mit Griechenland verbundene Republik unter dem Schuldenschnitt, der dem nördlichen Nachbarn gewährt wurde.

Doch bei der Veranstaltung der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung zur Vorschau auf die zyprische EU-Ratspräsidentschaft in Brüssel wurde darüber nicht gesprochen. »Ziele, Erwartungen und die Beziehungen zur Türkei« hieß der Untertitel, und darum ging es auch. Wobei die Diskussion zeigte, wie schwierig es geworden ist, die Bedeutung einer auf sechs Monate begrenzten EU-Ratspräsidentschaft einzuordnen. Denn durch den Vertrag von Lissabon ist diese Funktion geschwächt. Der ständige EU-Ratspräsident, derzeit Herman Van Rompuy, und die Hohe Vertreterin für Außenbeziehungen, Cathrine Ashton, nehmen ihr viel von ihrer Bedeutung.

Markus Ferber, EU-Abgeordneter der CSU, sieht die Rolle Zyperns vor allem in der Vermittlung bei den derzeitigen Finanzquerelen. »Wir haben endlich wieder eine EU-Ratspräsidentschaft, die der Eurozone angehört«, sagte er. Zypern könne sicher wichtige Impulse setzen beim Festschnüren der Systeme, durch die langfristig gesunde Wirtschaftlichkeit in die Haushalte der EU-Staaten käme. »Ein kleines Land kann manchmal mehr erreichen als ein großes, weil es oft weniger eigene Interessen vertreten muss«, begründete Ferber seine Zuversicht. Außerdem hofft er auf wichtige zyprische Anstöße bei den Verhandlungen zum EU-Finanzrahmen für die Jahre 2014 bis 2020. Das Problem: Die Mitgliedsländer wollen weniger Geld nach Brüssel überweisen als EU-Kommission und EU-Parlament für ihre Aufgaben fordern.

Der stellvertretende zyprische Europaminister Andreas Mavroyiannis zeigte sich überrascht über diese Aufgaben, die Ferber dem Inselstaat zuweisen will. Eigentlich habe man sich in Nikosia etwas anderes überlegt. Ein nachhaltiges und umweltfreundliches Europa, das seine Wirtschaftsleistung wieder steigert, gleichzeitig aber auch die Solidarität mit den Bürgern und für sie stärkt und näher an seine Nachbarn rückt - so fasste Mavroyiannis diese Ziele zusammen. »Präsidentschaften haben nach dem Lissabon-Vertrag vor allem die Vermittlerrolle zu spielen«, sagte er fast entschuldigend. Und verlor sich anschließend in der ausführlichen Schilderung weiterer wichtiger und weniger wichtiger Vorhaben, die sich die Zyprer vorgenommen haben. Unter anderem soll dem »Jahr des Wassers« Tribut gezollt werden.

Einig war man sich in der Kritik an der Türkei, die zwar der EU beitreten, aber wegen ihres Konflikts mit der Republik Zypern während deren Ratspräsidentschaft ihre Beziehungen zur EU einfrieren will. »So etwas geht nicht«, sage Ferber. Man könne nicht einem Verein beitreten wollen, aber eines seiner Mitglieder nicht akzeptieren. »Entweder man nimmt uns so, wie wir sind, oder man bleibt draußen.« Er hoffe, dass Zypern in dieser Sache auf die Solidarität der 26 anderen EU-Staaten werde zählen können.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 29. Juni 2012

Ratspräsidentschaft

Seit 1958 übernimmt ein EU-Mitgliedsstaat jeweils für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Dieser Rat ist die Einrichtung der EU-Mitglieder. Dort treffen sich die Vertreter der Mitgliedsstaaten und legen ihre Positionen fest, die im Zusammenspiel mit dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission in Politik umgesetzt werden. Im ersten Halbjahr 2012 übte Dänemark diese Funktion aus. Deutschland war zuletzt 2007 an der Reihe. kw




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