Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Verstörender Präzedenzfall"

Analytiker und Thinktanks zu Ursachen und Folgen des deutschen Diktats in der Zypern-Krise

Von Tomasz Konicz *

Der Gründer des privaten US-Nachrichtendienstes Stratfor, George Friedman, ging in einer am 26. März publizierten Hintergrundanalyse der Zypern-Krise einer zentralen Frage nach: Wie konnte es zu dem »verstörenden Präzedenzfall« kommen, den die Teilenteignung zypriotischer Bankeinlagen darstellt? Unter deutscher Führung habe die EU gegenüber Zypern eine »härtere Linie« eingeschlagen als etwa gegenüber Griechenland oder Irland. Die Teilenteignung werde laut Friedman bei ihrer Durchsetzung das »zentrale Prinzip« der Bankenbranche in den meisten Industrienationen, die Sicherheit der Bankeinlagen, unterhöhlen.

Um den fundamentalen Tabubruch zu illustrieren, erinnerte der Stratfor-Chef daran, daß die Garantierung der »totalen Sicherheit« von Geldern auf Bankkonten eine Lehre aus der Zeit der großen Weltwirtschaftskrise gewesen sei, als in den 1920er und 1930er Jahren Bankenstürme die Finanzsysteme erschütterten. Nun sei es in Europa ebenfalls nicht mehr »selbstverständlich« für Konzerne oder Anleger, ihre Gelder auf Konten zu belassen, was zu Kapitalabflüssen aus der EU führen könne, erklärte Friedman: »Wenn russische Einlagen in Nikosia beschlagnahmt werden können, wieso nicht auch amerikanische in Luxemburg?« Berlin habe das zusätzliche Risiko in Kauf genommen, weil man der Ansicht war, dies eindämmen zu können, indem Zypern als ein »Ausnahmefall« dargestellt würde.

Zum einen diente das kleine Zypern als Exempel, an dem Berlin europaweit seine Bereitschaft demonstrieren konnte, »hart vorzugehen, ohne dieselben Risiken einzugehen, wenn ein Land wie etwa Spanien zu stark bedrängt« würde. Deutschlands Stellung – die eigentlich von einer starken Exportabhängigkeit geprägt sei – erscheine so »stärker als sonst«. Dies sei aber nur in diesem isolierten Fall auch wahr, bemerkte Friedman: »Wenn wir die Frage der Schlußfolgerungen ignorieren, die der Rest Europas und der Welt aus dieser Behandlung Zyperns ziehen wird.«

Neben dieser europapolitischen Zielsetzung – einer Einschüchterung etwaiger Opposition gegen die deutsche Dominanz in der EU – habe sich Berlin auch von einem innenpolitischen Kalkül leiten lassen. Bedrängt von einer Öffentlichkeit und Wählerschaft, die »Deutschlands Verwundbarkeit« als Exportnation nicht »voll verstehe«, habe Berlin trotz aller Risiken sich im Vorwahlkampf entschlossen, »die harte Linie« einzuschlagen. Europäische Krisenpolitik ist somit zu einer Verlängerung deutscher Innenpolitik verkommen.

Zudem könnte Zypern, wie es auch schon die diesbezüglichen Äußerungen des Eurogruppenchefs Jeroen Dijsselbloem nahelegten, mit voller Intention als ein Präzedenzfall für Teil­enteignungen initiiert worden sein. »Europas Bankensystem ist zu groß, um es in einer ernsten Krise zu retten. Jede Lösung wird den Verlust von Geld der Kontoinhaber beinhalten«, so Friedman. Von der damit geschürten Unsicherheit in Südeuropa dürfte übrigens vor allem der deutsche Finanzsektor profitieren, wie der Finanzmanager Thorsten Reitmeyer gegenüber dem Handelsblatt ausführte: »Die Menschen sehen, wie wertvoll es ist, ein Konto in Deutschland zu haben. Wer derzeit Millionen in einem Krisenland hat, fragt sich doch, ob das Geld bei einer Bank in Deutschland nicht besser aufgehoben wäre.« Ähnlich positiv über den Zypern-Deal äußerte sich auch die Deutsche Bank, deren Chefvolkswirt David Folkerts-Landau beteuerte: »Man sollte jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um Marktdisziplin wieder herzustellen« –in Zypern, und nicht in Frankfurt, versteht sich.

Die geopolitische Dimension der Zypern-Krise thematisierte hingegen die Washington Post, die hierin auch eine Auseinandersetzung zwischen »Moskau und der Europäischen Union« sah. Hierbei habe der Kreml eine klare Niederlage erlitten, da der von Berlin durchgesetzte Zypern-Deal »das Scheitern der von Moskau forcierten Anstrengungen signalisiert, einen Teil des einstmals großen Einflusses ind Europa wiederzuerlangen und sich als eine Alternative zur Europäischen Union zu behaupten.«

* Aus: junge Welt, Ostersamstag, 30. März 2013


Geld in Matratzen

Nach dem Zypern-Deal ist vor dem nächsten Krisenschub in der Euro-Zone. Die Ratschläge von Kapitalvertretern werden schlichter

Von Rainer Rupp **


Fast zwei Wochen waren die Bankschalter auf Zypern geschlossen. Als bei deren Wiedereröffnung am Donnerstag panikartige Szenen ausblieben, werteten EU-Eliten und viele ihrer medialen Hofschranzen das als Beweis, daß die Troika (Europäische Zentralbank EZB, EU und Internationaler Währungsfonds IWF) richtig gehandelt und nun die Zypern-Krise »im Griff« habe. Der Verzicht auf einen Bankensturm dürfte jedoch eher mit Lähmung durch ungläubiges Staunen über den Anschlag auf das Wirtschaftssystem zu erklären sein als mit Gelassenheit. Zudem wußte jeder Zyprer bereits im voraus, daß Kontoabhebungen auf 300 Euro am Tag beschränkt waren und Geldüberweisungen jeder Art strikten Kapitalverkehrskontrollen unterlagen. So sind z.B. Überweisungen ins Ausland auf 5000 Euro limitiert. Wenn etwa ein Importeur mehr zahlen muß, hat er zunächst einen Antrag an die Zentralbank des Landes zu stellen. Und selbst bei Zustimmung sind Überweisungen auf 200000 Euro begrenzt.

Pro Auslandsreise dürfen Zyprer maximal 1000 Euro Bargeld mit sich führen, Zahlungen mit Kreditkarten sind pro Person und Bank auf 5000 Euro beschränkt. Festgeldanlagen dürfen nicht vorzeitig gekündigt werden. Exporteinnahmen und Gewinne, die aus dem Verkauf von Immobilien erzielt wurden, müssen den Behörden binnen zwei Wochen gemeldet werden. Auch sie unterliegen den oben genannten Restriktionen.

Rezept für Chaos

Zweifellos werden diese Maßnahmen die überdimensionierte zyprische Finanzbranche zurückstutzen. Eines der beiden größten Geldhäuser, die Laiki Bank, soll total abgewickelt werden, das Überleben der zweiten, der Bank of Cyprus, steht auch nach der Rettungsaktion in Frage. Der Bankensektor hat 2012 fast zehn Prozent zur zyprischen Wirtschaftsleistung (BIP) beigetragen. Ein Herunterfahren seines Anteils auf den Durchschnitt der Euro-Zone würde einen Rückgang des BIP um mindestens fünf Prozent zur Folge haben. Zugleich drohen die überraschend eingeführten Zwangsmaßnahmen, die reale Wirtschaft des Inselstaates, die vorwiegend vom internationalen Handel und Tourismus lebt, zu ersticken. Da weder die Genehmigungsverfahren noch die notwendige Bürokratie zur Bearbeitung der Überweisungsanträge und zur Durchsetzung der Kapitalsverkehrskontrollen existieren, ist deren plötzliche Einführung ein Rezept für wirtschaftliches Chaos und stark steigende Arbeitslosigkeit. Sie stieg bereits von 7,9 Prozent 2009 auf knapp unter 15 Prozent Anfang 2013.

Laut Troika und zyprischer Notenbank sollen die Kapitalkontrollen so schnell wie möglich wieder aufgehoben werden. Das wird jedoch schwer sein, zumal alle, die noch Geld in Zypern haben, damit rechnen müssen, bei der nächsten Bankenkrise erneut Federn lassen zu müssen. Das Beispiel der Kunden der Laiki Bank, die ihre nicht garantierten Bankeinlagen über 100000 Euro fast komplett verloren haben, steckt vielen in den Knochen. Laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel (BIS) sind auch ausländische Banken mit 100 Milliarden US-Dollar in Zypern engagiert. Davon stammen etwa 39 Milliarden Dollar aus Rußland. Zwar ist es während der zwölftägigen offiziellen Bankenschließung hauptsächlich russischen Großeinlegern über Londoner Bankfilialen gelungen, unbemerkt Milliarden aus Zypern verschwinden zu lassen, aber der Großteil der 100 Milliarden ist noch im Land. Die ausländischen Kreditgeber werden geradezu darauf lauern, bei der nächstbesten Gelegenheit ihre Gelder aus dem wirtschaftlich abstürzenden Zypern abzuziehen.

Teilweise progressiv

Das Handelsblatt hat daher mit seiner Einschätzung Recht, daß die »Abschaffung der Kontrollen schwerer als deren Einführung« sein wird. Zugleich sieht das Blatt einen »Euro-Schwarzmarkt« auf der Insel entstehen, denn nun sei »der Euro auf Zypern ein anderer als im übrigen Währungsraum«. Derweil warnen Kapitalvertreter weltweit vor weiteren Finanzanlagen in anderen Euro-Krisenländern. Ein Finanzexperte meinte sogar, nach Zypern und angesichts der weltweit extrem niedrigen Sparzinsen habe die gute alte Matratze für die Geldanlage wieder sehr an Attraktivität gewonnen.

Prinzipiell sind allerdings jedoch etliche Zwangsmaßnahmen des sogenannten Zypern-Deals recht progressiv. Z.B. setzt die Troika damit erstaunlicherweise sogar den Inbegriff der neoliberalen Marktwirtschaft, nämlich die absolute Freiheit des Kapitalverkehrs, außer Kraft, den die EU-Eliten selbst zum heiligsten Grundsatz erhoben haben. Für eine linksorientierte Umgestaltung auch der deutschen Wirtschaftsstruktur könnten viele dieser Troika-Maßnahmen durchaus als Vorbild dienen (siehe dazu die Kolumne unten). Daher beeilen sich die EU-Eliten auch, den »einmaligen« Charakter des Zypern-Deals zu unterstreichen. Dem nur hat dummerweise der neue Chef der Euro-Gruppe und niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem trotz heftiger Kritik u. a. aus Berlin erneut widersprochen, indem er den Deal »als Blaupause« für zukünftige Bankenkrisen in der Euro-Zone darstellte.

** Aus: junge Welt, Ostersamstag, 30. März 2013


Vorteile des Zypern-Diktats

Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs

Von Lucas Zeise ***


Bei allen schlimmen Folgen für die Bewohner Zyperns hat die verbockte »Rettungs«-Aktion der EU für die dortigen Banken auch politische Vorteile gebracht: Erstens hat das Parlament Zyperns den Beschluß der Euro-Finanzminister, wonach alle Bankkunden hätten bluten müssen, zurückgewiesen. Das ist eine Lehre für alle Parlamente in den Ländern, die sich EU-Hilfsdiktaten unterwerfen müssen. Sie können auch nein sagen.

Zweitens wird in Zypern der heiligste Grundsatz der EU, die Freiheit des Kapitalverkehrs, außer Kraft gesetzt. Künftig wird es für nationale Regierungen und Parlamente einfacher sein, gegen Kapital- und Steuerflucht vorzugehen und den Zahlungsverkehr mit dem Ausland einzuschränken. Und es wird für Oppositionsparteien in betroffenen Ländern einfacher, entsprechende Gesetze zu fordern.

Drittens sieht das offizielle Rettungspaket für Zyperns Banken die Verkleinerung des Finanzsektors des Inselstaates und die Liquidierung einer der beiden größten Banken vor. Daß es erstrebenswert ist, den Bankensektor zu verkleinern, taucht damit in einem EU-Diktat auf. Natürlich handelt es sich beim Vorgehen um schiere Willkürherrschaft. Das ist übrigens bei Bankenkrisen immer so. Nur wer beste Beziehungen zur jeweils herrschenden Clique in Regierung und Notenbankführung hat, kann darauf hoffen, sanft aufgefangen zu werden. Im Fall Zyperns reden Schäubles Beamte und er selber vom überholten Geschäftsmodell Zyperns. Dieses Modell war das gleiche wie das Luxemburgs, Irlands, der Schweiz oder Großbritanniens: Sie locken mit niedrigen Steuern ausländische Finanzvermögen an. Pech für Zypern war nur, daß die Kundschaft vorwiegend reiche Russen waren, die man nicht so schonend behandeln zu müssen glaubt wie die EU-Bürger und -Konzerne, die ihre Vermögen in Irland halten.

Viertens wird in Zypern eine Vermögensabgabe eingeführt, von der die Kleinvermögen ausgespart wurden. Auch das kann Vorbildcharakter haben. Eine Vermögensabgabe nach zyprischem Vorbild in Deutschland, oder besser noch in der gesamten EU, würde das Problem der Staatsverschuldung mit einem Streich lösen. Man könnte die Grenze von 100000 Euro, die in Zypern greift, sogar etwas heraufsetzen, auf 250000 Euro zum Beispiel. Bankguthaben unterhalb dieses Betrages würden geschont, alle über dieser Grenze würden mit zehn Prozent Abgabe belegt. Eine schnelle und effektive Umverteilungsaktion – dieses Mal ausnahmsweise in die richtige Richtung.

Zypern ist ein Lehrstück. Es handelt davon, wie die Mächtigen die weniger Mächtigen behandeln. Man konnte das auch schon in Griechenland und Italien beobachten. Die Eliten der Südländer lassen sich bisher sehr viel gefallen und geben den Druck, der von Berlin, Frankfurt und Brüssel ausgeht, an ihre Bürger weiter. Je brutaler Merkel, Schäuble, Draghi und ihre Helfer mit der lokalen Bourgeoisie und ihrem politischen Führungspersonal umgehen, desto eher werden diese ihr Heil in der Flucht aus dem EU-Herrschaftssystem suchen.

*** Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Frankfurt am Main.

Aus: junge Welt, Ostersamstag, 30. März 2013



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