Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Desaster in Zypern

"Retter" aus Brüssel und Berlin in Erklärungsnot: Enteignungspläne für Kleinsparer sorgen für Wut und Enttäuschung bei den Betroffenen. Euro-Banken versuchen zu beschwichtigen

Von Tomasz Konicz *

Haben sich die selbsternannten Euro-Retter in Brüssel und Berlin diesmal verkalkuliert? Die den Zyprern im Rahmen eines »Hilfspaketes« aufgenötigte Teilenteignung von Bankguthaben, ist ein Tabubruch der bisherigen Krisenpolitik und löste am Montag Turbulenzen an den Finanzmärkten aus. Der Euro gab binnen weniger Stunden um 1,9 Prozent gegenüber dem US-Dollar nach. Die Zinslast Spaniens und Italiens stieg rasch an, der Aktienleitindex Euro Stoxx gab um 1,6 Prozent nach. Und während Zyperns Kleinsparer übers Wochenende verzweifelt versuchten, an ihr Geld zu gelangen, bemühen sich die Regierungen der anderen südeuropäischen Krisenstaaten, ähnliche Stürme auf ihre Banken durch Beschwichtigungen zu verhindern. Der griechische Finanzminister bezeichnete das wirtschaftlich eng mit seinem Land verflochtene Zypern als einen »Sonderfall«, Spaniens Wirtschaftsministerium versicherte, die Lage dort könne nicht auf Spanien »umgerechnet« werden.

Auch will keiner Schuld sein: Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble beeilte sich Sonntag abend, alle Verantwortung Berlins für diesen neuerlichen Krisenschub (per Fehlbeschluß), zurückzuweisen. Die Regierung in Nikosia, die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) hätten darauf bestanden, auch Kleinsparer mit Guthaben unter 100000 Euro an der Enteignung zu beteiligen, so Schäuble. Hingegen hätten Bundesregierung und der IWF die »Einlagensicherung respektieren« wollen, behauptete der Minister in den Tagesthemen.

In den vergangenen Wochen und Monaten trat Deutschlands Regierung in der Zypern-Frage vor allem als Bremser auf. Ziel war es, einen neuerlichen Bailout (gemeint ist das per EU-Gesetzen verbotene »heraushauen« pleitebedrohter Staaten durch Kredite) nach Möglichkeit in die Zeit nach der Bundestagswahl zu verlegen.

Inzwischen tauchen im Ausland jedoch Berichte auf, die gerade die Bundesregierung als den zentralen Urheber dieser Enteignungsaktion benennen: »Sie versuchen, uns zu zerstören«, mit diesen Worten reagierte laut der Financial Times (FT), Zyperns Präsident Nikos Anastasiades auf die ultimative Forderung Schäubles, rund sieben Milliarden Euro durch Teilenteignungen von Sparern zum »Hilfspaket« beizusteuern. Dieses am Rande des letzten EU-Gipfels gestellte Ultimatum befand sich im direkten Widerspruch zu den kurz zuvor gemachten Zusicherungen der Bundeskanzlerin gegenüber der zyprischen Verhandlungsdelegation, bei denen nur ein geringer »Haircut« von 3,5 Prozent für Guthaben unter 100000 vereinbart worden sein sollte (sieben Prozent bei größeren Guthaben).

Anastasiades habe keine Zeit gehabt, sich von diesem Schock zu erholen, da tauchte Jörg Asmussen, deutscher Chef­unterhändler der EZB, bei ihm auf, um mitzuteilen, daß die Europäische Zentralbank die Versorgung der zweitgrößten Bank des Landes mit Liquidität einstellen werde, sollte Nikosia nicht den deutschen Forderungen zustimmen. Diese Position wurde demnach vom IWF, Finnland, der Slowakei und eingeschränkt auch von den Niederlanden unterstützt, währen die Europäische Kommission sie ablehnte. Das Schicksal der zyprischen Kontoinhaber sei »in Berlin besiegelt« worden, so die FT.

Die Bundesregierung habe den Inselstaat letztendlich vor die Wahl gestellt, entweder die »Bankguthaben zu besteuern« oder die »Euro-Zone zu verlassen«, meldete das Wirtschaftsportal Business Insider (BI) unter Berufung auf Quellen aus dem Finanzministerium in Nikosia. Dieses Vorgehen verdeutliche, daß Berlin trotz wachsendem Widerstand in Südeuropa weiterhin »seine Regeln« in der Euro-Zone durchsetzen könne, so BI. Mit der »Steuer« auf Bankguthaben wollte Angela Merkel dem restlichen Europa eine »Lektion« erteilen, daß es künftig keine »Freifahrt« bei Bailouts geben werde. Laut New York Times sei die Kanzlerin zudem darüber »besorgt« gewesen, daß ein großer Teil der Rettungsgelder für Zypern in den Händen »russischer Gangster und Oligarchen« landen würde. Dies sei durch Berichte »deutscher Geheimdienste« genährt worden, obwohl die Regierung in Nikosia dem heftig widersprochen habe. Rußlands Präsident Wladimir Putin hat das Vorgehen der EU in der Zypern-Krise umgehend als »ungerecht, unprofessionell und gefährlich« bezeichnet.

Wegen der erzeugten Schockwellen, deuten sich indes Nachverhandlungen (siehe Keller) über die geplante Teilenteignung an. Während die Abstimmung im Parlament auf Dienstag verschoben wurde, ist eine Reduzierung der »Steuersätze« für Kleinsparer und eventuell eine Einführung von Freibeträgen im Gespräch. Doch seien insbesondere die langfristigen Folgen des Tabubruchs in Zypern kaum revidierbar, bemerkte der Kolumnist Wolfgang Münchau in der Financial Times: »Wenn man das politische Klima für Aufstände in Südeuropa anheizen will, dann ist das genau der richtige Weg.«

Die Zyprer, aber auch die Bürger der anderen südeuropäischen Krisenstaaten, würden nun »rational handeln«, wenn sie ihre Ersparnisse abheben, so Münchau weiter. Zypern verdeutliche, daß die Liquidität einer Einlagensicherung »nur so gut ist wie die des jeweiligen Staates«.

Und wie steht es nun mit der (in BRD-Medien zumeist abgestrittenen) Systemrelevanz? »Wenn Zypern so unbedeutend ist, wie kann von der kleinen Insel dann ein Systemrisiko für die gesamte Euro-Zone ausgehen?« fragte die Frankfurter Allgemeine Zeitung noch am 17. März. Die Antwort darauf dürfte im Verlauf dieser Woche deutlicher werden.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 19. März 2013


Willkürherrschaft

Berlin erhebt Abgabe in Zypern

Von Lucas Zeise **


Da ist sie endlich – die Vermögensabgabe, die Linke seit Jahr und Tag fordern. Die Regierungspolitiker Deutschlands sind durchsetzungsstark. Anders als vermutet, bringen sie es fertig, die bei Banken lagernden Finanzvermögen zu rasieren und dazu auch mal schnell den freien Geldverkehr zu unterbrechen. Das zeigen die Beschlüsse der Finanzminister des Euro-Gebietes in Brüssel vom Wochenende, die auf Betreiben der deutschen Regierung so radikal ausgefallen sind. Sie lauten: Die Banken Zyperns werden mit zehn Milliarden Euro gerettet. Wer allerdings bei diesen Banken ein Konto unterhält, muß auf sein Guthaben einen Abschlag von 6,75 Prozent hinnehmen. Guthaben oberhalb 100000 Euro werden um 9,9 Prozent reduziert. (Der Unterschied zu linken Vorschlägen ist offensichtlich: Hier werden nicht die großen Vermögen angezapft, sondern die kleinen.) Neben den üblichen Sparauflagen und Privatisierungsbefehlen enthalten die Brüsseler Beschlüsse den geradezu linksradikal anmutenden Auftrag an Zypern, die niedrigen Unternehmenssteuern anzuheben.

Wie kommt es zu derart radikalen Beschlüssen? Über den Antrag Zyperns für ein Rettungsprogramm wird seit einem halben Jahr verhandelt. Die kleine Insel ist ganz wie das etwas größere Irland mit einem überdimensionierten Bankensektor geschlagen, der seit Ausbruch der Finanzkrise und durch den Schuldenschnitt für griechische Staatsanleihen ohne satte Kredite von außen nicht überlebensfähig war. Irland erhielt im Herbst 2010 ein riesiges, von den anderen Euroländern finanziertes Hilfskreditpaket. So hätte man auch im Fall Zypern verfahren können. Deutsche Innenpolitik verhinderte das. Im November vorigen Jahres wurde ein Papier des Auslandsgeheimdienstes BND in die Presse lanciert, wonach Zyperns Banken vor allem als Geldwaschanlage für superreiche, böse Russen fungieren. Tatsächlich parken schwerreiche Russen viel Geld in Zypern, um heimische Steuern zu sparen, ganz so wie schwerreiche EU-Bürger und onzerne viel Geld in Irland parken, um Steuern zu sparen.

Hilfe für ausländische Banken ist in Deutschland höchst unpopulär. Hilfe für Russen noch viel mehr. Die Vermögensabgabe, die nun alle Zyprioten zahlen müssen, ist als Abwehrreaktion der Regierung Merkel an die sich in der »Alternative für Deutschland« formierenden Rechtsnationalisten zu werten.

Die deutsche Herrschaft über die Euro-Zone und Europa erweist sich nicht nur wie bisher als unsozial und ökonomisch schädlich, sondern auch als Willkürherrschaft. Je nach innenpolitischer Lage werden abhängige Randstaaten in gleicher Notlage höchst unterschiedlich behandelt. Wer allerdings Bankkunden zunächst nur im fernen Zypern rasiert, muß damit rechnen, daß Sparer ihre Konten auch in Spanien, Portugal und anderswo leerräumen und die ohnehin wackligen Banken in ganz Euro-Land umkippen.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 19. März 2013 (Kommentar)

Hintergrund: Kleines Land, große Probleme

Die Republik Zypern ist seit 2004 Mitglied der Europäischen Union und hat 2008 den Euro eingeführt. Das Land ist historisch, wirtschaftlich und kulturell stark mit Griechenland verbunden.

EU-Recht gilt (vorerst) nur im größeren Südteil der Insel im Mittelmeer. Im Norden liegt die Türkische Republik Nordzypern. Dieser Teil des vormaligen Gesamtstaates war 1974 nach einer militärischen Intervention des NATO-Mitglieds Türkei abgespalten worden – angeblich um die türkisch-sprechende Minderheit der Bevölkerung vor der griechisch-sprechenden Mehrheit zu schützen. Die Militäraktion war von Beginn an ohne völkerrechtliche Basis: Außer Ankara hat weltweit niemand diesen Teil der Insel als souveränen Staat anerkannt.

Mit einem Bruttoinlandsprodukt (Jahreswirtschaftsleistung; BIP) von 18 Milliarden Euro (2011) und 862000 Einwohnern ist Zypern eine der kleinsten Volkswirtschaften der Euro-Zone – vergleichbar etwa mit dem bundesdeutschen Saarland. Um den aufgeblähten Bankensektor des Landes zu stabilisieren, hatte Zyperns Regierung im Sommer 2012 um Hilfskredite im Volumen von etwa 17 Milliarden Euro gebeten – also fast die Summe einer Jahreswirtschaftsleistung.

Zypern hatte sich in den zurückliegenden Jahren als internationaler Bankensitz und als Niedrigsteuerland präsentiert. Dieses »Geschäftsmodell«, das manche als »Steueroase« oder »Schwarzgeld-Hort«, oder »Geldwäscheparadies« bezeichneten, hatte dem Bankensystem zunächst regen Zuspruch – vor allem von begüterten Russen und Briten – eingebracht.

Seit 2012 steckt das Land in einer Rezession – also einer Phase schrumpfender Wirtschaftsleistung. Die Arbeitslosigkeit steigt sprunghaft: Von 7,9 Prozent 2011 auf voraussichtlich über 13 Prozent im laufenden Jahr.

Im Laufe der Euro-Schuldenkrise haben sich die Probleme ständig verschärft. Vor allem seit dem faktischen Zusammenbruch der Wirtschaft des eng mit Zypern verflochtenen Griechenland. Zyprische Banken hatten sich stark mit Staatsanleihen Athens eingedeckt, doch spätestens seit dem von der Troika (Europäische Kommission, Internationaler Währungsfonds, Europäische Zentralbank) durchgesetzten Schuldenschnitt, stehen die Kreditinstitute der Insel vor dem Bankrott.

Um die Pleite – und damit das Scheitern des zyprischen Geschäftsmodells – zu verhindern, wurden die Geldhäuser vom Staat gestützt. Das brachte jedoch den Haushalt aus den Fugen und die Politiker immer stärker in Bedrängnis. Ende 2011 machte der gesamte Schuldenberg des Landes 71,1 Prozent des BIP aus – bis 2014 erwartet die EU-Kommission 97 Prozent. (jW, 19.03.2013)




Zurück zur Zypern-Seite

Zurück zur Homepage