Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zyperns Zwangssoli

Bürger wehren sich gegen Sonderabgabe / Präsident droht mit Schreckensbildern

Von Christiane Sternberg, Nikosia *

Die Ankündigung der EU, dass die Kunden zyprischer Banken mit ihrem Geld für die Rettung ihres Landes geradestehen sollen, löste am Wochenende einen Ansturm auf die Geldhäuser der Mittelmeerinsel aus. Die Bürger fühlen sich bestohlen und erpresst. Auch EU-Parlamentarier halten es für falsch, Kleinsparer zur Behebung politischer Fehler heranzuziehen.

»Sehr geehrte Kunden, wegen der jüngsten Entscheidung der Eurogruppe sind die Funktionen für Überweisungen ins Ausland vorübergehend deaktiviert. Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten. Mit freundlichen Grüßen, Ihre Bank.« Diese Mitteilung fanden zyprische Bürger am Wochenende vor, wenn sie die Internetseiten ihrer Geldhäuser aufriefen. In der Nacht zum Sonnabend hatten die Euro-Partner beschlossen, Zyperns angeschlagene Banken mit zehn Milliarden Euro zu stützen. Als Gegenleistung für einen EU-Kredit soll das Land mit Beteiligung seiner Bankkunden 5,8 Milliarden Euro selbst aufbringen. Von Guthaben über 100 000 Euro werden einmalig 9,9 Prozent eingezogen, Bankeinlagen unterhalb dieser Grenze werden um 6,75 Prozent gekürzt. Fälligkeit: sofort.

Am Sonnabend setzte ein Ansturm auf die Geldautomaten ein, um das Ersparte vor dem Zugriff des Staates zu retten. Aber zur Berechnung des erzwungenen »Solibeitrags« zählt angeblich der Kontostand vom Zeitpunkt des Beschlusses der Eurogruppe. Die Wellen der Empörung schlagen hoch. Am Montag sollen die Abgeordneten den von Präsident Nikos Anastasiades ausgehandelten Deal ratifizieren, bereits am Wochenende demonstrierten Hunderte Menschen vor dem Präsidentenpalast. »Diebstahl!«, »Enteignung!«, ist die Meinung auf der Straße und in Internetforen.

Die Zwangsabgabe, die eigentlich auf diverse Zypern-Konten reicher Russen zielt, trifft auch die einfachen Bürger. Sie haben außer einem Teil ihres Ersparten das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren. Denn wie in anderen EU-Ländern sind Bankeinlagen in Zypern bis zu einer Höhe von 100 000 Euro durch ein Entschädigungssystem abgesichert. Allerdings nur gegen Zahlungsunfähigkeit der Bank - offenbar nicht gegen den Zugriff per Gesetz. Dass die Kontoinhaber mit Aktien der jeweiligen Geldhäuser im Wert der eingezogenen Abgabe entschädigt werden sollen, ist da auch kein Trost.

Anastasiades erklärte seinen Landsleuten, dass die Zwangsabgabe ein schmerzhaftes, aber kontrolliertes Management der Krise bedeute. Die Alternative sei eine unüberschaubare Katastrophe, denn die Europäische Zentralbank habe bereits beschlossen, die Notfallkredite für Zypern umgehend zu stoppen. Die Folge wären ein Zusammenbruch des Bankensystems des Landes, der Verlust aller Bankguthaben, explosionsartig ansteigende Arbeitslosigkeit, die Rückkehr zum Zypern-Pfund sowie noch mehr Staatsschulden. Mit solchen Szenarien verteidigt der Präsident seine Zugeständnisse an die Eurogruppe, die als Gegenleistung für den angekündigten Kredit außerdem noch eine Steuer auf Zinsen für Bankeinlagen und die Erhöhung der Körperschaftssteuer fordert.

Die zyprischen Parteien reagierten unterschiedlich auf die Hiobsbotschaft aus Brüssel. Während sich aus ihren Statements noch nicht abzeichnet, wie die Abstimmung im Parlament ausgehen wird, sind die Meinungen zur EU eindeutig. Die sozialistische EDEK spricht von der »Beerdigung des Prinzips der gemeinschaftlichen Solidarität«, die rechte DIKO nennt die Forderungen eine »unzumutbare Erpressung«. Die Führung der linken AKEL beschreibt Zyperns Behandlung durch die Troika als »rachsüchtig und neo-kolonial« und kündigt an, Zyperns Austritt aus der Eurozone vorzuschlagen.

Heute ist in Zypern ein Feiertag, mit dem die siebenwöchige Fastenzeit vor dem orthodoxen Osterfest beginnt. Aber auch am Dienstag könnten die Banken geschlossen bleiben: Man fürchtet Panik unter den Sparern, die möglicherweise nun alle ihre Guthaben abheben wollen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 18. März 2013


Zypern schröpft Sparer

Banken auf Kosten der Einleger gerettet: Finanzminister der Euro-Gruppe setzen bei Regierung in Nikosia Zwangsabgabe auf Guthaben durch

Von Andreas Wehr **


Ähnliche Bilder hatte man zuletzt 2007 und damit ganz am Beginn der noch immer nicht überwundenen Finanz- und Wirtschaftskrise gesehen. Seinerzeit belagerten britische Sparer die Filialen der in Turbulenzen geratenen Bank Northern Rock, um ihre Einlagen zu retten. Auch solche Szenen waren es, die zu der berühmt gewordenen Aussage sowohl von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch des damaligen Finanzministers Peer Steinbrück (SPD) im Herbst 2008 führten, daß »das Geld der Sparer sicher« sei. Für die Bürger Zyperns gilt dies nicht. In der Nacht zum Sonnabend versuchten sie noch schnell, ihre Konten bei den einheimischen Banken leerzuräumen, um zu verhindern, daß eine Zwangsabgabe auf ihre Guthaben erhoben wird. Doch wenn die Schalter – voraussichtlich am Dienstag – wieder öffnen, wird das Geld bereits abgezogen sein. Erhoben werden 6,75 Prozent bei Einlagen unter 100000 Euro und bei höheren Summen 9,9 Prozent. Auf diese Weise sollen 5,8 Milliarden Euro hereinkommen. Das Geld wird auch bei kleinen und kleinsten Sparern eingesammelt. Die Wohlhabenden werden davon hingegen kaum betroffen sein. Ihr Vermögen besteht ja vornehmlich aus Aktien, Edelmetallen und Immobilien. Statt die Konteninhaber zur Kasse zu bitten, hätte sich ein Schuldenschnitt angeboten. Ungeschoren kommen auch die Eigentümer der Banken weg. Ihr Vermögen wird nun auf Kosten ihrer Einleger gerettet.

Diese in der Währungsgemeinschaft bisher einmalige Schröpfung der Sparer ist Teil der Vereinbarungen der Euro-Staaten mit Zypern über die Gewährung eines Hilfskredits von zehn Milliarden Euro. In der Nacht zu Samstag wurde er beschlossen. Mehr als neun Monate war darüber verhandelt worden. Da als Preis wie üblich umfangreiche Kürzungen im Haushalt sowie Privatisierungen von der Troika (EU-Kommission, Europäische Zentralbank und IWF) verlangt wurden, zogen sich die Verhandlungen hin. Erst jetzt, nach der Wahl eines konservativen Präsidenten, wurde man einig.

Die Bundesregierung in Berlin hatte es auch nicht eilig. Man wollte erreichen, daß der Bundestag erst nach den Wahlen im September über das Zypernpaket entscheidet. Daraus wird nun nichts. Einmal mehr ist bewiesen, daß die Krise keineswegs vorüber ist.

Schwierigkeiten bereitet diesmal auch die SPD im Bundestag, die bisher jedes Rettungspaket und damit jede Bankenhilfe abgenickt hatte. Im Fall Zyperns agieren Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und Parteichef Sigmar Gabriel ganz populistisch. Seit Monaten beschwören sie die Gefahr, daß mit einem Hilfskredit nur auf zyprischen Konten gelagertes russisches Schwarzgeld von deutschen Steuerzahlern gerettet werden soll. Vor allem dieser Kampagne ist es zu verdanken, daß die Euro-Finanzminister zu der bisher einmaligen Maßnahme einer Zwangsabgabe auf Bankeinlagen griffen. Was als Schachzug gegenüber der deutschen Opposition gedacht ist, könnte sich aber bald als fataler Fehler erweisen. Denn wer sollte es Griechen, Iren, Portugiesen, aber auch Spaniern und Italienern verdenken, daß sie künftig ihren Banken noch weniger trauen? Es könnte zu einer riesigen Kapitalflucht der dort gelagerten Gelder kommen. Und wer weiß, womöglich wird auch Merkels und Steinbrücks 2008 gegebenes großes Wort nicht mehr geglaubt. Mit der Vereinbarung über Zypern ist die Euro-Krise jedenfalls in eine neue Phase getreten.

** Aus: junge Welt, Montag, 18. März 2013


Zurück zur Zypern-Seite

Zurück zur Homepage