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Opportune Gewalt

Die Kämpfe in der Zentralafrikanischen Republik ebben auch nach dem Rücktritt des Putschpräsidenten Djotodia nicht ab

Von Christian Selz *

Das Morden in der Zentralafrikanischen Republik geht auch nach dem Rücktritt des Putschpräsidenten Michel Djotodia am vergangenen Freitag weiter. Rund 40 Menschen seien Berichten zufolge seitdem allein in der Hauptstadt Bangui getötet worden, heißt es in einer Mitteilung des Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen (UN) für Menschenrechte vom Dienstag. Zudem sei es am Wochenende zu weiteren Entführungen, Verstümmelungen und weit verbreitet zu Plünderungen gekommen, obwohl die Zahl der Kämpfe leicht zurückgegangen sei. Mit Sorge sehen die Vereinten Nationen allerdings auch die Strategie der Interimsführung.

»Es ist essentiell, daß die Maßnahmen der Regierung nicht selbst internationale Menschenrechte verletzen«, warnte tags darauf UN-Menschenrechtskommissarin Navanethem Pillay. Die Sicherheitskräfte dürften nicht auf eine Strategie des »Schießen, um zu töten« zurückfallen. Doch genau das scheint der Lösungsansatz von Interimspräsident Alexandre-Ferdinand Nguendet zu sein. Am Montag beorderte er zusätzliche Truppen nach Bangui und wies sie an, »Unruhestifter aus nächster Nähe zu erschießen«. Die UN machen bereits jetzt Vergeltungsmaßnahmen als eines der größten Probleme im Land aus, Nguendet dürfte die mit seiner Politik nur weiter anheizen. Hinzu kommt die Beteiligung tschadischer Soldaten der internationalen Eingreiftruppe FOMAC an Erschießungskommandos der Séléka-Miliz, von der das UN-Menschenrechtskommissariat am Dienstag selbst berichtete.

Für Nguendet, der 2013 zum Präsidenten des Nationalen Übergangsrats gewählt worden war, bleibt derweil nicht viel Zeit, um sich zu profilieren. Zehn Tage gab er selbst dem Gremium, um einen Nachfolger an die Spitze des Staates zu wählen. Politisch ändern dürfte sich auch dann wenig. Frankreich hat seine Ansprüche in der ehemaligen Kolonie mit 1600 Soldaten untermauert, auch wenn es sich inzwischen mit der ebenfalls mit einem 4000 Mann starken Kontingent vertretenen Afrikanischen Union über die Besetzung der politischen Spitzenämter abstimmen muß. Der Kontinentalmacht war insbesondere Djotodia ein Dorn im Auge. Dessen Versagen, seine Milizenallianz Séléka zu beherrschen, hat die Region destabilisiert. Als erster muslimischer Präsident des überwiegend vom Christentum und afrikanischen Religionen geprägten Landes beförderte er die Spaltung entlang ethnischer Grenzen so sehr, daß das Staatenbündnis der Zentralafrikanischen Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft ihn zum Rücktritt drängte. Djotodia floh schließlich ins westafrikanische Benin.

Wirklich erschüttert ist das politische Establishment der Zentralafrikanischen Republik aber auch dadurch nicht. Interimspräsident Nguendet war mit seiner Anfang 2013 gegründete Partei »Rassemblement Démocratique Centrafricain« der erste, der Djotodia nach dessen Putsch im März vergangenen Jahres anerkannte. Dieser Opportunismus wird sich auch weiterhin durchsetzen. Er ist nötig, um die von Frankreich anvisierte Ausbeutung der Rohstoffe – neben Diamanten ist hier vor allem Erdöl von Interesse – zu gewährleisten, von der auch die kleine nationale Elite profitiert. Bedingung dafür ist allerdings eine gewisse Stabilität, auch wenn sie ein paar Erschießungen »aus nächster Nähe« voraussetzt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 16. Januar 2014


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