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Der Unmut über den Schmetterling wächst

Die Einwohner der ZAR sehen die französische »Operation Sangaris« inzwischen mit zunehmender Skepsis

Von Vera Macht, Bangui *

Die Gewalt zwischen Christen und Muslimen in der Zentralafrikanischen Republik nimmt weiter zu. Die Versuche, die Milizen zu entwaffnen, kommen kaum voran.

Sangaris, das ist ein kleiner roter Schmetterling Zentralafrikas. Kurzlebig, ungefährlich und schön anzusehen. Nach ihm wurde der französische Militäreinsatz in der Zentralafrikanischen Republik benannt. »Sangaris«, so zischen Menschen hier, wenn französische Soldaten auf Panzern durch die Straßen Banguis, der Hauptstadt, rollen. »Sangaris«, wenn sie sehen, wie die Soldaten tagsüber rauchend in der Sonne liegen. »Sangaris«, das ist mittlerweile ein Schimpfwort, verwendet mit einer Mischung aus Wut und Hilflosigkeit.

Der Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik wird von Tag zu Tag unübersichtlicher. Die meisten der Séléka-Rebellen, die im März 2013 den muslimischen Präsidenten Michel Djotodia an die Macht brachten, sind geflohen. Viele unter ihnen waren Söldner aus Tschad, Sudan, kamen sogar bis aus Mali. Als Djotodia nicht mehr zahlte, plünderten die Séléka christliche Häuser, mordeten und vergewaltigten. Doch bei den christlichen Milizen, den Anti-Balaka, die sich ursprünglich als Schutztruppe gegen die Séléka gebildet haben, ist der Wille zur Selbstverteidigung in Hass und Rache umgeschlagen. Seit Djotodia Mitte Januar dieses Jahres abdankte, gewinnen sie die Oberhand. Die Vereinten Nationen sprechen von einer »ethnisch-religiösen Säuberung«, zehntausende einheimische Muslime sind mittlerweile aus dem Land geflohen, nur noch geschätzte 3000 sind in der Hauptstadt zurückgeblieben. Hier gehen die Kämpfe auch unvermindert weiter, während auf den kleinen Dörfern außerhalb gespenstische Ruhe eingekehrt ist: Die Häuser der Muslime sind abgebrannt, ihre Bewohner geflohen.

In Bangui brechen noch jeden Tag Lastwagen Richtung Norden auf, Richtung Tschad und Sudan, vollgepackt mit Menschen und Habseligkeiten. Doch auch sie werden von Anti-Balaka-Milizen angegriffen, dann spielen sich Gräueltaten ab.

Genauso wie vorher die Séléka sind auch die Anti-Balaka in lokalen kleinen Banden organisiert, deren Anführer sich jeglicher staatlicher Kontrolle entziehen. Sie agieren vor allem nachts, nach der Ausgangssperre um 20 Uhr, angetrieben von einem brutalen Gemisch aus Kriminalität und Rassismus. Sie ziehen durch die Straßen Banguis, plündern die Geschäfte von Muslimen, traditionell die reiche Oberschicht des Landes und töten die, die ihnen in die Quere kommen. »Wir versuchen, mit ihnen zu verhandeln, sie zur Aufgabe der Waffen zu bewegen, doch welche Perspektiven können wir ihnen bieten? Dieser Staat hat im Moment nicht einmal genug Geld, um das tatsächliche Militär des Landes zlu bezahlen«, seufzt Jose Galutti, der oberste General der Übergangspräsidentin Catherine Samba-Panza.

Nun sollen es noch mehr ausländische Truppen richten. Sangaris, der Name sollte positive Assoziationen bei der Bevölkerung hervorrufen. Ungefährlich ist der Sangaris, der kleine rote Schmetterling, man könnte jedoch auch sagen unnütz. Denn das ist noch das beste, was man auf den Straßen über den französischen Militäreinsatz zu hören bekommt. »Wenn geschossen wird, bleiben die Soldaten auf ihren Panzern liegen, falls es ganz schlimm wird, ziehen sie ab«, schimpft Ali, ein zurückgebliebener muslimischer Bewohner des sogenannten 5. Kilometers, des hart umkämpften christlich-muslimischen Stadtviertels Banguis.

Aus der Anfangszeit, als die Franzosen mit Jubel begrüßt wurden, sind nur noch ein paar »Danke, Frankreich!«-Graffiti übriggeblieben. Inzwischen tut man als Ausländer gut daran, zu betonen, dass man kein Franzose ist. Die Ohnmacht der Franzosen liegt teilweise schon in ihrem Mandat begründet. Sie stehen unter dem Oberbefehl der MISCA, der Soldaten der afrikanischen Mission im Auftrag der UNO, die mit 5500 Soldaten im Land sind. Zudem dürfen sie nur im Falle eines direkten tätlichen Angriffs von ihren Schusswaffen Gebrauch machen und auch dabei nur den tatsächlichen Angreifer treffen. Fast unmöglich in einer unübersichtlichen Kampfsituation.

Doch auch die verwickelten Bündnisbeziehungen machen ein echtes Eingreifen schwer. Die erbittertsten Kämpfe des Landes fanden in den letzten Tagen zwischen Soldaten aus Tschad und Anti-Balaka-Kämpfern statt. Die christlichen Milizen griffen fliehende tschadische Muslime an, die Soldaten aus Tschad feuerten wahllos auch auf Zivilisten. In solchen Momenten ist die Luft erfüllt vom Lärm der französischen Hubschrauber; sie beobachten, doch die Bodentruppen verlassen das jeweilige Stadtviertel. Tschad ist wichtiger Bündnispartner, Frankreich hält sich aus allen Angelegenheiten heraus, die Tschad und tschadische Flüchtlinge betreffen. Doch seit tschadische MISCA-Soldaten zu Beginn des Einsatzes auf Seiten der Séléka-Rebellen kämpften, bringt die christliche Bevölkerung ihnen großes Misstrauen entgegen, beide Seiten geraten immer wieder gewalttätig aneinander.

Nicht nur die Untätigkeit der Franzosen erzeugt mittlerweile Wut in der Bevölkerung, ihre Anwesenheit ruft auch ein Gefühl der Hilflosigkeit hervor. Vianney steht auf dem Marktplatz zwischen den verkohlten Überresten muslimischer Hütten, die Kleidung, die er verkauft, liegt ausgebreitet vor ihm. »Das Land ist am Boden«, sagt er, »das stimmt. Doch wie sollen wir es wieder aufbauen, wenn unser Schicksal nur noch von anderen entschieden wird?«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 26. Februar 2014


Frankreich wird nicht Herr der Lage

Die Nationalversammlung stimmt zähneknirschend einer Fortsetzung der Militärmission in der Zentralafrikanischen Republik zu

Von Ralf Klingsieck, Paris **


In der Zentralafrikanischen Republik läuft nichts so, wie es sich Präsident François Hollande und sein Generalstab gedacht hatten.

Frankreichs Außenminister rührte kräftig die Werbetrommel in eigener Sache: »Wenn es nicht die Operation Sangaris gegeben hätte, dann befände sich die Zentralafrikanische Republik heute in einer Situation des Völkermords«, sagte Laurent Fabius am Dienstag dem Sender France 2. »Es war richtig, dass Frankreich eingegriffen hat.« Mit Blick auf die am Abend anstehende Abstimmung des französischen Parlaments über eine Verlängerung des Militäreinsatzes sagte Fabius, er erwarte eine Zustimmung.

Im vergangenen Dezember hatte Präsident François Hollande eine »zeitlich begrenzte« Intervention beschlossen und 1600 Militärs entsandt, um in der ehemaligen Kolonie einen drohenden Bürgerkrieg abzuwenden. In der nachfolgenden Parlamentsdebatte Mitte Dezember wurde diese Entscheidung begrüßt und gebilligt, außer von der Linksfront, die Bedenken anmeldete und sich der Stimme enthielt. Inzwischen ist in der Pariser Nationalversammlung von dieser breiten Zustimmung nicht mehr viel zu spüren.

Zwar sollte angesichts der Mehrheitsverhältnisse kein Zweifel am positiven Ausgang des Votums bestehen, doch die Debatte davor wurde sehr kontrovers geführt. Vor allem ging es um den neuen Zeitplan und darum, welche Mission die französischen Militärs vor Ort erfüllen sollen. Die Regierung drängt bei den Vereinten Nationen darauf, dass das französische Engagement mittelfristig durch eine internationale Friedensstreitmacht abgelöst wird.

In der ersten Phase war die nach einem Schmetterling benannte Operation Sangaris erfolgreich gegen die muslimisch dominierten Séléka-Milizen des durch einen Putsch im März 2013 an die Macht gelangten Präsidenten Michel Djotodia vorgegangen. Sie terrorisierten die christliche Bevölkerungsmehrheit. Nachdem diese Milizen entwaffnet waren und Djotodia auf Druck der afrikanischen Nachbarländer zurückgetreten war, kippte die innenpolitische Lage jedoch. Jetzt verfolgten die ursprünglich zur Selbstverteidigung gebildeten sogenannten Anti-Balaka-Milizen der christlichen Bevölkerungsmehrheit die islamischen Milizionäre oder ersatzweise viele unbeteiligte Landsleute islamischen Glaubens, plünderten ihre Häuser und Läden, vertrieben die Familien und erschlugen viele der Männer.

Dem konnten die französischen Militärs in der Hauptstadt Bangui ansatzweise inzwischen ein Ende machen, aber im Landesinnern gehen die Ausschreitungen weiter. Viele tausend islamische Familien sind auf der Flucht in den Nordosten des Landes, wo sie die Mehrheit bilden, oder in Nachbarländer. Beobachter sprechen von einer regelrechten »ethnischen Säuberung«.

Das französische Militärkommando vor Ort und die Regierung in Paris wurden von dieser Entwicklung, mit der sie und auch die Nachrichtendienste nicht gerechnet hatten, völlig überrollt, schätzt Pierre Lellouche, außenpolitischer Sprecher der rechten Oppositionspartei UMP. Der sozialistische Premier Jean-Marc Ayrault und sein Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian räumen ein, dass der Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik länger dauern und mehr Kräfte erfordern wird, als angenommen.

Die auf Djotodia folgende Übergangspräsidentin Catherine Samba-Panza drängt derweil auf einen Verbleib der französischen Truppen mindestens bis zu den für Anfang 2015 geplanten Präsidentschaftswahlen. Auf Bitten von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon wurde das Kontingent bereits in der vergangenen Woche um 400 Mann auf nunmehr 2000 Soldaten aufgestockt. »Frankreich kann aber nicht alles allein bewältigen«, erklärt die sozialistische Abgeordnete Elisabeth Guigou und mahnt die Unterstützung durch andere europäische Länder an. Bisher gingen Zusagen von einzelnen EU-Staaten für insgesamt 900 Einsatzkräfte ein, doch keine einzige ist bisher in Afrika eingetroffen. Die französischen Einheiten versuchen unterdessen, die blutigen Kämpfe im Landesinnern zu beenden, »doch dafür müssten wir nicht 2000, sondern 30 000 sein«, meinte ein Oberst verbittert gegenüber französischen Journalisten.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 26. Februar 2014


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