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Teetrinken bis zur Rückkehr in die Heimat

Die Sahrauis halten am Ziel der Unabhängigkeit der Westsahara fest

Von Ralf Leonhard *

Die Vereinten Nationen haben die laufende Woche zur Woche der Solidarität mit den Völkern aller kolonialen Gebiete, die für Freiheit, Unabhängigkeit und Menschenrechte kämpfen, ausgerufen. Eines dieser Völker sind die Sahrauis in der von Marokko besetzten Westsahara.

Im geräumigen Zelt sitzt eine unverschleierte Frau und macht sich an einem metallenen Kessel zu schaffen, der auf einem tragbaren Holzkohleöfchen steht. Das Zelt ist mit Teppichen ausgelegt und die kleinen Fenster sorgen für die Ventilation, die das Klima der Sahara erträglich macht.

Wer immer als Freund oder Fremdling im Zelt eines Sahrauis empfangen wird, bekommt zuerst einmal Tee. Die Zeremonie dauert eine Stunde oder länger und hilft, den Reisenden auf einen anderen Lebensrhythmus einzustellen. Wer heute die Sahrauis besucht, hat in jedem Fall eine lange und beschwerliche Reise hinter sich: vom algerischen Tindouf in das Lager Dajla sind es 140 Kilometer. Rund 100 Kilometer über eine schnurgerade Asphaltpiste durch menschenleeres Wüstengebiet, die restlichen 40 Kilometer mit dem Landrover querfeldein durch eine Sand- und Felswüste, in der nur die Einheimischen die nötigen Orientierungspunkte finden.

Wenn das Wasser kocht, wird es in eine kleinere Kanne gegossen, wo die Teeblätter warten. Endlos wird das Gebräu dann von einem Glas in ein anderes gegossen, bis es schäumt. Die kleinen Teegläser werden nur bis zur Hälfte gefüllt. »Hier in der Sahara machen wir dreimal am Tag Tee: am Morgen, zu Mittag und am Abend«, erläutert Tarba Sidhi Bachir. Es werden immer drei Gläser getrunken. Das erste, so heißt es, sei bitter wie das Leben, das zweite süß wie die Liebe und das dritte sanft wie der Tod. Die unterschiedliche Süße ist keine Täuschung des Gaumens: Sie wird durch die kontrollierte Zugabe von Zucker erreicht. Beim zweiten Glas kommt noch etwas Minze dazu. Minze und andere Kräuter können die meisten Familien in ihrem Hausgärtchen ernten.

Man hat Zeit. Nicht nur weil die Tageshitze zur Ruhe zwingt. Zwischen zwölf Uhr Mittag und fünf Uhr Nachmittag ist jeder gut beraten, wenn er körperliche Anstrengung vermeidet. Man gewöhnt sich an frische Ziegenmilch und üppige Portionen von Kamelfleisch und hört unzählige Geschichten über Vertreibung und Exil. Auch Tarba hat ihre Eltern im Krieg gegen Marokko verloren, damals Ende der 70er Jahre, als die Spanische Kolonialarmee abgezogen war und die marokkanische Armee einmarschierte.

Die Hälfte der Bevölkerung wurde vertrieben. Es regnete Napalm und weißen Phosphor auf die Lager der wehrlosen Flüchtlinge. An einem der kargsten Flecken der Erde genießen die sahrauischen Flüchtlinge jetzt das Gastrecht in Algerien und werden von Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen mit dem Lebensnotwendigen versorgt. Ihr Heimatland liegt nur wenige Kilometer entfernt.

Spitäler, Schulen, medizinische Geräte und die Einrichtung von Gemüsegärten werden von der Solidarität finanziert. Einer der wichtigsten Beiträge, den spanische Familien leisten, ist aber die Aufnahme von Kindern während der Sommermonate, wenn es in der Sahara unerträglich heiß wird. Die 9- bis 14-jährigen Kinder verbessern dabei nicht nur ihre Sprachkenntnisse, sie lernen vor allem auch ein Stück Europa mit seinem westlichen Lebensstil kennen. Dabei werden natürlich auch Sehnsüchte nach Konsum und Wünsche nach einer Zukunft außerhalb des Lagers geweckt.

»Natürlich gefallen mir I-Pods und Handys«, sagt Mula Abderrahman Mohamed. Die 18-Jährige hat nicht nur fünf Sommer, sondern ganze fünf Jahre in Spanien verbracht. Wegen eines Herzfehlers, der operiert werden soll, durfte sie bei einer Familie in der Nähe von Sevilla bleiben. Sie möchte sobald wie möglich die Schule abschließen und dann Medizin studieren.

Es sei hart, meint sie, hier auf alles zu verzichten, woran sie sich in Spanien gewöhnt hat, all der elektronische Schnickschnack, der aus dem Leben der Jugendlichen nicht mehr wegzudenken ist. Im Lager gibt es ein Internet-Cafe, das mehrere Stunden täglich durch einen Generator mit Strom versorgt wird, doch wer es eilig hat oder größere Datenmengen herunterladen will, muss dort verzweifeln. Mobiltelefone sind nutzlos, einzig teure Satellitenhandys stellen eine Verbindung zur Außenwelt her.

Nur wenige haben einen Beruf, den sie ausüben können. Als Flüchtlinge werden die Sahrauis von außen mit Lebensmitteln versorgt. Der trockene Wüstenboden ist für Ackerbau nicht geeignet, an ein nomadisches Leben wie in der alten Zeit ist nicht zu denken, denn in Algerien sind die Vertriebenen nur geduldet.

»Viele junge Leute kommen mit Studienabschlüssen zurück und finden keine Arbeit«, bestätigt Kulturministerin Jadiya Hamdi. In der Führung der Polisario, der politischen Vertretung der Sahrauis, sei man sich des Problems bewusst: »Aber Auswandern ist keine Lösung. Wir wollen keine zerrissenen Familien mit alleinstehenden Vätern oder Müttern. Die Lösung muss gemeinsam gesucht werden.«

Hamadi Bachir, Berater und Dolmetscher des Präsidenten, leugnet nicht, dass in der gegenwärtigen Situation die Gefahr besteht, in passiven Assistenzialismus zu verfallen. Nahrung wird vom Welternährungsprogramm und dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat geliefert, arbeiten kann man nicht. Er versprüht aber Zuversicht, dass der Tag kommen wird und die Landsleute bis dahin das Arbeiten nicht verlernt haben.

Mohamed Dah ist so einer, der jahrelang in Kuba studiert hat. Mit 13 Jahren wurde er in den Karibikstaat verschickt. Als fertiger Volkswirt kehrte er 18 Jahre später zurück. Nur einmal in all den Jahren war er auf Heimaturlaub. 1991 wurde er fast über Nacht aus Kuba zurückgeholt. »Die Vereinten Nationen hatten ein Referendum über das Schicksal der Westsahara angesetzt.« Alle, die vor einem Stichtag dort gelebt hatten und deren Nachkommen, sollten stimmberechtigt sein. Am Ausgang des Volksentscheids wäre nicht zu zweifeln gewesen. Gerade deswegen verhinderte Marokko die Abstimmung. Seither ist die Perspektive der Rückkehr in das Land, das die meisten gar nicht kennen, in weite Ferne gerückt.

Die Kinder von Tarba Sidhi Bachir lernen wie alle anderen in der Schule, dass ihr fruchtbares Heimatland mit den reichen Fischgründen vor der Küste von Marokko besetzt ist und sie eines Tages dort ein Leben in Würde und Wohlstand führen werden. Wann es so weit sein wird, kann ihnen niemand sagen.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Mai 2008


Hoffnung auf eine Kurskorrektur

Premierminister der Sahara-Republik setzt auf Spaniens Regierung. Interview **

Neues Deutschland: Sie selbst sind mit ihrer Famile einst aus der Westsahara vertrieben worden. Im Lager Dajla wurde Mitte April das 5. Internationale Filmfestival gefeiert. Welche Bedeutung hat das für die Sahrauis über den Kulturgenuss hinaus?

Abdel Kader Taleb Aomar: Nach dem Waffenstillstand im Jahre 1988 wurde über unsere Situation kaum mehr gesprochen. Früher berichteten die Medien über die bewaffneten Auseinandersetzungen mit Marokko. Diese Lücke versuchte die Polisario zu füllen, und zwar durch Sportveranstaltungen wie einen Marathon, aber auch durch Musik und eben Kino. Immer mehr Menschen, darunter auch Prominente, interessieren sich dafür und entdecken dabei das Volk der Sahrauis.

Auf der Ebene der Staaten wirkt sich dieses Interesse aber wenig aus.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen, wo alle Staaten eine Stimme haben, hat mehrere Resolutionen zu unseren Gunsten verabschiedet. Aber im Sicherheitsrat gibt es einflussreiche Länder (Frankreich und die USA), die keinerlei Druck auf Marokko ausüben wollen, diese Resolutionen zu erfüllen. Besonders die Franzosen stehen aus historischen Gründen auf der Seite Marokkos und haben jede Lösung blockiert. Die UNO ist ein sehr wertvolles Instrument für die ganze Welt und die internationale Gemeinschaft sollte daran interessiert sein, ihr Scheitern zu verhindern. In der EU gibt es viele Staaten, die auf der Seite des Rechts stehen, auch die nordischen Staaten haben ein gutes Beispiel abgegeben. Österreich, Deutschland, Italien haben die Selbstbestimmung der Sahrauis unterstützt. Norwegen ist einen Schritt weiter gegangen und hat seine Konzerne, die im marokkanisch besetzten Gebiet tätig waren, abgezogen. Das Beispiel sollte Schule machen. In einigen Staaten gibt es Druck der Zivilgesellschaft, dass die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) anerkannt wird und ihre Vertreter diplomatischen Status bekommen. Das wäre ein klares Signal gegenüber Marokko.

Die ehemalige Kolonialmacht Spanien hat eine zwiespältige Position. Auf der einen Seite kommt viel materielle Solidarität nicht nur von der Zivilgesellschaft, sondern auch von staatlichen Stellen und autonomen Provinzen, andererseits steht Madrid politisch auf der Bremse.

So ist es. Die Zivilgesellschaft war immer sehr solidarisch. Es gibt zahlreiche Städtepartnerschaften und an die 10 000 Kinder verbringen jedes Jahr die Sommermonate in Spanien. Schauspieler, Schriftsteller, Journalisten unterstützen uns, aber die Regierung zieht da nicht mit. Das ist ein Problem, das mit der Dekolonisierung zusammenhängt. Marokko macht auch Druck wegen der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla. Es gibt aber in der spanischen Regierung Leute, die empfänglich für unser Problem sind und ich hoffe, dass in der zweiten Amtszeit Zapateros (des spanischen Regierungschefs) eine Kurskorrektur kommt.

Trotz dieses zwiespältigen Verhältnisses zu Spanien hat die DARS das Spanische zur offiziellen Sprache erklärt.

Wir sind der Meinung, dass das Spanische Teil unserer Identität ist und uns von den frankophonen Völker ringsherum unterscheidet. Es ist eine Sprache, die heute größere Bedeutung als das Französische hat und es hat uns geholfen, in Lateinamerika viel Verständnis zu finden. Wir bekommen eine gewisse Bedeutung allein dadurch, dass wir das einzige spanischsprachige arabische Volk sind. Unsere Schulbücher werden nicht in Spanien, sondern in der Schweiz gedruckt. Wenn wir uns für das Spanische entschieden haben, so nicht, um der ehemaligen Kolonialmacht zu schmeicheln, sondern um unsere Identität zu festigen.

Mir ist aufgefallen, dass die meisten Sahrauis sehr gläubig sind, aber den Islam sehr tolerant auslegen und wenig Sympathie für islamistische Eiferer zeigen.

Das sahrauische Volk hat sich immer zu einem toleranten Islam bekannt, der nicht als Werkzeug der Unterdrückung missbraucht wird. Wir haben auch festgestellt, dass uns aus der westlichen Welt mehr Unterstützung zuteil wird als aus den meisten islamischen und arabischen Staaten. Der Fanatismus hat immer nur Hass und Unheil über die Menschen gebracht und dem Ansehen des Islam als tolerante Religion geschadet.

** Abdel Kader Taleb Aomar (57) ist Premierminister der Demokratischen Arabischen Republik Sahara.

Fragen: Ralf Leonhard

* Aus: Neues Deutschland, 29. Mai 2008


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