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Hunderte neue Zelte pro Tag

Bereits über 20000 Menschen protestieren in "Camps der Würde" gegen Marokkos Besatzung der Westsahara

Von Gerd Schumann *

Der gewaltlose Widerstand gegen die Unterdrückung in der Westsahara nimmt weiter zu. Auf über 20000 Menschen, die in etwa 8000 Zelten leben, sind die »Camps der Würde« am Rand der Städte Al-Aaiún, Smara und Boujdour bis zum Donnerstag angewachsen. Und: Immer mehr Einheimische versuchen, sich am Protest in dem von Marokko besetzten Land zu beteiligen. Wie eine Augenzeugin dem Sahara Press Service (SPS) am Donnerstag berichtete, vergrößerten sich die Lager in den vergangenen drei Wochen um bis zu 500 Zelte täglich.

Das geschah trotz eines martialischen Aufmarsches von »Sicherheitskräften« des Königreichs Marokko, das seit 1975 die an Rohstoffen reiche Wüstenregion unter Einsatz offener Gewalt kontrolliert. Dutzende Kontrollpunkte wurden eingerichtet, drei von Armee, Feldgendarmerie und Polizei verantwortete und bewachte »Kreise« sind laut SPS um die protestierenden Saharauis gelegt worden, mit Stacheldraht auf meterhohen Wällen wird versucht, den Zustrom der Bevölkerung zu kontrollieren und zu stoppen. Offensichtlich soll auch die Versorgung mit Nahrung, Wasser und Medikamenten unterbunden werden, hieß es in Berichten. Die Informationen aus den Protestcamps fließen allerdings spärlich, da von marokkanischer Seite aus versucht werde, jegliche Form der Telekommunikation zu unterbinden.

Insgesamt seien einige tausend Uniformierte an dem großangelegten Aufmarsch beteiligt, hieß es. Zudem wird von saharauischer Seite befürchtet, daß zunehmend zivil gekleidete Beamte eingesetzt werden, um in den Camps Streit zu säen und die angespannte Lage auszunutzen, um Gründe zu provozieren, einzumarschieren. Zunächst jedoch scheine eine »totale Isolation« der Widerständler angestrebt zu werden, befürchtete am Donnerstag gegenüber jW Jamal Zakari, Deutschlandsprecher der westsaharauischen Befreiungsbewegung Frente Polisario. Er gehört zu den 400 Teilnehmern eines Kongresses der EUCOCO (Europäische Koordination zur Unterstützung des saharauischen Volkes). Dieser berät bis zum Sonntag im französischen Le Mans unter anderem Möglichkeiten zur »Entkolonisierung der Westsahara«.

Bei den aktuellen Protesten in den Zeltstädten handele es sich um »neue Formen« des Widerstands gegen die anhaltende Repression und Diskriminierung der Bevölkerung, hieß es in einer Erklärung vor Konferenzbeginn am Donnerstag. Es werde auch auf die »sozioökonomische Lage« aufmerksam gemacht: Seit Jahrzehnten plündert Marokko im Zusammenspiel mit internationalen Unternehmen die Bodenschätze ebenso aus wie die Fischreichtümer vor der langgestreckten Atlantikküste. Unter anderem lagern unter dem Wüstensand riesige Salpetervorkommen, Ölvorräte werden vermutet.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte inzwischen von den »marokkanischen Verantwortlichen« die Einrichtung einer Untersuchungskommission. Diese sollte sich mit dem Tod des 14jährigen Nayem Al-Garhi beschäftigen. Der junge Saharaui war am Sonntag abend von marokkanischen Polizisten nahe des Camps bei Al-Aaiún erschossen worden.

* Aus: junge Welt, 29. Oktober 2010


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