Rabats Spiel auf Zeit
Königreich Marokko und die Frente Polisario reden über Verhandlungen zur Westsahara
Von Daan Bauwens (IPS), Rabat/Raoul Wilsterer *
Sie sitzen wieder zusammen, wenn auch nur zu Vorverhandlungen: Die Vertreter Marokkos und der saharaouische Befreiungsbewegung Frente Polisario trafen sich in Genf. Das geschah Anfang der Woche auf Initiative des UN-Sonderberichterstatters Christopher Ross und der USA. Diese streben an, daß beide Seiten ein formelles Treffen vereinbaren, auf dem sie über die Zukunft der Westsahara verhandeln - das war zuletzt vor 16 Monaten in New York gescheitert.
Seitdem haben sich allerdings die Ausgangsbedingungen nicht wesentlich verändert. Hauptgrund hierfür bleibt die sture Haltung des marokkanischen Königreichs, das sich anhaltend einem Referendum zur Zukunft der Westsahara verweigert. Und für Polisario besteht unterhalb ihrer zentralen Forderung nach einem Volksentscheid kaum Spielraum.
Rabat wird folglich mit Tricks und Scheinangeboten bei Verfahrensfragen weiter auf Zeit spielen, der internationalen Öffentlichkeit Gesprächsbereitschaft vorgaukeln und zugleich seine Herrschaft über die ressourcenreiche Westsahara weiter befestigen. Derzeit wird das Gebiet bereits mit einem Wall quer durch die Wüste und mittels hoher Militärpräsenz abgeriegelt. Dem auf militärische Fragen spezialisierten Marktforschungsinstitut »Forecast International« zufolge leistet sich Marokko 250 000 Soldaten, von denen 150000 in der Westsahara stationiert sind.
Trotzdem bereiten dem Königreich vor allem drei Faktoren zunehmend Sorgen. Neben der Standfestigkeit der Polisario und den ehemaligen Bewohnern der Westsahara - etwa 150000 Flüchtlinge leben seit 1975 nahe des südalgerischen Tindouf unter lagerähnlichen Bedingungen - regt sich in der Städten der besetzten Gebiete selbst wachsender Volkswiderstand. Zudem steigen die anfallenden Kosten: Für die Besatzung zahlt die Regierung in Rabat nach Berechnungen des Ökonom Fouad Abdelmoumni, Chef der marokkanischen Vereinigung für Mikrokredite »Al Amana«, umgerechnet zehn Millionen Euro pro Tag. Abdelmoumni ermittelte, daß die marokkanischen Militärausgaben fünf Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts ausmachen.
Alle Unternehmen, die in der Westsahara investieren und sich an den Bodenschätzen der Saharaoui bereichern, sind von Steuern befreit. Zudem belohnt Rabat vor allem abtrünnige Polisario-Mitglieder mit Gutscheinen in Höhe von jeweils 120 bis 150 Euro pro Monat. Die britische Zeitung The Guardian berichtete bereits 2007, daß das »Maroccan American Policy Centre« 30 Millionen Euro ausgegeben hat, um US-Lobbygruppen in der Frage der Westsahara auf seine Seite zu ziehen.
Für Marokko sind das Investitionen in die Zukunft. So rechnet der König mit der Westsahara als festem Bestandteil seines Herrschaftsbereichs. Die Polisario wird seit 1991, als der bewaffnete Kampf der Frente eingestellt wurde und die UNO eine Truppe (Minurso) zur Vorbereitung einer Volksabstimmung entsandte, hingehalten. Sie hat schlechte Karten, solange sich die Vereinten Nationen als macht- und willenlose Mittler verstehen, und solange Madrid und Paris an der Seite der marokkanischen Besetzer stehen.
* Aus: junge Welt, 8. August 2009
Es geht um Rohstoffe **
Die Polisario-Front ("Frente Popular para la Liberacion de Saguia el
Hamra y Río de Oro" - Volksfront zur Befreiung von Saguia el Hamra und
Río de Oro) hatte 1976 die "Demokratische Arabische Republik Sahara"
(DARS) ausgerufen, die von über achtzig Staaten anerkannt wurde. Marokko
hat große Anstrengungen unternommen, um die phosphatreiche Wüstenregion
durch massiven Bevölkerungstransfer an sich zu binden.
Das Phosphatvorkommen gilt als eines der größten der Welt, Marokko und
die Westsahara halten 32 Prozent der Weltphosphorreserven, nur China
verfügt mit 37 Prozent der Weltreserven über noch bedeutendere Lagerstätten.
Bei Bou Craa wird das Phosphat im Tagbau abgebaut und mit dem längsten
Förderband der Welt zum Hafen von El Aaiún gebracht. Die Polisario
betrachtet die Verladung der Bodenschätze dort als Diebstahl, da es sich
aus ihrer Sicht um den unerlaubten Abtransport von Bodenschätzen aus
völkerrechtswidrig besetztem Gebiet handelt. Auch der Tourismus bekommt
eine immer größere Bedeutung.
Der UNO-Sicherheitsrat hatte in der Resolution 1429 das
Selbstbestimmungsrecht der Westsahara-bevölkerung anerkannt. Während die
in Algerien etablierte Exilregierung der DARS dem vom ehemaligen
US-Außenminister James Baker ausgearbeiteten Referendumsplan zustimmte,
wurde dieser von Marokko abgelehnt.
Dieser Plan sah vor, die Bevölkerung bis 2008 in einem Referendum
darüber entscheiden zu lassen, ob sie die volle Unabhängigkeit will oder
zu Marokko gehören möchte.
Die Exilregierung der Westsahara will das Referendum, das drei Optionen
vorsieht (Unabhängigkeit, Anschluss an Marokko oder Autonomie), Marokko
beharrt auf einer Autonomielösung. Die DARS-Regierung hat ihren Sitz in
der algerischen Wüste bei Tindouf, wo zehntausende Menschen in
Flüchtlingslagern leben.
** Quelle: Auszug aus einem Artikel, der am 10. August 2009 in der
Wiener Zeitung "Die Presse" erschien.
Chronologie des Westsahara-Konflikts ***
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1884 - Beginn der spanischen Kolonisierung der Westsahara - bestehend
aus zwei Regionen: Saguia el Hamra im Norden, Rio de Oro im Süden. In
den Jahren 1904-14 wird mit Frankreich - Kolonialmacht in Westafrika und
Protektoratsmacht in Marokko - die Grenzziehung festgelegt.
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1958 - Spanien tritt 25.000 qkm im Norden der Westsahara an das
unabhängig gewordene Königreich Marokko ab. Die bisherige Kolonie wird
vom Franco-Regime zur spanischen "Provinz" erklärt. Ab 1960 werden große
Phosphatlager entdeckt.
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1968 - Spanien wird in der UNO-Resolution 2428 aufgefordert, ein
Selbstbestimmungs-Referendum durchzuführen, kommt dieser Aufforderung
aber nicht nach.
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1973 - Gründung der Befreiungsfront Polisario ("Frente Popular para la
Liberacion de Saguia el Hamra y Rio de Oro").
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1975 - Der Haager Internationale Gerichtshof (IGH) unterstreicht das
Selbstbestimmungsrecht der saharauischen Bevölkerung. 350.000
unbewaffnete Marokkaner folgen einem Aufruf von König Hassan II. zum
"Grünen Marsch" in die Westsahara (6. November); Spanien schließt mit
Marokko und Mauretanien Abkommen, die zwei Drittel des Territoriums den
Marokkanern, das südliche Drittel den Mauretaniern zusprechen.
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1976 - Die von Algerien unterstützte Polisario-Front ruft die
"Demokratische Arabische Republik Sahara" (DARS) aus. Mohamed Abdelaziz
wird Präsident.
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1979 - Mauretanien unterzeichnet einen Friedensvertrag mit der DARS und
räumt den südlichen Teil, in den umgehend die marokkanische Armee
vorstößt. Guerillakrieg, in dem die Polisario den Marokkanern schwere
Verluste zufügt. 160.000 Saharauis flüchten nach Algerien. Die Regierung
in Rabat beginnt mit massivem Bevölkerungstransfer.
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1984 - Die von über 80 Staaten anerkannte DARS wird in die Organisation
der Afrikanischen Einheit (OAU) aufgenommen. Marokko tritt aus Protest
aus der panafrikanischen Organisation aus.
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1988 - Marokko und die DARS akzeptieren einen Waffenstillstandsplan von
UNO-Generalsekretär Javier Perez de Cuellar.
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1991 - Waffenstillstandsabkommen tritt in Kraft; UNO-Sicherheitsrat
beschließt UNO-Westsahara-Mission (MINURSO) mit dem Auftrag, eine
Volksabstimmung vorzubereiten.
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1992 - Beginn der Erfassung der Abstimmungsberechtigten. Zwei Versuche,
das Referendum durchzuführen, scheitern am Widerstand Marokkos. Die
Aussöhnung zwischen Marokko und Algerien schwächt nur kurzfristig die
Position der DARS.
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1996 - UNO suspendiert Wählerregistrierung.
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1997 - Ex-US-Außenminister James Baker wird UNO-Sonderbeauftragter für
die Westsahara. Direktverhandlungen Marokko-DARS in Lissabon.
Durchführung von Referendum scheitert abermals.
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2002 - USA legen Autonomieplan vor. Spanien besteht auf Abhaltung von
Unabhängigkeits-Referendum.
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2004 - Baker, dessen Referendums-Plan von Marokko abgelehnt wird, legt
seinen Auftrag zurück. DARS lässt hundert marokkanische Gefangene frei.
Der UNO-Sicherheitsrat fordert Marokko und die DARS auf, den
Friedensplan Bakers zu akzeptieren.
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2005 - DARS lässt die letzten marokkanischen Gefangenen frei und ruft
UNO auf, die Erschließung von Ölvorkommen vor der Atlantikküste zu
stoppen. Dabei ging es unter anderem um die zwischen Marokko und der
französischen TotalFinaElf geschlossenen Bohrverträge.
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2007 - DARS stimmt einem Referendum mit drei Optionen (Unabhängigkeit,
Anschluss an Marokko oder Autonomie) zu, Marokko lehnt Referendum weiter
ab. Informelle Gespräche unter UNO-Schirmherrschaft bleiben ergebnislos.
*** Quelle: Der Standard (online), 8. Auguste 2009
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