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Verbannt aus der Heimat

Seit 25 Jahren leben Sahrauis im algerischen Exil

Von Birger Müller

Die junge welt vom 21. April 2001 brachte eine Bild-Text-Reportage über das Schicksal von Sahrauis im algerischen Exil. Wir dokumentieren den Textteil der Reportage.

Wenn Fanfana ihre Mutter vom Meer sprechen hört, verklärt sich ihr Blick. Dann versucht sie sich vorzustellen, wie es ist, zu baden und die Wellen zu spüren. Fanfana hat das Meer noch nie gesehen. Vor 17 Jahren wurde sie in einem Flüchtlingslager der Sahrauis im algerischen Hamada geboren. In ihrem Leben gibt es nur Sand, Steine und das, was die vorherige Generation behelfsmäßig aufgebaut hat. Für sie ist ein Leben im Exil die Normalität. Und doch kann sie die Flucht ihrer Eltern erzählen, als wäre sie dabei gewesen.

Nachdem die spanischen Kolonialherren im November 1975 die »letzte Kolonie der Welt« aufgaben, rückten marokkanische und mauretanische Truppen in das Land der sahrauischen Nomaden vor. Die Sahrauis sahen sich gezwungen, in die Wüste zu flüchten. Die Familien, die entkommen konnten, waren monatelang weiterer Bedrohung durch marokkanische Flugzeuge und den von Süden einfallenden mauretanischen Truppen ausgesetzt, bis sie eine sichere Bleibe in der Nähe des algerischen Dorfes Tindouf fanden. Hier leben sie seit 25 Jahren, 1.000 Kilometer von ihrer Heimat entfernt.

Fanfanas Vater erzählt oft von den ersten behelfsmäßigen Zelten, den darauffolgenden Häusern aus Lehmziegeln und immer wieder von einer Rückkehr und der Unabhängigkeit. Mittlerweile haben sich die 165.000 Sahrauis in vier weitläufigen Lagern ein Leben im Exil aufgebaut. In der kargen Einöde entstanden Schulen, Krankenhäuser, spezielle Einrichtungen für Behinderte. Die nach den größten Städten der besetzten Gebiete benannten Camps haben eigene Abwasserkanäle und durch Solarzellen gespeiste Fernseher und Radios.

Wenn die Gemüsegärten geöffnet werden und die Frauen Wochenrationen an Möhren für die Familien ernten, reden sie überwiegend vom Krieg. An eine andere Möglichkeit, in ihr Land zurückzukehren, scheint niemand mehr wirklich zu glauben. Befragt man Fanfanas 13 Jahre alten Bruder Umbark nach dem Konflikt mit Marokko, erzählt er von der Armee. Wie fast alle anderen Männer will er für eine Unabhängigkeit kämpfen. Der von der UNO auf 15.000 Mann geschätzten Frente Polisario, der sahrauischen Befreiungsarmee, steht ein Staat gegenüber, der dem Verteidigungshaushalt hohe Summen bereitstellt, um Phosphat-Abbau, ertragreiche Fischgebiete und Ölförderung zu sichern. Dennoch glauben die Sahrauis an einen Sieg. »Wir haben nichts zu verlieren« und »notfalls wird jeder kämpfen«, sagt Abdel, ein 26jähriger Sahraui, während er das besetzte Gebiet immer wieder mit seinem Feldstecher ins Visier nimmt.
Aus: junge welt, 21. April 2001

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