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"Kuba hilft mit medizinischem Personal"

Rund 180000 Sahrauis vegetieren in Flüchtlingslagern in der algerischen Wüste. Ein Gespräch mit Maite Berzosa *


Maite Berzosa aus Donostia (San Sebastian) ist Mitglied der baskischen Solidaritätsorganisation »Asociación de amigos de la R.A.S.D.« Die R.A.S.D. ist die von der Befreiungsorganisation Polisario ausgerufene »Demokratische Arabische Republik Sahara«, bis 1975 die spanische Kolonie Westsahara

Sie kommen soeben aus der Sahara zurück, aus den Flüchtlingslagern der Polisario in der algerischen Stadt Tindouf. Wie ist die Lage der Sahrauis, die dort leben?

Dort leben zur Zeit 180000 Menschen, wir müssen aber auch an diejenigen denken, die in den von Marokko besetzten Gebieten der Westsahara leben. Die Situation in den Lagern ist ernüchternd, die Männer sind meist irgendwo zum Studium im Ausland, deswegen wird das Leben im Lager fast ausschließlich von Frauen organisiert, sowohl administrativ als auch kulturell. Zum Überleben sind sie auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen, die eigene Lebensmittelproduktion ist sehr bescheiden, und andere Waren werden nicht hergestellt. Die Frauen leiten die Verteilung der immer weniger werdenden Hilfslieferungen und organisieren so etwas wie eine Grundschulausbildung für die Kinder sowie kulturelle Aktivitäten.

Die ehemals spanische Kolonie Westsahara wurde nach ihrer Unabhängigkeit im Jahre 1975 von Marokko besetzt; ein von der UNO gefordertes Referendum über die politische Zukunft dieses Territoriums wird von den Besatzern verhindert. Auch wenn in Europa kaum jemand etwas über diesen Konflikt weiß – gibt es trotzdem humanitäre Hilfe aus der EU?

Eine offizielle Unterstützung gibt es eigentlich nur durch die UNO. Als 1991 »Friedensgespräche« zwischen der Polisario und Marokko begannen, hatte sie sich verpflichtet, die Nahrungsmittelversorgung der sahrauischen Bevölkerung so lange sicher zu stellen, bis eine politische Lösung gefunden ist. Die Lieferungen sind in letzter Zeit allerdings immer geringer geworden, eine politische Lösung wird von Marokko jetzt schon seit zwei Jahrzehnten blockiert.

Allerdings bekommen die Sah­rauis auch inoffizielle Hilfe, und zwar vor allem von Solidaritätsorganisationen und den autonomen Teilstaaten Spaniens, also von Andalusien, den kanarischen Inseln, Katalonien und dem Baskenland. Zusammen sind das jährlich etwa 500 Tonnen Nahrungsmittel sowie Dinge des täglichen Bedarfs. Jeden Winter fährt z.B. ein Lastwagen-Konvoi vom baskischen Bilbao bis in die algerische Wüste nach Tin­douf.

Welche Rolle spielen die arabischen Länder? Unterstützen sie die Polisario, die seit 1991 in der UNO als Vertreterin der sahrauischen Bevölkerung anerkannt ist?

Am wichtigsten ist Algerien, weil es für die Flüchtlinge einen Teil seines Territoriums zur Verfügung stellt, sehr viel Hilfe kommt aus Kuba. Für die Sahrauis ist es ein riesiges Problem, daß Libyen jetzt als Helfer ausfällt – dort konnten nämlich viele junge Sahrauis kostenlos studieren oder zur Schule gehen. Zu Beginn des NATO-Krieges gegen Revolutionsführer Muammad Ghaddafi waren über 900 Schüler und Studenten in Libyen, hinzu kamen Landsleute, die dort Arbeit gefunden hatten. Die Ermordung Ghaddafis hat in der Westsahara große Trauer ausgelöst.

All diese Leute mußten evakuiert werden, ihre Zukunft ist unsicher. Die Frage ist auch, ob weiterhin Sahrauis in libyschen Krankenhäusern behandelt werden können. Kuba jedenfalls, selbst ein armes Land, hat medizinisches Peronal in die Flüchlingslager geschickt. Kostenlos, die Ärzte und Krankenschwestern sind Angestellte des kubanischen Staates.

Wie beurteilen Sie die Stimmung in den Lagern von Tin­douf? Welche Erwartungen an die Zukunft haben die Menschen dort?

Sie sind ziemlich demoralisiert, Resignation macht sich breit. Es gibt zwei Gruppen: Die Alten, die den Kampf gegen die marokkanischen Besatzer nach der Unabhängigkeit im Jahre 1975 noch mitgemacht haben und nun auf eine Verhandlungslösung setzen. Dann sind da die Jungen, die nichts anderes kennen, als das Leben in Flüchtlingslagern oder im Exil. Sie machen sich keine Illusionen mehr, daß sich dieser Konflikt durch Verhandlungen mit Marokko lösen läßt. Immer mehr sind mittlerweile dafür, den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen.

Interview: Stefan Natke

* Aus: junge Welt, 12. November 2011


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