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Sahrauische Intifada

Kongreß der Befreiungsbewegung Polisario in Tifariti abgeschlossen *

Am gestrigen Donnerstag (22. Dez.) ist in Tifariti in den von der Befreiungsfront Polisario kontrollierten Gebieten der Westsahara der 13. Kongreß dieser Organisation zu Ende gegangen. Die Beratungen der am 15. Dezember eröffneten und ursprünglich nur bis Montag angesetzten Versammlung waren am Dienstag um weitere 48 Stunden verlängert worden. Das sei notwendig gewesen, um alle Aufgaben des Kongresses erfüllen zu können, erläuterte der Sprecher des Konferenzpräsidiums, Mohamed Omar, gegenüber der sahrauischen Nachrichtenagentur SPS. Dazu gehörten auch die Wahl der Führung der Befreiungsfront, an deren Spitze der seit 1976 amtierende Generalsekretär Mohamed Abdelaziz bestätigt wurde. 96 Prozent der Anwesenden stimmten für ihn, allerdings nahm ein Drittel der 2095 Delegierten nicht an der Wahl teil. Einen Grund dafür teilte SPS nicht mit.

Gegenüber Journalisten erklärte Abdelaziz nach seiner Wiederwahl, er persönlich hätte einen personellen Wechsel an der Spitze der Organisation bevorzugt. Die Delegierten hätten jedoch auf seiner Person bestanden, so der 64jährige. Er werde nun gemeinsam mit seinen Genossen an der Spitze der Organisation keine Mühen scheuen, dem sahrauischen Volk zu dienen, und das von den Mitgliedern in sie gesetzte Vertrauen nicht enttäuschen.

Geprägt wurden die Beratungen der Delegierten von den Ereignissen der vergangenen zwölf Monate in der Re­gion. So hob der sahrauische Botschafter bei der Afrikanischen Union, Sidi Mohamed Omar, die Übereinstimmung der im »arabischen Frühling« und der durch die Polisario proklamierten Ziele hervor. »Sie fordern vor allem ihre grundlegendsten Freiheitsrechte ein, und wir kämpfen gegen ein unterdrückendes, kolonialisierendes und von einem diktatorischen Regime geführtes Königreich Marokko für dieselben Ziele«, erklärte der Diplomat. Er hoffe, daß die seit einem Jahr wehenden »Winde der Veränderung« auch die Sache der Sahrauis befördern werden.

Soukaina Jed Ahloun aus der von Marokko besetzten Hauptstadt der Westsahara, Al-Aaiún, erinnerte an den »sahrauischen arabischen Frühling« im Oktober 2010, als Zehntausende Menschen mit einem wochenlangen Zeltlager in Gdaim Izik gegen ihre elende Lage protestiert hatten. Mit brutaler Gewalt hatte die Besatzungsmacht Anfang November 2010 das Camp aufgelöst. Dabei sollen Angaben der Polisario zufolge mindestens zwölf Menschen getötet worden sein. Die Welt weigere sich jedoch noch immer, die von der »sahrauischen Intifada« ausgehende Botschaft zu hören, kritisierte die Aktivistin. Der wichtigste Unterschied zwischen den Ereignissen in Libyen, Tunesien und Ägypten einerseits und dem Kampf der Sahrauis andererseits sei »der Status des Gegners«. Während die ersteren für den Sturz ihrer Regime gekämpft hätten, wollten die Sahrauis eine Besatzungsmacht vertreiben.

Der Polisario-Kongreß beschloß die Einrichtung einer Kommission für die Intifada in den besetzten Gebieten. Das sei eine Anerkennung für die Rolle des friedlichen Widerstands der Bevölkerung in den von Rabat okkupierten Territorien, sagte der Menschenrechtsaktivist Ali Salem Tamek gegenüber Medienvertretern. Die Beteiligung von 54 Delegierten aus den besetzten Gebieten an der Versammlung sei »kein Geschenk der marokkanischen Besatzung, sondern ein durch friedlichen Kampf und enorme Opfer der Sahrauis in den besetzten Städten und Ortschaften erreichter Sieg«.

Die frühere spanische Kolonie Westsahara wird seit 1976 von Marokko besetzt gehalten. Während die Befreiungsbewegung auf der Durchführung eines 1991 durch UN-Vermittlung mit Rabat vereinbarten Referendums über die Unabhängigkeit des Landes besteht, will die marokkanische Regierung höchstens einer Autonomieregelung für das Gebiet zustimmen, in dem große Bodenschätze vermutet werden. Derzeit haben 46 Länder der Welt die 1976 von der Polisario ausgerufene Demokratische Arabische Republik Sahara anerkannt. (PL/SPS/jW)

* Aus: junge Welt, 23. Dezember 2011


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