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Wo der arabische Frühling begann

UN-Sicherheitsrat bereitet erneute Beratungen über Westsahara vor

Von Axel Goldau *

Unter indischem Vorsitz werden am 28. November die Probleme in der Westsahara wieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen diskutiert werden. Nach denen in Palästina und Zypern ist die Mission der Vereinten Nationen für ein Referendum in der Westsahara (MINURSO) mittlerweile die drittälteste UN-Mission. Sie hat ihren Zweck, den Menschen der ehemaligen spanischen Kolonie zu ihrem Selbstbestimmungsrecht zu verhelfen, bis heute nicht erfüllt.

Es ist vor allem das ständige Mitglied des UN-Sicherheitsrats Frankreich, das stets seine schützende Hand über seinen wichtigsten Verbündeten auf dem afrikanischen Kontinent, das Königreich Marokko, hält. Nur so ist es zu erklären, daß Marokko neben Israel das einzige Land auf dieser Welt ist, das immer wieder ungestraft gegen UN-Resolutionen verstoßen kann. Mittlerweile haben die jüngsten Ereignisse in Nordafrika und dem Nahen Osten jedoch allen deutlich vor Augen geführt, daß man auch solche Verbündete verlieren kann, die vorwiegend auf Repression und Gewalt setzen.

Tatsächlich nahm der »arabische Frühling« seinen Anfang im November vor zwei Jahren in der Westsahara, die seit einer brutalen Invasion und Okkupation von Marokko 1975 beherrscht wird. Marokkanische Polizei kam und zerstörte Zeltstädte, tötete und verletzte viele Menschen. Und dann sprang der Funke über, beurteilte Noam Chomsky im Februar 2011 in der Sendung »Democracy Now« den Beginn der Umwälzungen im arabischen Raum.

Anfang Oktober 2010 hatten die Proteste der sahrauischen Bevölkerung einen Höhepunkt erreicht. Tausende Sahrauis verließen die Städte und versamelten sich in dem Protestcamp Gdeim Izik, etwa 20 Kilometer von Al-Aaiún, der Hauptstadt des Landes, entfernt. Die Besatzungsmacht reagierte brutal: Das Camp wurde abgeriegelt, alle Ein- und Ausfahrenden sollten kontrolliert und vor allem sollte verhindert werden, daß Informationen an die Weltöffentlichkeit dringen. Während einer solchen Kontrolle wurde in der Nacht vom 24. zum 25. Oktober der 14jährige Elgarhi Nayem erschossen.

In den frühen Morgenstunden des 8. November stürmte marokkanische Polizei und Gendarmerie das »Lager der Würde«. Anschließend kam es in den größeren Städten des Landes zu gewalttätigen Ausschreitungen. In einem Bericht von Human Rights Watch vom 26. November 2010, der sich auf marokkanische Angaben beruft, ist von elf toten Polizisten und mindestens zwei zivilen Opfern die Rede. Nach einem Korrespondentenbeitrag der New York Times vom 9. Dezember 2010 sollen »mit Messern bewaffnete Schläger den friedlichen Protest in dem Lager unterwandert« haben. All dies ist allerdings nicht nachprüfbar, weil die marokkanische Verwaltung bisher jede unabhängige Untersuchung verweigert. Ausländische Delegationen und Besucher werden immer wieder bedrängt, eingeschüchtert oder sogar des Landes verwiesen.

Anfang November bereiste der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Christopher Ross, die Region, um die Beratungen im Sicherheitsrat vorzubereiten. Dabei traf er mit dem Vorstand der sahrauischen Menschenrechtsorganisation CODESA zusammen – darunter mit Aminatou Haidar. An den Gesprächen nahm auch der neue Leiter von MINURSO, der deutsche Diplomat Wolfgang Weisbrod-Weber, teil.

Das Verhältnis zwischen UN-Vertretern und Rabat ist derzeit getrübt. Im Frühjahr hatte das Regime lautstark die Abberufung von Ross gefordert und gegen die Ernennung von Weisbrod-Weber protestiert. Anlaß der Verstimmung waren Spionagevorwürfe gegenüber marokkanischem MINURSO-Personal. Der neue Leiter der Mission hatte mehrere Mitarbeiter, gegen die entsprechende Vorwürfe erhoben worden sind, kurzerhand entlassen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 14. November 2012


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