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EU-Parlament lehnt Fischfang vor der Küste der Westsahara ab

EU-Schiffe müssen aus dem Gebiet abgezogen werden

Von Axel Goldau *

Am Mittwoch, den 14. Dezember, gegen 11:30 lehnte das Europäische Parlament mit knapper Mehrheit von 326:296 Stimmen bei 58 Enthaltungen die Verlängerung des Protokolls zum „Fischerei-Partnerschafts-Abkommen zwischen der EU und dem Königreich Marokko“ ab.

Das Abkommen wurde 2006 für den Zeitraum von 2007 bis 2011 geschlossen. Es verlängert sich um weitere vier Jahre, wenn es nicht von einer der beiden Vertragsparteien gekündigt wird. Die Einzelheiten über Fangorte, Fangmengen und „Kompensationszahlungen“ regelt ein Protokoll. Dieses Protokoll war bereits zum 28. Februar ausgelaufen und wurde am Parlament vorbei vom Ministerrat – mit den Stimmen der Bundesregierung - um ein Jahr verlängert. Erst am 14. Dezember wurde das Parlament befragt. „Die EU und die Bundesregierung sind mit ihrer Unterstützung des Fischereiabkommens mit dem autoritären Regime in Marokko gescheitert. Es bleibt der Skandal, dass die Bundesregierung trotz des fehlenden Mehrwerts für die saharauische Bevölkerung in der völkerrechtswidrig besetzten Westsahara das EU-Fischereiabkommen mit Marokko lückenlos fortsetzen lassen hat.“, erklärte hierzu die Sprecherin für internationale Beziehungen der Fraktion Die LINKE, Sevim Dagdelen.

Aus einem Evaluierungsbericht, den die Kommission in Auftrag gegeben hatte, geht hervor, dass dieses Abkommen die Fischbestände im Fanggebiet nachhaltig schädigt, keinerlei entwicklungspolitische Impulse in der Region setzt und wirtschaftlich für die EU ruinös ist. Darüber hinaus verstößt die EU auch gegen das Völkerrecht, weil die Gewässer des von Marokko besetzten Teils der Westsahara mit abgefischt werden, ohne die autochthone Bevölkerung, die Saharauis, auch nur konsultiert zu haben. Dies hatte bereits der Juristische Dienst des EU-Parlaments 2006 festgestellt.

Im Herbst haben sich sowohl der Entwicklungs- (DEVE) als auch der Haushaltsausschuss (BUDG) des Parlaments gegen die Verlängerung des Protokolls ausgesprochen. Grundlage hierfür ist der Entwurf des finnischen liberalen Abgeordneten Carl Haglund, den er für den Fischereiausschuss (PECH) erstellt hatte. Allerdings wurde sein Berichtsentwurf im von der spanisch/französischen Fischerei-Lobby dominierten Fischerei-Ausschuss auf den Kopf gestellt: Der federführende Fischerei-Ausschuss empfahl nun die Verlängerung des umstrittenen Protokolls.

Dagegen hat sich die Mehrheit der Abgeordneten am Mittwoch ausgesprochen. Die EU-Schiffe müssen aus dem Gebiet abgezogen werden. Dies löste innerhalb der internationalen zivilgesellschaftlichen Organisation Western Sahara Resource Watch (WSRW), die bereits seit 2006 gegen dieses Abkommen argumentiert, Freude aus. Da sich aber das Parlament durchaus für ein neues Abkommen ausgesprochen hat, kündigte ein WSRW-Sprecher schon einmal an: „Jetzt müssen wir alles tun, was wir können, das nächste Abkommen zu Fall zu bringen“.

* Kontakt: redaktion@kritische-oekologie.de; Internet: www.ifak-goettingen.de


Solidarität aus Europa

EU-Parlamentarier blockieren Fischereiabkommen mit Marokko wegen Konflikt um die Westsah0ara. Kongreß der Befreiungsfront Polisario eröffnet

Von André Scheer **


Seit dem gestrigen Donnerstag (15. Dez.) sind die Hoheitsgewässer Marokkos für Fischereischiffe aus der Europäischen Union gesperrt. Damit reagierte das Außenministerium in Rabat am Mittwoch abend auf eine wenige Stunden zuvor getroffene Entscheidung des Europaparlaments gegen eine Verlängerung des zwischen der EU und Marokko getroffenen Fischereiabkommens. Das eigentlich bereits am 27. Februar ausgelaufene Abkommen war seither »vorläufig« weiter angewendet worden. Nun lehnten die Abgeordneten mit 326 gegen 296 Stimmen eine von der EU-Kommission beantragte Ausweitung der Geltungsdauer ab.

Rabat kritisierte in einer offiziellen Erklärung, daß die Parlamentarier einen neuen Vertrag gefordert hätten, der »ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig« sein müsse. Tatsächlich betreibe Marokko jedoch sehr aktiv den Schutz der biologischen Vielfalt des Meeres vor seiner Küste und habe Maßnahmen gegen eine Überfischung getroffen. Nur in einem Nebensatz kritisierte die marokkanische Regierung die Entscheidung der Abgeordneten als »Angriff auf die territoriale Integrität« des Landes.

Tatsächlich aber war die Lage in der von Marokko annektierten Westsahara der zentrale Grund für den Beschluß des Plenums in Strasbourg. Ein neues Abkommen müsse die Interessen der sahrauischen Bevölkerung berücksichtigen, forderten die Parlamentarier. In dem 2006 geschlossenen Abkommen war die Sahara mit keinem Wort erwähnt worden, während ausdrücklich festgestellt wurde, daß die Aktivitäten der Fischereikonzerne den nationalen Gesetzen Marokkos unterliegen. Diese beanspruchen ihre Geltung jedoch auch für das annektierte Gebiet der Westsahara. Menschenrechtsaktivisten aus der Region, wie die international bekannte und erst am 30. November mit dem René-Cassin-Menschenrechtspreis der baskischen Regierung ausgezeichnete Aminatou Haidar, haben immer wieder darauf hingewiesen, daß die Bevölkerung der okkupierten Region nicht von dem Abkommen und den damit verbundenen Millionenzahlungen der EU an Rabat profitiert. Umweltschützer kritisierten die Überfischung der Gewässer und schwerwiegende Folgen für die Umwelt. Der spanische Verfassungsrechtler Carlos Ruiz Miguel bezeichnete das Abkommen am Dienstag sogar als »Bedrohung für die europäische Sicherheit«, weil es den Drogenschmuggel erleichtere.

Die sahrauische Befreiungsbewegung Frente Polisario begrüßte die Entscheidung des Strasbourger Parlaments. Ihr Europavertreter Mohammed Sidati sagte, die Europaparlamentarier hätten ihre Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten und dem Völkerrecht bekräftigt und dem sahrauischen Volk gezeigt, daß es nicht vergessen ist. Die Sprecherin für internationale Beziehungen der Linksfraktion im Bundestag, Sevim Dagdelen, erinnerte jedoch daran, daß die EU-Regierungen zuvor eine Verlängerung des Abkommens angestrebt hätten, obwohl beispielsweise der Juristische Dienst des Europäischen Parlaments auf die Völkerrechtswidrigkeit des Abkommens hingewiesen habe: »Es bleibt der Skandal, daß die Bundesregierung trotz des fehlenden Mehrwerts für die sahrauische Bevölkerung in der völkerrechtswidrig besetzten Westsahara das EU-Fischereiabkommen mit Marokko lückenlos fortsetzen lassen hat. «

Für die Befreiungsfront kommt Marokkos Schlappe zu einem günstigen Zeitpunkt. Am gestrigen Donnerstag eröffnete sie in Tifariti, dem Zentrum der von der Polisario kontrollierten Gebiete der Westsahara, ihren 13. Kongreß unter dem Motto »Ein unabhängiger sahrauischer Staat ist die Lösung«. 2100 Delegierte – darunter 50 aus den von Marokko besetzten Gebieten - und 300 ausländische Gäste wurden zu dieser bis zum kommenden Montag dauernden Konferenz erwartet, die das höchste Organ der Polisario ist, den Statuten zufolge alle drei Jahre stattfinden soll und maximal um ein weiteres Jahr verschoben werden darf. Auf der Tagesordnung stehen auch in diesem Jahr die stagnierenden Vermittlungsbemühungen der UNO um eine Lösung des Konflikts. Die Polisario pocht auf die Durchführung einer seit dem 1991 geschlossenen Waffenstillstand ausstehenden Volksabstimmung über den Status des Gebietes. Während sie die Unabhängigkeit des Landes erreichen will, will Rabat maximal eine Autonomieregelung für das Gebiet zulassen. Vor dem Hintergrund der seit Jahren fruchtlosen Verhandlungen wurde in den vergangenen Monaten in den Reihen der Befreiungsfront auch der Ruf nach einer Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes gegen die Besatzungsmacht laut. Auch die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina meldete am Donnerstag, der Kongreß könne die »Rückkehr zu alten Formen des Kampfes« beschließen.

** Aus: junge Welt, 16. Dezember 2011

Hintergrund: Westsahara

Die Westsahara war jahrzehntelang eine spanische Kolonie, gegen den aktiven Widerstand der Bevölkerung. Da die Franco-Diktatur in Madrid auch Aufforderungen der Vereinten Nationen ignorierte, das Gebiet in die Unabhängigkeit zu entlassen, wurde im Mai 1973 die »Volksfront zur Befreiung von Saguia el Hamra und Río de Oro« (Polisario) gegründet, die den bewaffneten Kampf gegen die Kolonialmacht aufnahm. Nach dem Tod des Diktators Francisco Franco im November 1975 zog sich Spanien aus dem Gebiet zurück und erklärte seine Herrschaft zum 26. Februar 1976 für beendet. Die Polisario reagierte darauf einen Tag später mit der Ausrufung der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS), die derzeit von 46 Staaten der Welt anerkannt ist. Doch die Hoffnung der Sahrauis auf Unabhängigkeit erfüllte sich nicht. Statt dessen marschierten Truppen Marokkos und Mauretaniens in das Gebiet ein. Rabat annektierte 1976 die nördlichen zwei Drittel der Westsahara. Als sich Mauretanien drei Jahre später aus der Westsahara zurückzog, dehnte Marokko seinen Anspruch auch auf das übrige Gebiet aus.

Bis 1991 setzte die Polisario ihren bewaffneten Kampf gegen die marokkanische Besatzung fort. Auf Vermittlung der UNO kam es dann zu einem Waffenstillstandsabkommen zwischen beiden Seiten, das auch ein Referendum über die Unabhängigkeit des Gebiets vorsah. Marokko verhindert jedoch seither die Durchführung dieser Volksabstimmung. Proteste und Aufstände der Bevölkerung in den besetzten Gebieten werden immer wieder brutal unterdrückt. Während Marokko rund zwei Drittel der Westsahara beherrscht, steht der Osten des Landes unter Kontrolle der Polisario. An der Demarkationslinie zwischen beiden Landesteilen hat Marokko eine 2 000 Kilometer lange Mauer errichtet, um ein Einsickern von Polisario-Kämpfern zu verhindern. Provisorische Hauptstadt des befreiten Gebiets ist Bir Lehlu, von wo aus auch die Rundfunk- und Fernsehsender der sahrauischen Regierung arbeiten. Rund 180 000 Menschen leben jedoch nahe des algerischen Tindouf in vier Flüchtlingslagern, die die Namen der von Marokko besetzten sahrauischen Städte tragen: Al-Aaiún, Smara, Ausert und Al-Dakhla. (scha)




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