Indonesien: Wirrwarr bei den Parlamentswahlen in West-Papua
Hunderttausende von wahlberechtigten Einwohnern Papuas konnten ihr Wahlrecht nicht ausüben
Im Folgenden dokumentieren wir den Rundbrief des "West-Papua-Netzwerks" vom 23. April 2004, den Uwe Hummel verfasst hat, mit nützlichen Informationen über Wahlen in der von Indonesien besetzten Provinz West-Papua.
Von Uwe Hummel*
Die Wahlen zu den Parlamenten auf Landes-, Provinz- und Kreisebene in Indonesien haben am 5. April 2004 stattgefunden. Das vorläufige Endergebnis für Papua sollte gestern Abend feststehen, war aber bis heute Mittag noch nicht bekannt gegeben.
In der Provinz Papua (P) und „Irian Jaya Barat“ („IJB“) öffneten zahlreiche Wahllokale erst einige Tage nach dem Stichtag und einige überhaupt nicht. Auch hat nur ein Teil der Papua-Bevölkerung an der Wahl teilgenommen. Laut Angaben in der „Jakarta Post“ sind in der gespaltenen Provinz bis dato weniger als 150.000 Stimmen ausgezählt worden, bei einer Bevölkerung von 2,4 Millionen Menschen.
Vergleicht man das Wählerverhalten in Papua mit dem indonesischen Durchschnitt, so fallen Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Die alte Soeharto-Partei Golkar liegt hier wie dort an erster Stelle, in Papua sogar etwas über dem nationalen Durchschnitt (P. 25,5%, „IJB“ 21,4%, Indon. 21,2%). Golkar hatte sich kritisch zur Teilung der Provinz geäußert und das kam bei vielen offensichtlich gut an. Man konnte ja nicht wissen, dass der für die Massaker in Ost-Timor verantwortliche General Wiranto zwei Wochen später zum Präsidentschaftskandidaten gekürt werden würde.
Präsidentin Megawatis PDI-P wurde abgestraft (P. 10,2%, „IJB“ 13,9%, Indon. 19,4%), weil sie die Durchsetzung des Gesetzes zur Sonderautonomie missachtet und dem Militär einen Freibrief zur Schändung der Menschenrechte in West-Papua gegeben hat. PDI-P liegt jetzt nur knapp vor der neuen „Demokratischen Partei“ (PD) des Hoffnungsträgers Susilo Bambang Yudhoyono (P. 9,4%, „IJB“ 5,4%, Indo. 7,5%) und der christlichen „Friedens- und Wohlstandspartei“ PDS (P. 8,5%, „IJB“ 14,1%, Indo. 1,65%).
Die islamischen Parteien haben allesamt in Papua schlechter abgeschnitten als im nationalem Durchschnitt. Nur die Partei des ehemaligen Präsidenten und in Papua gut angesehenen Abdurrahman Wahid (PKB) schafft in Papua die Fünfprozenthürde (P. 5,5%, „IJB“ 1,6%, Indo. 11,8%); im Vogelkopfgebiet steht die „Partei des Einheitlichen Aufbaus“ (PPP) des konservativ-islamischen Vizepräsidenten Hamsah Haz etwas besser da (P. 2,7%; „IJB“ 6,3%; Indo. 8,3%). Die in Jakarta so populäre und national an sechster Stelle stehende neue moralisch-islamische PKS schneidet in ganz Papua nicht so gut ab (P. 3,6%; „IJB“ 1,7%; Indo. 7,2%). Zum Glück hat sich die Bevölkerung auch nicht von dem Opportunisten Amien Rais täuschen lassen, der während des Bürgerkrieges in den Molukken die Muslime zum Jihad aufgerufen hatte. Seine PAN bekommt landesweit knapp 6,5%, in Papua knapp 4% und in „Irian Jaya Barat“ 1,4%.
Es wird noch analysiert werden müssen, warum Hunderttausende von wahlberechtigten Einwohnern Papuas ihr Wahlrecht nicht ausgeübt haben bzw. nicht ausüben konnten. Feststeht, dass viele nicht in den Wählerlisten erfasst wurden, stattdessen gab es schon mal Namen von Kleinkindern und Toten. Andere mussten nach zum Teil langen Fußmärschen enttäuscht feststellen, dass das Wahllokal nicht geöffnet hatte oder es gar keine Wahlzettel gab.
Aus Manokwari schreibt eine unserer Vertrauenspersonen: „Am Stichtag gab es zwei Bezirke in Manokwari, in welchen mangels Logistik (Wahlzettel, usw.) keine Wahlen stattfanden. Schätzungsweise 30 Wahllokale machten gar nicht erst auf. Nachdem meine Frau und ich gewählt hatten, fuhren wir in der Gegend umher und redeten mit den an der Wahl verhinderten Leuten. Sie waren sehr enttäuscht. Sie waren vorher so begeistert gewesen und wollten durch ihre Wahl dazu beitragen, dass Indonesien und Papua sich auf demokratische Weise verändern könnten. Aber dazu bekamen sie keine Chance. Einer sagte mir: ‚Wenn’s so ist, sollten wir besser gleich einen Volksentscheid halten, auf dass das Volk sein eigenes Schicksal entscheiden kann’. Einige andere sagten entmutigt: ‚Was hat Gott bloß mit Papua vor?’. Ich selber frage mich, wenn schon eine Stadt wie Manokwari ein solches Wirrwarr in der Logistik hat, wie sieht es dann wohl in den abgelegenen Gebieten aus?“.
In der sogenannten neuen Provinz „Irian Jaya Barat“ wurden die Wahlkandidaten vor der Wahl nicht bekannt gegeben. Das Recht des Volkes, sich vorher über seine Vertreter zu informieren, wurde bewusst missachtet – ein Vergehen nach dem indonesischem Gesetz. Auch scheint es, dass die Wahlen in einigen Gebieten bewusst von der Nationalen Wahlkommission (KPU) in Jakarta verschoben wurden. Einige kritische Kandidaten wurden in letzter Minute gestrichen. Demnächst wollen auf diese Weise geschädigte Politiker die KPU anklagen.
Aus der Stadt Sorong erhielt das West-Papua-Netzwerk folgende Nachrichten:
In einigen Bezirken fanden die Wahlen erst am 6. April statt. Über 100 Wahllokale blieben aber geschlossen, oder machten erst nach dem Mittag auf. Viele Wähler, die sich bereits den zweiten Tag freigenommen hatten und immer noch nicht wählen konnten, kündigten an, an keiner Wahl mehr teilzunehmen. Der Bürgermeister von Sorong hatte einen Teil des Geldes für die Wahllokale unverständlicherweise an die Parteien ausgezahlt. Dieser Irrtum führte dazu, dass einige Wahllokale nicht funktionsfähig waren. In Sorong gab es Menschen, die zwei Wahlausweise bekommen hatten. 23.000 Wähler und Wählerinnen in Sorong hatten keine Wahlausweise erhalten.
Aus der Provinzhauptstadt Jayapura wurde uns folgendes gemeldet:
Am Vorabend der Wahlen kamen Funktionäre der Golkar und Megawatis PDI-P mit sehr viel Geld und Speisen in die Wohnviertel, um Stimmen für sich zu „kaufen“. Am nächsten Tag standen sie vor den Wahllokalen, um „ihre“ Wähler an ihr Versprechen zu erinnern. In einigen Fällen halfen die Funktionäre den Wählern, die richtige Partei und die richtigen Kandidaten durchzustechen. Man kreuzt nicht an, sondern sticht das Parteiemblem und den Kandidaten mit einem Nagel durch – abergläubische Leute wählen dann just solche Politiker, die sie am wenigsten mögen.
Im Wahlkreis Tanjung Ria, Nord-Jayapura, hatte ein Kandidat den ganzen Tag lang die Öffnung des Wahllokals verhindert. Erst am Abend und am nächsten Tag konnte gewählt werden. Es gab viel Betrug bei der Auszählung der Stimmen. Parteien, die den Mitarbeitern im Wahllokal etwas Gutes taten, bekamen ungültige Stimmen gutgeschrieben.
In Merauke wurden ein Polizist und zwei Bürger, die an der Vorbereitung des Wahllokals mitarbeiteten, von Unbekannten ermordet. Man wollte offensichtlich die Wahl verhindern. Wahlbehinderung geschah auch in Arso und Bokondini. In fast allen erst kürzlich neugegründeten Landkreisen (kabupaten) fanden die Wahlen mit Verzögerung und großem Wirrwarr statt.
Ungeachtet des Wirrwarrs bei den Parlamentswahlen, soll es Anfang Juli schon wieder andere Wahlen geben. Zum ersten mal sollen Präsident und Vizepräsident direkt von Volke gewählt werden. In den landesweiten Meinungsumfragen sollen Susilo Bambang Yudhoyono an erster und Megawati Soekarnoputri an zweiter Stelle stehen. Allerdings hat auch General Wiranto, dessen Partei Golkar die Parlamentswahlen gewonnen hat, gute Chancen. Amien Rais versucht es wie 1999 wieder mit Tücke: er fordert alle „islamischen Kräfte“ auf Susilo Bambang Yudhoyono, dem er - wie damals der PDI-P - christliche Unterwanderung vorwirft, zu verhindern. Dazu will er eine „Achse der nationalen Rettung“ bilden, scheint aber bisher nicht erfolgreich zu sein. Susilo Bambang Yudhoyono ist ein entschlossener „Law-and-Order-Mann“ und wird in Papua geschätzt. Anders als bei Wiranto klebt ihm wohl kein Blut an den Fingern.
* West-Papua-Netzwerk, Koordinationsstelle, c/o Vereinte Evangelische Mission, Rudolfstraße 137, 42285 Wuppertal - Germany
E-mail: west-papua-netz@vemission.org
Homepage: www.west-papua-netz.de.
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