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Militäroperation im Hochland von Wamena dauert an - weitere Todesopfer

Ein Bericht des "West-Papua-Netzwerks"

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel des "West Papua Netzwerks". Er wurde am 19. Mai 2003 als E-Info Nr. 114 verschickt.


Seit dem 4. April führt das indonesische Militär in der weiteren Umgebung von Wamena im Hochland von West Papua eine Art Strafaktion durch, bei der Dörfer niedergebrannt, Menschen geschlagen, gefoltert und erschossen und ihres Besitzes beraubt werden. Eine Koalition von acht Nichtregierungsorganisationen aus Jayapura (Papua) hat einen umfassenden Bericht über die Hintergründe, den bisherigen Verlauf und die Opfer, die bisher zu beklagen sind, erarbeitet. Die Kirchen in West Papua sind sehr besorgt und versuchen, mit der Militärführung ins Gespräch zu kommen.

Allein in den letzten beiden Wochen sollen vier Personen von Militärs getötet und zwei schwer verletzt worden sein.[1] Die Berichte können nicht überprüft werden, da das Militär unabhängigen Beobachtern keinen Zutritt gewährt.

Die Militärführung behauptet, sie verfolge Kämpfer der OPM, der Organisasi Papua Merdeka. Berichten zufolge werden aber keine namentlich bekannten Personen gesucht, sondern auf bloßen Verdacht hin werden Dörfer angegriffen, die Bewohner geschlagen und gefoltert, verhaftet und wieder freigelassen. Die OPM ist keine straff organisierte "Befreiungsarmee", deren Angehörige leicht zu identifizieren wären. Daher ist die Militäraktion wohl eher als eine massive Einschüchterung der Bevölkerung gedacht, mit der jede Opposition und jede Kritik an der Regierung zum Schweigen gebracht werden soll.

Auslöser für die Militäraktion war ein Überfall Unbekannter auf ein Waffenlager in der Militärkaserne Wamena am 4. April 2003. Waffen und Munition wurden gestohlen. Fast alle gestohlenen Waffen wurden wenige Tage später wiedergefunden bzw. zurückgegeben. Trotzdem hält die unverhältnismäßig brutale und blutige Militäraktion an. Es entsteht der Eindruck, es gehe nicht mehr um die Suche nach den Tätern und nach den gestohlenen Waffen, sondern um zu zeigen, wer die Macht im Lande hat. Rechtsstaatliche Grundsätze und Beachtung der Menschenrechte spielen dabei keine Rolle.

8 Zivilisten und 9 Angehörige des Militärs wurden bereits wegen des Verdachtes der direkten oder indirekten Beteiligung an dem Waffendiebstahl vom 4. April festgenommen. Die Verhöre der festgenommenen Militärs sollen soweit abgeschlossen sein, dass die Akten dem Militärgericht übergeben werden können. Unter ihnen ist auch der Leutnant Pilius Wenda, der sich geweigert hatte, eine Militäraktion in seinem Kommandobereich Kurima, südlich von Wamena, zu unterstützen.[2]

Für Aufregung sorgte die Festnahme des Pfarrers der Baptistengemeinde in Wamena, Terius Kogoya, am 7. und 8. Mai 2003. Bei ihm sollen Briefe beschlagnahmt worden sein, in denen die Angehörigen der Inhaftierten den Rechtsanwälten der NGO-Koalition Vollmacht zur Verteidigung vor Gericht erteilen. Wahrscheinlich wurde er verhaftet, weil er Einzelheiten über die Militäraktion bekannt gemacht und berichtet hat. Amnesty International weist in der Information ASA 21/017/2003 zur Urgent Action Nr. UA 120/03 besonders auf die Gefährdung der Menschenrechtler Terius Kogoya, (auch Primus Kogoya genannt) Luis Maday und Matius Murib hin.

Die Koalition der Nichtregierungsorganisationen spricht gegenüber der Regierung in ihrem ausführlichen Bericht zu den Ereignissen in Wamena folgende Bitten bzw. Empfehlungen aus:
  1. Das Militär möge sich zurückhalten, bevor nicht eine professionelle Untersuchung des Waffendiebstahls am 4. April 2003 stattgefunden hat - zu viele Fragen sind hier offen.
  2. Die Militäroperation in Wamena und in der Umgebung möge eingestellt werden.
  3. Alle gültigen Gesetze und Vorschriften mögen streng eingehalten werden, damit den Verdächtigten Recht geschieht.
  4. Den Verdächtigten möge der gesetzlich vorgeschriebene Rechtsbeistand ungehindert gewährt werden.
  5. Ein Untersuchungsausschuss möge gebildet werden, der fähig ist, den Vorfall objektiv, transparent und professionell zu untersuchen. Er soll unter dem Schirm der Nationalen Kommission für Menschenrechte gebildet werden.
  6. Die Militärführung der Provinz und der Region Wamena (Kodam und Kodim 1702) mögen das Gebiet um Kwiyawage öffnen, damit Hilfsorganisationen der Bevölkerung helfen können, die zur Zeit noch aus ihren Dörfern geflohen ist. Das Gebiet möge auch für ein unabhängiges Untersuchungsteam geöffnet werden. (entsprechend Punkt 5 oben).
Indonesien rüstet sich für eine militärische Operation in Aceh. Dort werden tausende von Menschen ihre Heimat verlieren und gefoltert und getötet werden. Es gibt genügend Anzeichen, dass in Papua das gleiche geschehen wird. Indonesien wird immer mehr zu einem Staat, in dem nicht das Recht, sondern das Militär herrscht. Was kann die internationale Gemeinschaft tun, um das Recht und die Menschenrechte zu schützen? (sz)

Fußnoten

[1] Die Tageszeitung Kompas vom 17. Mai 2003 berichtet, dass je eine Person am 14. und am 15.5. von Militärs erschossen wurde. Am 9. Mai 2003 berichtete ElshamNewsService, dass schon am 4.5. zwei Mitarbeiter der Baptistengemeinde erschossen wurden, und zwar Pfarrer Ketis Tabuni (39), stellvertr. Vorsitzender des Kirchenkreises Luarem, und Enggelek Tabuni (45), Ältester der Gemeinde Luarem. Sie wurden erschossen, als sie Süßkartoffeln in ihren Gärten ernteten. Zwei Tage vorher wurden Yinggen Tabuni und Alinus Murib angeschossen und schwer verletzt.

[2] Siehe E-Info Nr. 113 vom 25.4.2003 des West-Papua-Netzwerks

Aus: E-Info Nr. 114 vom 19.05.2003
West Papua Netzwerk, Koordinationsstelle
e-mail: west-papua-netz@vemission.org



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