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West-Papua nach dem Bombenanschlag auf Bali ...

... und eine Friedenskonferenz in Jayapura

Den folgenden Text verdanken wir dem elektronischen Informationesdienst des West-Papua-Netzes (E-Info Nr. 98 vom 28.10.2002) (www.west-papua-netz.de).


Seit dem schrecklichen Bombenanschlag auf Bali am 12. Oktober 2002 sind alle Augen wieder auf Indonesien gerichtet, aber nicht die Unruheprovinzen Aceh, Maluku und Papua stehen im Mittelpunkt des Interesses, sondern die Verbindung indonesischer radikaler Islamisten mit dem internationalen Terror-Netzwerk. Eine der besten Analysen veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung am 24. Oktober unter dem Titel "Außenansicht - Südostasien - die gefährliche Terror-Front" von Peter Carey, der in Oxford Südost-Asien-Wissenschaften lehrt. Für Indonesien sind die Folgen des Anschlages noch nicht abzusehen. Alle Veränderungen in Indonesien wirken sich auch auf Papua aus. Einige Tendenzen lassen sich bereits benennen:

1. Militär und Polizei werden mit noch größeren Kompetenzen ausgestattet, um gegen vermeintliche "Terroristen" vorzugehen und die Sicherheit zu gewährleisten. Ein neues verschärftes Antiterror-Gesetz ist vom Kabinett verabschiedet. Das Gesetz gibt den Sicherheitskräften weitreichende Vollmachten zur Inhaftierung von Verdächtigen. Es ist leicht vorstellbar, dass sogenannte "Separatisten" , also Papuas, die sich für die Unabhängigkeit aussprechen, in die Nähe von Terroristen gerückt werden und so dem "legalen" Zugriff der Sicherheitskräfte ausgeliefert sind.

2. Internationale Aufmerksamkeit richtet sich auf die radikale Muslimorganisation Jemaah Islamiyah unter ihrem Führer Abu Bakar Ba'ashir. Diese Organisation hat viele internationale Kontakte in die arabische Welt, in die Philippinen, Malaysia und nach Afghanistan. Kontakte zu Osama Bin Laden sind wahrscheinlich. Experten trauen nur dieser Organisation - nicht etwa den Laskar Jihad - einen Bombenanschlag wie den auf Bali zu. Der Terrorismusexperte Rohan Gunaratna zeigt in der Ausgabe des Guardian vom 17. Oktober 2002 die möglichen Strukturen des Al-Kaida Netzwerkes in Südostasien auf. Ich zitiere hier aus einem Manuskript von Ingo Wandelt:
"Nach Rohan Gunaratna ist die Jemaah Islamiyah (JI) als eigentliche Terrorstruktur der Region, Ende der achtziger Jahre als indonesische Organisation entstanden, habe sich aber, auch Dank der finanziellen Unterstützung der Al-Kaida, rasch regionale operative Strukturen herausgebildet. Gründer ist der mittlerweile der Welt bekannte Abu Bakar Ba'asyir, und der operative Kommandeur der JI ist der untergetauchte Riduan Isamuddin alias Hambali....Die JI ist laut Rohan in vier Regionalorganisationen oder mantiqis gegliedert, M1 bis M4: M1 hat ihre Basis in Malaysia und deckt Malaysia und Singapur ab. M2 hat ihr Zentrum in Surakarta / Solo in Zentraljava und deckt Indonesien mit Ausnahme von Sulawesi und Kalimantan ab. M3, ursprünglich in den Südphilippinen (Maguindanao) beheimatet, operiert auf Borneo (einschließlich dem malaysischen Teil und Brunei), sowie auf Sulawesi. M4 schließlich decke West Papua und Australien ab." So ist auch Papua im Blick dieser Terrororganisation.

3. In den letzten Monaten haben uns vor allem die Aktivitäten der Laskar Jihad in Papua beschäftigt. Die Laskar Jihad hat sich zwei Tage nach dem Bombenanschlag auf Bali selbst aufgelöst! Die Website ist abgeschaltet, die zentralen Büros in Yogyakarta sind nicht mehr telefonisch erreichbar. Aus Ambon und den Molukken sollen einige 100 Kämpfer abgezogen sein. Die Auflösung soll angeblich keineswegs wegen des Bombenanschlags auf Bali vorgenommen worden sein, sondern aufgrund einer Fatwa (geistlicher Befehl) aus der arabischen Welt. In verschiedenen Telefongesprächen mit Papua in den letzten Tagen gibt es aber noch keine sichtbare Veränderung hinsichtlich der Präsenz der Laskar Jihad auf Papua. Sie waren ohnehin eher im Untergrund tätig. Über Aktivitäten der offenbar sehr viel gefährlicheren Organisation Jemaah Islamiyah in Papua ist den Gesprächspartnern nichts bekannt. Was steht wirklich hinter der Auflösung der Laskar Jihad? Werden die "Kämpfer" auch Papua verlassen? Die Antwort werden wir erst in einigen Monaten oder Jahren (?) erfahren.

4. Zu einer wirklichen Verbesserung der Lage in Papua würde eine schonungslose Aufklärung des Mordes an Theys Eluay vor einem Jahr gehören. Das heißt, dass auch die Hintermänner dieses politischen Mordes genannt und bestraft werden müssten. Weiter gehört dazu eine Bestrafung derjenigen Polizeioffiziere, die für 100-fache Folter und dreifachen Mord im sogenannten Fall Abepura vom 7. Dezember 2000 verantwortlich sind. Bisher ist nicht klar, ob die indonesische Justiz überhaupt willens ist, diese Fälle weiter zu verfolgen. Mitten hinein in die zögerliche juristische Behandlung dieser Fälle platzte das Bombenattentat auf Bali. Der von der Bevölkerung Papuas sehr geschätzte neue Polizeichef Made Mangku Pastika wurde mit der Aufklärung des Bali-Attentats betraut und somit de facto aus Papua abgezogen. Die schwierige Aufgabe wurde ihm übertragen, weil er selbst Balinese ist - aber auch, weil er ein hervorragender Polizeichef ist. Er hatte sich in Papua große Reformen der Polizei vorgenommen, um das Verhältnis von Polizei und Bevölkerung grundlegend zu verbessern, z.B. eine Papuanisierung der weitgehend aus Indonesiern bestehenden Polizei. Dies Vorhaben fand bei dem bestehenden Polizeiapparat keineswegs ungeteilten Beifall. Verlässt er wirklich Papua, ist das ein Rückschlag für die Bevölkerung und für die Sicherheit in Papua.

Friedenskonferenz in Papua

Genau drei Tage nach dem Bombenanschlag auf Bali fand in Jayapura eine zweitägige Friedenskonferenz statt. Sie war natürlich lange geplant, Initiatoren und Träger waren die Menschenrechtsorganisation Elsham / IHRSTAD zusammen mit der Polizei und dem Provinzparlament. Ziel der Konferenz war es, soviel verschiedene Bevölkerungsgruppen und politische Richtungen wie möglich zusammenzubringen und sich über ein Konzept einer "Zona Damai" (Papua als Friedenszone) zu verständigen. Obwohl die Tragödie auf Bali im Vordergrund des Interesses stand, gab es einige Pressemeldungen und -berichte über die Konferenz. (Cenderawasih Pos vom 15. und 16. Oktober, Suara Pembaruan Daily vom 15. Oktober 2002). Eine Reihe von Teilnehmern, die aus Jakarta anreisen wollten, sagte wegen der Bali-Ereignisse die Teilnahme ab. Dies waren teilweise Vertreter ausländischer Firmen, die in Papua investieren (Freeport, BP, u.a.) Auch der Gouverneur, der Militärchef und der Marinebefehlshaber folgten nicht der Einladung. Wichtige Referate wurden vom Bischof der Katholischen Kirche in Jayapura, Dr. Leo Labar Lajar, vom Generalsekretär des Präsidiums des Papuarates, Taha Al Hamid und vom Polizeichef Made Mangku Pastika gehalten.

Bischof Dr. Leo Labar Lajar, dessen Referat uns vorliegt, nahm kein Blatt vor den Mund. Er benannte die Punkte, die einem wirklichen Frieden im Wegen stehen:
  1. Die Papuabevölkerung wünscht einen Dialog über die Geschichte der Integration Papuas in die Republik Indonesien. Diesem Wunsch ist die Regierung bisher noch nicht entgegen gekommen.
  2. Es wächst die Frustration über das Autonomiegesetz, das nur halbherzig und zögernd durchgeführt wird. Es mangelt an guter Aufklärung über die Möglichkeiten und Chance dieses Gesetzes.
  3. Korruption, Vetternwirtschaft und Filz (KKN) haben schon lange die Zentralregierung gelähmt. Inzwischen hat diese Krankheit auch Papua erreicht - die Ausmaße der Korruption sind in der Provinz weitaus größer als in Jakarta und schaffen Konflikte zwischen den Stämmen (suku).
  4. Die vielen Berichte über Menschenrechtsverletzung und Gewaltmaßnahmen der Sicherheitskräfte werden nicht ernsthaft aufgegriffen. Verbesserungen sind nicht erkennbar.
  5. Die Mordfälle Abepura und Theys Eluay wenden nicht ernsthaft gerichtlich verfolgt.
  6. Es gibt kein Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheitskräfte. Bei der Bevölkerung herrscht noch immer der Eindruck vor, das einfache Volk sei der eigentliche Feind, gegen den das Militär antrete. Allzu leicht werde den Papua der Stempel "Separatist" aufgedrückt, um dann gegen sie vorgehen zu können.
  7. Die Papuabevölkerung hat den Eindruck, dass ihre Menschenwürde missachtet wird, dass sie erniedrigt und nicht als gleichwertige Bürger oder gar als Menschen angesehen werden, dass man ihnen ihre Rechte nehmen kann - einschließlich des Rechts auf Leben.
Ähnlich äußerte sich Taha Al Hamid. Allerdings warnte er: "Es gibt ganz unterschiedliche Interessen bei denen, die eine Zone des Friedens fordern. Wir müssen zu einer einheitlichen Definition kommen." Er selbst möchte die Friedenszone so verstehen: "Ein Papua ohne Gewalt und ohne Unterdrückung." Bisher sei immer noch Gewalt zu spüren und es gebe kein Gefühl der Sicherheit in Papua. Vorbedingung für den Frieden sei, dass die Regierung ernsthaft die Fälle von Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit aufkläre, vor Gericht bringe und die Opfer entschädige. Weiterhin sei ein Dialog zwischen Bevölkerung und Regierung über die Geschichte der Integration Papuas in die Republik Indonesien erforderlich.

Quelle: Cepos vom 16. Oktober 2002 - sz

Aus: www.west-papua-netz.de


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