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Autonomie für Papua - Bedrohung oder Chance?

Von At Ipenburg*

Den folgenden Text verdanken wir dem Informationsdienst des West-Papua-Netzwerks (www.west-papua-netz.de) vom 22. Oktober 2001 (E-Info Nr. 73).

Donnerstag Abend, am 25. Oktober 2001 wurde das Gesetz über die "besondere Autonomie" vom Kabinett in Jakarta angenommen. Doch wird das Gesetz erst am 1. Januar 2002 inkraft treten. Die Regierung müsse, so wird gesagt, noch hunderte ergänzende Regelungen beschließen. Die Papua reagierten zunächst ablehnend oder zumindest skeptisch. Kann man Jakarta wirklich vertrauen? Man hat noch nicht vergessen, dass Indonesien schon 1969 - nach dem sog. Referendum, dem "Act of Free Choice" - Irian Jaya die Autonomie versprochen hatte. Dies Versprechen ist nie eingelöst worden. Im Gegenteil, Irian Jaya wurde militärisches Operationsgebiet (DOM). Militär und Polizei erhielten weitreichende Befugnisse, die zu schrecklichen Menschenrechtsverletzungen führten.

Die Frage ist, ob Jakarta wirklich wesentliche Zugeständnisse gemacht hat, die den Klagen und Beschwerden der Papua entgegenkommen. Die Dikussion über die Verteilung der Einkommen in der Provinz - ob nun 20% zu 80% oder 30% zu 70% - ist völlig unwichtig. Die Provinz hat einen großen Nachholbedarf im Bereich Infrastruktur, Gesundheitsdienst und Schul- und Ausbildungswesen. Die Regierung in Jakarta hat versprochen, dass der Etat 2002 für die Provinz von 3 ˝ auf 7 Trillionen Rupiah (ca. DM 1,8 Milliarden) steigen soll. Der Betrag ist höher als 80% des Einkommens aus Erdöl, Mineralien, Holz und Fischfang. Doch ist dieser Betrag kaum ausreichend, um den Nachholbedarf auf den genannten Gebieten aufzuholen. Das wirkliche Problem der Autonomie wird sein, ob die Verwaltungen in der Provinz und in den Bezirken überhaupt die Entscheidungsbefugnis haben, Dinge zu tun, die für die Papua wichtig sind.

Die ursprüngliche Gesetzesvorlage wurde aufgrund einer Initiative der Provinzregierung erarbeitet. Sie wurde vom Gouverneur, dem Provinzparlament, und einer Gruppe von Intellektuellen unterstützt. In diesem Entwurf wurde als Grundprinzip festgelegt, dass die Papua die rechtmäßigen Bewohner des Landes sind und daher ihre Interessen Vorrang haben. Ein Senat (MRP = Majelis Rakyat Papua), bestehend aus Stammesvertetern, Frauen, Religionsführern und anderen Gruppen sollte über die Interessen der einheimischen Papuabevölkerung wachen. Dieser Senat sollte in bestimmten Fragen ein Vetorecht haben. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf enthielt die Mindestforderungen der Papua. Er war ein Kompromiss zwischen der Mehrheit der Papua, die sofortige Unabhängigkeit fordern, und denjenigen, die diese erst über einen längeren Zeitraum verwirklichen wollen.

Religiöse Angelegheiten, innere Sicherheit/Verteidigung und Auslandsbeziehungen fallen nicht unter die besondere Autonomie. Religiöse Angelegenheiten sind sehr wichtig, das Religionsministerium ist das größte Ministerium Indonesiens. Dies Ministerium betreibt die Einrichtung einer muslimischen Universität in Irian Jaya. Auch wird davon geredet, in Wamena im zentralen Bergland ein großes muslimisches Krankenhaus zu bauen. Ausgerechnet dort leben kaum Muslime. Die Papua sehen dies als einen Versuch der "Islamisierung" und empfinden dies als ganz konkrete Bedrohung.

Im ursprünglichen Entwurf sollte das Provinzparlament ein Vetorecht haben bei der Besetzung der Posten des Polizeipräsidenten und des Militärchefs (Panglima). In der jetzt angenommenen Version hat der Gouverneur eine beratende Funktion bei der Besetzung dieser beiden Schlüsselpositionen. Er soll auch das Recht haben, gewisse Befugnisse im Blick auf Militär und Polizei auszuüben. Er (der Gouverneur) kann vom Provinzparlament zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Provinz hat das Recht auf eine eigene Flagge als kulturelles Symbol und auf eine eigene Hymne. Es ist anzunehmen, dass das Provinzparlament die Morgensternflagge und das Lied "Hai tanahku Papua" festlegen wird. (Allerdings hat der Innenminister schon angekündigt, dass er nicht gestatten wird, die Morgensternflagge zu hissen. Red.)

Das jetzt angenommene Gesetz zur besonderen Autonomie ist ein verwässerter Kompromiss. Es ist gut möglich, dass ein großer Teil der Menschen in der Provinz dies Gesetz ablehnen wird, "weil es uns zum Narren hält". In der Praxis muss sich erweisen, ob es wirklich die Interessen und Rechte der Papua schützen kann, z.B. die Besitzrechte auf das Land oder das Recht auf Arbeit. Was diesen letzten Punkt betrifft: Es wurde versprochen, dass eine den Papua entgegenkommende Policy bei Stellenbesetzungen gehandhabt werden würde. Doch besteht die Gefahr, dass der Regierungsapparat, der von Nicht-Papua beherrscht wird, dagegen arbeiten wird. Polizei und Militär bestehen zu 80% aus Nicht-Papua, die zum größten Teil Muslime sind.

Sollte jetzt ein Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen (Papua und Nicht-Papua) ausbrechen, kann die Regierung sagen, sie habe alle notwendigen Zugeständnisse gemacht und sei den Papua in ihren berechtigten Anliegen weit entgegen gekommen. Wenn es nun doch noch Proteste gebe, dann gebe es keine Alternative als hartes Durchgreifen. Die Ablehnung dieser besonderen Autonomie auch auf friedliche Weise - wie es jetzt das Präsidium des Papuarates und im Mai 2000 der Papuakongress getan haben - ist dann eben eine Straftat, nämlich "Separatismus". Gegen das Präsidium des Papuarates wir zurzeit ein Prozess wegen Landesverrat (makar) geführt.

Eine ganz andere Frage ist, wie das neue viele Geld gebraucht wird. Man kann damit die Elite der Papua korrumpieren, dann verlieren die Papuaführer ihre Glaubwürdigkeit. Eine andere Gefahr ist, dass mit dem Geld große Megaprojekte finanziert werden, die den Interessen der Papua auf lange Sicht schaden. Denn den Papua fehlen zur Zeit noch geschulte Kräfte z.B. für das Management eines Großprojektes wie dem Mamberamoprojekt. Es war ein Lieblingsprojekt von Expräsident Habibie. Es sollten ausgedehnte bewässerte Reisfelder angelegt werden. Saubere Energie sollte zur Verfügung stehen, selbst eine Stadt war auf dem Reißbrett entworfen. Solche Projekte berühren nicht den Kern der Probleme, mit denen die Papua zu kämpfen haben. Von solchen Projekten profitieren nur Nicht-Papua, die auf solchen Gebieten besser qualifiziert sind.

Es ist auch nicht sicher, ob das Provinzparlament nach dem neuen Gesetz irgend eine Kontrolle über den Zustrom von Nicht-Papua ausüben kann. Dies war in dem ursprünglichen Entwurf vorgesehen. Vielleicht kann das Provinzparlament Regelungen erlassen, die unerwünschte Entwicklungen verhindern.

Das neue Gesetz wird von den Papua nicht mit Jubel begrüßt. Sie hatten sich mehr Klarheit erhofft. Die Frage bleibt offen, ob diese Art Autonomie eine Bedrohung oder eine Chance ist. Das kann sich erst zeigen, wenn man sieht, wie die Provinzregierung das Gesetz anwendet und durchführt. Der Gouverneur Jaap Salossa hat jedenfalls an Vertrauen gewonnen. Er hat sich in Jakarta kräftig eingesetzt und versucht zu retten, was zu retten war von dem ursprünglichen Entwurf. Er hat sich im Konflikt mit Jakarta für die Papua entschieden.

Aus dem Niederländischen übersetzt von Siegfried Zöllner

* Dr. At Ipenburg lebt seit sechs Jahren in West Papua. Er ist Dozent für Theologie und Anthropologie an der Theologischen Hochschule der Evangelisch-christlichen Kirche (GKI) in Abepura/Jayapura.


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