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Mit neuer Spitze ins Jahr der Katze

KP Vietnams wählte neue Führung

Von Detlef D. Pries *

In Hanoi endete am Mittwoch (19. Jan.) nach einwöchigen Beratungen der 11. Parteitag der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV). Zwar präsentierte sich zum Abschluss ein neuer Parteiführer, doch überraschen konnte das weder die anderen 1376 Delegierten noch die Bevölkerung Vietnams.

Am 2. Februar geht in Vietnam das Jahr des Tigers zu Ende, am 3. Februar beginnt das Jahr der Katze. Bevor sich der Großteil der 87 Millionen Vietnamesen zur Feier des Jahreswechsels nach dem Mondkalender ins traditionelle Tet-Fest stürzt, waren jedoch wichtige politische Entscheidungen zu treffen. Im modernen Kongresszentrum My Dinh tagten eine Woche lang die Abgesandten von 3,6 Millionen Parteimitgliedern, um Vietnams Entwicklungsweg bis zum Jahr 2020 vorzuzeichnen.

Zum vietnamesischen Kurs der »Erneuerung« (Doi Moi), der 1986 unter dem damaligen KPV-Generalsekretär Nguyen Van Linh eingeschlagen wurde, gehören inzwischen auch unspektakuläre Wechsel in der Partei- und Staatsführung. Es war schon vor Eröffnung des Parteitags kein Geheimnis mehr, dass sich der 70-jährige Generalsekretär Nong Duc Manh zur Ruhe setzen würde. Niemand war also überrascht, dass Manh nicht mehr für das 175-köpfige Zentralkomitee kandidierte. An seiner Stelle kürte das neue ZK auf seiner konstituierenden Sitzung am Dienstagabend den 66-jährigen Nguyen Phu Trong zum Generalsekretär. Der Sohn einer Bauernfamilie vom Stadtrand Hanois ist seit 2001 Mitglied des Politbüros und seit 2006 Vorsitzender der Nationalversammlung Vietnams. Sein Weg in die Parteispitze hatte beim theoretischen Parteiorgan »Tap Chi Cong San« (Kommunistische Rundschau) begonnen, dem er 1991 bis 1996 als Chefredakteur vorstand. In den Jahren 2000 bis 2006 leitete er das Parteikomitee der Hauptstadt Hanoi. Seinen Doktortitel erwarb Trong an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften in der Sowjetunion mit einer Arbeit über den Parteiaufbau, in Agenturmeldungen wird er als »chinafreundlich« bezeichnet.

Da auch der 68-jährige Staatspräsident Nguyen Minh Triet in den Ruhestand tritt, bleibt vom bisherigen Spitzentrio nur Ministerpräsident Nguyen Tan Dung (61) Mitglied des 14-köpfigen Politbüros, in das fünf Neulinge einzogen. Kenner der Szene sehen in Dung denn auch den eigentlichen starken Mann Vietnams.

Das bevorstehende Jahr der Katze gilt zwar traditionell als ein ruhiges Jahr, das nach Katastrophen und vielerlei Aufregungen des Tigerjahres Gelegenheit zur Besinnung bieten soll, doch von Erholung war während des Parteitags kaum die Rede. Wohl würdigten die Delegierten die Errungenschaften von 25 Jahren Doi-Moi-Politik. Mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 7,2 Prozent für die vergangenen zehn Jahre gehört Vietnam zu den wirtschaftlich am schnellsten wachsenden Staaten der Welt. Das Land sei der Armut entronnen, hieß es während des Kongresses. Tatsächlich sank die Armutsrate zwischen 2003 und 2008 von 58 auf 13 Prozent. Im vergangenen Jahr exportierte Vietnam beispielsweise nach eigenen Angaben 6,75 Millionen Tonnen Reis und nimmt damit nach Thailand Platz 2 unter den weltgrößten Reisexporteuren ein. Das zeigt aber zugleich eines der Probleme, die offen benannt wurden: Vietnam exportiert vor allem unverarbeitete Rohstoffe und handgefertigte Industriegüter. Hinsichtlich Produktivität und Effektivität des Energieeinsatzes unterliegt es seinen regionalen Konkurrenten deutlich. Auch hoch willkommene ausländische Investitionen dienen selten technologisch anspruchsvoller Produktion. Stattdessen wird Vietnam oft als verlängerte Werkbank benutzt. Folgen sind ein beträchtliches Handelsdefizit – im vergangenen Jahr lag es bei umgerechnet neun Milliarden Euro – und zunehmende Staatsverschuldung. Der Dong, die Landeswährung, musste mehrfach abgewertet werden. Ministerpräsident Dung erklärte es deshalb zur größten Herausforderung, »eine unabhängige, selbstständige und hoch wettbewerbsfähige Wirtschaft zu entwickeln«.

Wiederholt wurde kritisch darauf hingewiesen, dass die Kluft zwischen Armen und Reichen wachse. Der neue Generalsekretär Nguyen Phu Trong räumte denn auch ein, dass »die Übergangsperiode zum Sozialismus noch sehr lang« sein werde. An der sozialistischen Orientierung aber werde man auf dem Weg zum modernen Industriestaat, dessen Grundlagen bis zum Jahr 2020 geschaffen werden sollen, festhalten. »Die Gedanken Ho Chi Minhs, gepaart mit dem Marxismus-Leninismus, waren stets Grundlage und Leitlinien des Handelns der Partei und der vietnamesischen Revolution«, hatte der scheidende Präsident Triet bereits zum Kongressauftakt bekräftigt. Parteigründer Ho Chi Minh gilt auch als moralisches Beispiel im Kampf gegen die Korruption, die in der Parteibürokratie grassiert.

An die Aufgabe des Führungsmonopols, den sie aus ihren Verdiensten im Kampf gegen ausländische Aggressoren ableitet, denkt die KPV indes nicht. Dinh The Huynh, Chefredakteur der Parteizeitung »Nan Dan«, lehnte vor Journalisten ein Mehrparteiensystem ab: Das habe man 1946 gehabt, »aber als die Franzosen ins Land einmarschierten, hat nur die Kommunistische Partei gemeinsam mit dem Volk gekämpft«. Und bis jetzt akzeptiert der Großteil des Volkes die Führung durch die KPV.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Januar 2011


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