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Verbrannte Erde, kaputte Typen

Denis Johnsons beklemmender Roman über den Vietnamkrieg

Von Reiner Oschmann *

In den achtzig Jahren seit Erscheinen von Remarques Weltkriegsroman »Im Westen nichts Neues« hat es im Leben so viele schreckliche neue Vorlagen für künstlerisch verarbeitete Kriegstraumata gegeben, dass die Gattung des Kriegsromans für Menschengedenken unangefochtenes Genre bleiben wird. Der Zweite Weltkrieg beschäftigt Schriftsteller bis heute, regionale Kriege im Nahen und Mittleren Osten, im südlichen und zentralen Afrika oder in Mittelamerika sorgten und sorgen dafür, dass das Thema nicht aus dem Blickfeld gerät, und manche Kriege nehmen die Aufmerksamkeit länger als andere gefangen – etwa weil die Gegner so ungleich waren, Folgen bis auf den heutigen Tag fortdauern oder Invasionen unserer Tage seltsame Parallelen zu Konflikten von vor dreißig oder vierzig Jahren aufweisen.

Die US-Phase des Indochinakriegs unter den Präsidenten Kennedy, Johnson und Nixon in den 60er- und 70er Jahren, die nach nur kurzer Unterbrechung auf die französische in den 40er- und 50er Jahren folgte, hat besonders viele Autoren angeregt. Der Vietnamkrieg mit den Napalmeinsätzen der Amerikaner, mit Bombenabwürfen auf Zivilisten, der chemischen Entlaubung ganzer Regionen, mit Zwangsumsiedlungen in sogenannte Wehrdörfer und dem Massaker von My Lai ist kein abgeschlossenes Kapitel, auch wenn das Waffenstillstandsabkommen, das seinerzeit den Abzug aller Militärs der USA aus Vietnam regelte, nun 36 Jahre zurückliegt. Denis Johnsons jüngster Roman »Ein gerader Rauch« ergänzt die Vietnamkriegsliteratur und – was wichtiger ist – bereichert sie auf bemerkenswerte, beklemmende und bestürzende Weise.

Biblisch wie der Titel (im amerikanischen Original »Tree of Smoke«) besitzt der Roman alttestamentarische Elemente von Schwert, Feuer und Verderben. Dabei ist das Buch alles andere als ein Action-Roman. Gefechte und Gefechtslärm sind die Ausnahme, der Autor (Jahrgang 1949, geboren in München als Sohn eines US-Offiziers) befasst sich mit den Verwüstungen, die Kriegsvorbereitung, -führung und -folgen in den Seelen der Beteiligten anrichten. Sie sind nicht geringer und oft noch schwerer zu tilgen als sichtbare Wunden.

Johnson, ein Meister der harten und zarten Sprache, der genauen Schilderung und nuancierten Beobachtung, porträtiert amerikanische Geheimdienstler in ihrer All- und Ohnmacht, vietnamesisches Hilfspersonal in ihrem Marionettendasein und GI's in ihrer Kaputtheit, von der ein Teil nicht erst auf dem Kriegsschauplatz Südostasien entstand. Vor allem zeigt er die Suchtwirkung, die Krieg entfalten kann. Manch ein Soldat, der wie die Brüder Bill und James Houston schon im heimischen Arizona die Ziel- und Perspektivlosigkeit nicht zu verbergen wusste, fühlt sich nur noch im Schmutz des Krieges aufgehoben. Als andere GI's – »ihre Augen glänzten wie die von Tieren. Diese Typen nahmen LSD, Sachen, die ihnen Knoten in die Nerven schlugen, ihnen das Hirn umkrempelten« – James in der Bar Jolly Blue fragen, ob er Heimaturlaub gehabt habe: »›Ich will keinen Heimaturlaub.‹ ›Du willst nicht nach Hause?‹ ›Ich bin hier im Krieg zu Hause.‹ ... ›Neunund-neunzig Prozent von dem Scheiß, der mir jeden Tag durch den Kopf geht, verstößt gegen das Gesetz‹, sagte einer. ›Aber hier nicht. Hier ist der Scheiß, den ich im Kopf habe, Gesetz und nichts als Gesetz.‹«

Welche Erlebnisse Gewöhnung an Krieg und Gewalt nach sich ziehen und welche strategische Funktion abgestumpfter Geist erfüllen soll, weiß man nicht erst seit dem Vietnamkrieg, aber nach diesem Buch noch eindringlicher. Krankenschwester Kathy, die sich gegen die Entmenschlichung stemmt, hat bis zu jenem Tag zwar schon Verbrennungen gesehen, aber einen Ort, der gebrannt hatte, noch nie. »Am späten Nachmittag kamen sie an. Ein schwarzer Fleck von der Größe eines Tennisplatzes nahm auf einer Seite etwa die Hälfte des Dorfes ein. Asche, wo ein paar Hütten gewesen waren, ein Reisfeld, das Wasser verkocht, die Schösslinge vernichtet. Der Geruch nach verbranntem Stroh, alles verpestet von Schwefelgestank. Es sah nicht aus, als wäre es Napalm gewesen, eher eine Phosphorbombe. Beim Geräusch tieffliegender Hubschrauber waren die Bewohner losgerannt und hatten Schutz im Dschungel gesucht. Einige waren getötet worden. Ein junges Mädchen kämpfte noch um ihr Leben, ganz und gar unter Schock, großflächig verkohlt, nackt. Es blieb nichts zu tun, Kathy rührte sie nicht an. Die Dorfbewohner saßen in der Dämmerung um sie herum. Das fahle grüne Schimmern ihrer Verbrennungen wetteiferte mit dem letzten Tageslicht ... Das Mädchen war wie ein Götze, der seine Kraft aus dem Mondlicht bezog. Nachdem alle Lebenszeichen erloschen waren, glühte ihr Fleisch im Dunkeln weiter.«

Denis Johnson: »Ein gerader Rauch«, a. d. Amerikan. von Bettina Abarbanell und Robin Detje, Rowohlt Verlag. 880 S., geb., 24,90 EUR.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Februar 2009


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