Wille zum Widerstand
Geschichte. Als Kriegsberichterstatter in Nordvietnam und an der Laosfront. Vor 45 Jahren begann unser Einsatz in Hanoi
Von Gerhard Feldbauer *
Vor genau 45 Jahren, am 31. Juli 1967 begann unser Einsatz als Auslandskorrespondenten für den Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst (ADN) der DDR und Neues Deutschland in Hanoi, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Vietnam (DRV). Den ersten Eindruck von unserer Arbeit als Kriegsberichterstatter erhielten wir, als abends beim Flug über die Grenze in unserer IL 14 der China Air Lines die Beleuchtung erlosch. In einiger Entfernung suchten Flakscheinwerfer den Himmel ab. Zwei MiG-Jäger eskortierten unsere Maschine. Etwa eine halbe Stunde später landeten wir auf dem Flughafen Gia Lam von Hanoi.
Bereits am nächsten Morgen erlebten wir gegen sechs Uhr den ersten Angriff US-amerikanischer Jagdbomber auf die Stadt. Von nun an wurden wir Augenzeugen barbarischer Luftangriffe, der Zerstörung von Wohnvierteln, Krankenhäusern, Schulen und Betrieben, Kirchen und Pagoden, Straßen und Brücken, Bewässerungsanlagen der Reisfelder. Wir sahen blutbefleckte Kleider, zerfetzte Schulbücher, Krankenbetten, die aus Trümmern ragten, verstümmelte Menschen, die vielen, vielen Toten. Das Leid konnte man kaum beschreiben. Der Luftterror gegen die Zivilbevölkerung entlarvte die heuchlerischen Behauptungen aus Washington, es würden nur militärische Objekte angegriffen. In klassischer Kolonialherrenmanier hatte General Curtis LeMay, der Chef des Strategic Air Command, das unverhüllt so angekündigt: »Zieht eure Hörner ein, oder wir bomben euch in die Steinzeit zurück«. Was hieß: Unterwerft euch unserer Herrschaft, macht Schluß mit dem Sozialismus, keinerlei Unterstützung für den Vietcong im Süden.
Mitte August befanden wir uns mittags kurz vor der Hanoier Long-Bien-Brücke, als F-105 »Thunderchief« etwa eine halbe Stunde lang in sieben Wellen den Übergang über den Roten Fluß angriffen. Den Angreifern schlug ein starkes Abwehrfeuer von 57- und 100-mm-Flak entgegen. Die F-105 warfen ihre Bomben deshalb aus einigen tausend Metern Höhe ab. Lasergesteuerte Lenkwaffensysteme, gab es damals noch nicht.
Ich erinnere mich, wie Furcht mich ergriff und der Gedanke, nur weg von hier. Wir standen in einer Gruppe von vier oder fünf Vietnamesen. Als wir aus unserem »Moskwitsch« sprangen, um Deckung zu suchen, hatten sie uns zu sich gewunken. Für sie war das Kriegsalltag, und sie strahlten eine Ruhe aus, die uns, wie auch später oft, half, mit solchen Situationen fertig zu werden. Wir befanden uns hinter einer etwa eineinhalb Meter hohen Erdaufschüttung, einem Schutzwall gegen Bombensplitter. Irene stand bei einigen Frauen, sie hatte ein kleines Mädchen auf den Arm genommen. Ein älterer Vietnamese legte kameradschaftlich seinen Arm auf meine Schulter, sein Lächeln schien zu sagen, keine Angst, wir halten durch. Die Long-Bien-Brücke wurde an diesem Tag nicht getroffen. Das Sperrfeuer der Luftabwehr hatte das verhindert.
Das vietnamesische Volk siegte 1975 über die Militärmacht der USA, die stärkste der westlichen Welt. Die große Hilfe des damals existierenden sozialistischen Lagers, modernste konventionelle Waffen aus der UdSSR, die weltweite Solidarität der Völker und ihrer Friedenskräfte, darunter die in den USA, waren entscheidende Grundlagen dieses Sieges. Aber die letztlich ausschlaggebende Bedingung, daß diese Faktoren zur Geltung kommen konnten, war der nicht zu brechende Widerstandswille des Volkes, der in den Traditionen nationalen und antikolonialen Widerstandes wurzelte, die zu mobilisieren eine Kommunistische Partei verstand, die der legendäre Führer Ho Chi Minh gegründet hatte.
Die militärische Unterstützung der UdSSR war die maßgebliche Basis dafür, daß die DRV in der vierjährigen Luftschlacht gegen die US Air Force siegte. Als die USA am 1. November 1968 die bedingungslose Einstellung der Luftangriffe erklären mußten, meldete ihre Luftabwehr den Abschuß von 3243 US-Flugzeugen, darunter mehrere Hubschrauber. Die seitens der USA angezweifelten Abschußzahlen erwiesen sich als zutreffend.
Die UdSSR bildete einen Großteil des vietnamesischen Militärpersonals bei sich im Lande, aber auch durch Spezialisten vor Ort aus. Ob sowjetische Piloten über Nordvietnam selbst am Steuerknüppel saßen, ist offiziell nicht bestätigt worden. Sollte man in Moskau eines Tages auch hier die Archive öffnen, wird mehr zu erfahren sein. Als sicher galt, daß nordkoreanische und kubanische Piloten vor Ort im Einsatz waren und ihre Erfahrungen vermittelten. Im Norden der DRV befanden sich Militärexperten der VR China. Nie waren Truppen der UdSSR oder anderer sozialistischer Staaten in Nordvietnam stationiert. Vorschläge, darunter aus der DDR, Freiwillige nach dem Vorbild der Internationalen Brigaden in Spanien nach Vietnam zu entsenden, wurden aus Hanoi immer abschlägig beschieden. Man wollte den USA keinen Vorwand zur Rechtfertigung ihrer eigenen massiven Truppenpräsenz im Süden liefern.
Luftsieg über Ham Rong
Das US-Journal The Reporter gab am 12. Januar 1966 die Zahl der aus Moskau gelieferten Flugzeugabwehrgeschütze mit »7000« an, die der Abschußbasen für Batterien der SAM (Fla-Raketen) mit »etwa 130«. Die Zeitung schrieb, daß »schon einige der sowjetischen Militärs in Nordvietnam verwundet oder getötet worden seien«. Von TASS erfuhren wir, daß etwa 3000 Vietnamesen in der Sowjetunion militärisch ausgebildet wurden, darunter zahlreiche Luftwaffenkadetten, die lernten, Überschalljäger MiG 21 zu fliegen. Vom bulgarischen Militärattaché erfuhren wir, daß die DRV Anfang 1967 über etwa 200 MiGs verfügte und sich darunter die damals modernsten Typen 21 cs und 21 ds mit Deltaschwingen befanden.
Die MiG 21, das damals modernste sowjetische Jagdflugzeug, zeigte sich in Vietnam den vergleichbaren US-Maschinen überlegen. Mit ihr fügten die nordvietnamesischen Piloten der US Air Force im Luftkampf über der Ham-Rong-Brücke über den Ma am 3. April 1965 eine schwere Niederlage zu. Sie schossen zwölf Flugzeuge ab, darunter mehrere F-105, die damals modernsten US-Jagdbomber. Die Nachrichtenagentur AP schrieb: »Es ist zur ersten Feindberührung mit der nordvietnamesischen Luftwaffe gekommen, bei der die Amerikaner eine Schlappe erlitten.«
Wie McCain ins Wasser fiel
John Sidney McCain, Enkel des gleichnamigen Befehlshabers der US-Flugzeugträger im Pazifik im Zweiten Weltkrieg und Sohn des Chefs der US-Flotte im Pazifik, wurde am 26. Oktober 1967 mit seiner F4 Phantom über Hanoi getroffen. Er gehörte zu insgesamt 15 in wenigen Tagen abgeschossenen US-Piloten, deren Namen die Parteizeitung Nhan Dan mit Fotos veröffentlichte. McCain gab zu, das Feuer der Luftabwehr sei, besonders über Hanoi, »sehr dicht und sehr präzise«. Die Air Force verliere zehn und mehr Prozent ihrer Maschinen. Bei seinem letzten Einsatz habe er noch registriert, daß von 25 Maschinen, seine mitgerechnet, drei abgeschossen wurden. Der britische Konsul sagte mir einmal, das seien, verglichen mit den Abschußziffern, welche die Royal Air Force in der Luftschlacht über England gegen Görings Flieger erzielte, Ergebnisse, die sich sehen lassen könnten.
McCain stürzte in den Truc-Bach-See, brach sich Arme und Beine und wäre ertrunken, wenn ihn der Leutnant Mai Van On nicht aus dem Wasser gezogen hätte. Am Ufer hielt der vietnamesische Offizier wütende Hanoier, die nach einem schweren Bombennagriff gegen McCain handgreiflich werden wollten, zurück. Eine Krankenschwester leistete Erste Hilfe. Dann nahmen Soldaten McCain in Gewahrsam.
1973 wurde McCain entlassen. Später besuchte er Hanoi, ohne nach seinem Lebensretter zu fragen. Erst 1996, er war inzwischen Senator von Arizona, traf er sich mit Van On und überreichte ihm eine »Erinnerungsmedaille« des US-Kongresses. Im Jahr 2000 und 2008 bewarb sich McCain für die Republikaner um die Präsidentschaft. Die humane Rettungstat eines Offiziers der Volksarmee paßte nicht ins Konzept seiner Wahlkampfreden, und so behauptete er, die Nordvietnamesen hätten ihn mißhandelt.
Washington bezeichnete die Verluste über Nordvietnam als gering. 15 innerhalb weniger Tage abgeschossene Piloten widerlegten das schon zur Genüge. Peinlich für das Pentagon war, daß sich die Piloten nicht immer an die ausgegebenen Parolen hielten. Der Spitzenflieger, Oberst Robin Olds, erklärte auf einer Pressekonferenz in Washington: Die Luftabwehr Nordvietnams habe sich »enorm verstärkt, sowohl durch Flakfeuer als auch MiGs und Boden-Luft-Raketen.« Zu letzteren bemerkte er: »Es sind furchterregende Raketen, wenn Sie es wissen wollen«.
Zweifel an Befreiung des Südens
Gesprächen mit sowjetischen Diplomaten und Journalisten entnahmen wir, daß die UdSSR eine Befreiung des Süden lange Zeit kaum für möglich hielt und Hanoi zur Zurückhaltung bzw. auch zur Hinnahme des Status quo bringen wollte. Ein Umdenken setzte erst nach der Tet-Offensive im Frühjahr 1968 ein. Dabei spielte eine Rolle, daß sowjetische Militärs in Vietnam ihre Waffen unter härtesten Kriegsbedingungen in den Händen kampfentschlossener Soldaten erproben konnten. Es war, wie in anderen Ländern der »Dritten Welt« auch, ein Stellvertreterkrieg, aber in Vietnam zwischen Sozialismus und Imperialismus.
Während Peking den Einmarsch des Warschauer Vertrages im August 1968 in die CSSR scharf verurteilte, solidarisierte sich die DRV damit. Auch hier wirkte der militärische Faktor ein. Den Militärs um Verteidigungsminister Vo Nguyen Giap war seit Beginn der USA-Luftaggression klar, daß nur die UdSSR die militärtechnischen Kapazitäten besaß, mit denen das Land wirksam verteidigt und später die Streitkräfte im Süden mit den erforderlichen schweren Waffen für offensive Operationen ausgerüstet werden konnten.
Das Verhältnis zur VR China war belastet durch den Druck Pekings, die DRV ihrer antisowjetischen Politik unterzuordnen. Im Frühjahr 1968 wurden wir in den Nordprovinzen Zeugen massiver Einmischung. Da die Chinesen uns für Russen hielten, wollten sie handgreiflich werden. Unsere vietnamesischen Begleiter verhinderten das. Die DRV hielt diesem Druck stand und stellte sich in allen grundsätzlichen Fragen hinter die UdSSR.
Auf einer Fahrt nach Süden mußten wir im Westen des Landes vor einem schwer bombardierten Straßenabschnitt auf eine Umgehungsstraße ausweichen. Wir stießen auf eine breite, gut betonierte, von dichtem Wald überdeckte Straße. Vor uns fuhr eine Kolonne LKW, die schwere Feldgeschütze zogen. Der Kradfahrer am Ende der Fahrzeuge gab ein Zeichen, und unser Fahrer verringerte das Tempo, so daß der Konvoi bald unseren Blicken entschwand. Unser Begleiter vom Außenministerium antwortete wortkarg auf unsere Fragen. Nach einiger Zeit stießen wir auf einen abzweigenden Feldweg, auf dem wir unsere alte Route wieder erreichten. Die immer gut informierten Kollegen von TASS bestätigten, daß wir einen Abschnitt des geheimen, nach Süden führenden sogenannten Ho-Chi-Minh-Pfades passiert hatten.
Über diese Straße, die bis auf die Höhe von Saigon durch das Trung-Son-Gebirge führte, rollten Panzer, Geschütze, Fla-Kanonen und -Raketen samt Munition und Treibstoff für die zahlreichen Schlachten im Süden. Entlang dieser Route wurde nach der Tet-Offensive eine Erdölpipeline gebaut, über welche die Kraftstoffversorgung für die Befreiungsstreitkräfte im Süden erfolgte.
Begegnungen mit Ho Chi Minh ...
Bei mehreren persönlichen Begegnungen mit Ho Chi Minh spürten wir in einer unvergeßlichen Weise die kaum wiederzugebende Ausstrahlung dieser faszinierenden Persönlichkeit, an der nichts von Personenkult zu bemerken war. Auf einer Festveranstaltung am 19. Dezember 1967 zum Jahrestag der Volksarmee rief er Irene, die auf der Bühne fotografierte, zu sich und unterhielt sich mit ihr. Er umarmte sie, erkundigte sich, wie es ihr in Hanoi gehe und erzählte von seinem Aufenthalt in der DDR.
Ho war anwesend auch bei den Begegnungen, die wir mit den Menschen Vietnams hatten, bei den vielen Gesprächen war er einfach dabei, und er lebte, auch nach seinem Tod, im Kampf seines Volkes weiter. Seine sprichwörtliche Bescheidenheit, seine Anspruchslosigkeit, die seine Gegner gern als gekünstelt, als einstudiert, als politisches Kalkül darstellten, entsprachen seiner Verbundenheit mit den Menschen aus dem Volk. Er wollte nicht besser leben als sie, es hätte ihn unglücklich gemacht, soll er einmal gesagt haben. Sein Testament, das er vier Monate vor seinem Tod verfaßte, ist durchdrungen von der Liebe zu seinem Volk und der unerschütterlichen Gewißheit, daß es bis zum Sieg kämpfen werde (das Dokument wurde damals auch in der Jungen Welt veröffentlicht).
Man möchte fast sagen, daß seine herausragende Führungspersönlichkeit erst nach seinem Tod sichtbar wurde. Denn als er im September 1969 starb, hinterließ er nicht, worauf seine Feinde spekuliert hatten, ein Vakuum, sondern eine kampfgestählte Partei mit einem starken Führungskollektiv und ein von seinem Unabhängigkeitswillen beseeltes Volk, die sein Werk fortsetzten.
... und Yassir Arafat
In Hanoi trafen wir viele Persönlichkeiten. Zu ihnen gehörte die mutige Publizistin Madeleine Riffaud, die als Studentin der französischen Widerstandsbewegung angehörte, 1944 verhaftet und zum Tode verurteilt, während des Aufstandes in Paris befreit wurde. 1965 hatte sie als Kriegsberichterstatterin an den Kämpfen der FNL in Südvietnam teilgenommen und darüber berichtet. Wir trafen die berühmten niederländischen Dokumentarfilmer Joris Ivens und seine Frau, deren Film »Der 17. Breitengrad« 1967 weltweit die US-Aggression in Vietnam anprangerte. Wir lernten Peter Weiss kennen, den schwedisch-deutschen Schriftsteller, der als Mitglied des Russell-Tribunals dazu beitrug, die barbarischen Verbrechen der USA in Vietnam zu enthüllen.
Auf einem Empfang begegneten wir Yassir Arafat. Als während der Vorstellung der Diplomaten und Journalisten die Reihe an uns kam, erhoben wir unsere Gläser und sagten »Fi Sichatak«, »zum Wohl, auf Deine Gesundheit«. Es waren einige arabische Wörter, die wir von Besuchen in der ägyptischen Botschaft kannten. Arafat glaubte, wir sprächen Arabisch. Er umarmte uns herzlich und antwortete in seiner Landessprache. Wir mußten nun – in Französisch – Farbe bekennen, was jedoch der freundschaftlichen Begegnung keinen Abbruch tat.
Im September 1967 hatten wir ein Gespräch mit Major Jak Williams Bomar vom in Takli/Thailand stationierten 41. US-Aufklärungsgeschwader, der bei Hanoi abgeschossen worden war. Obwohl der »code of conduct«, auch Schweigebefehl genannt, ihm nur gestattete, Namen, Dienstgrad, Dienstnummer und Geburtsdatum zu nennen, beantwortete Bomar bereitwillig unsere Fragen. Er gab zu, daß nicht nur militärische Ziele angegriffen, sondern große Zerstörungen angerichtet werden und sagte: »Ich bin hier den Umständen entsprechend gut behandelt worden. Ich hoffe und wünsche, daß dieser Krieg bald zu Ende geht. Was mich betrifft, so möchte ich nur noch einen Flug machen, den Flug nach Hause.«
Im Februar 1968 wurden im Internationalen Klub von Hanoi drei gefangene US-Piloten freigelassen und an zwei nach Hanoi gekommene Vertreter der US-amerikanischen Friedensbewegung übergeben. Damit wollte die DRV deren Einsatz zur Beendigung des USA-Krieges würdigen. Alle drei Flieger erklärten, sie seien korrekt behandelt worden. Der 24jährige Leutnant Paul Matheny aus Bakersfield/Kalifornien dankte für die Freilassung, die er eine »großherzige Tat« nannte und sagte, er hoffe, daß »die Bombardierung bald eingestellt und der Frieden wiederhergestellt werden möge.«
Die zweite Front
Laos war die zweite Front des Krieges der USA gegen Vietnam. Die DRV sollte von ihrer Westgrenze her in die Zange genommen werden. Nach der 1964 begonnenen Unterjochung unter die Herrschaft der USA hatte die Patriotische Front Neo Lao Haksat (NLH) zwei Drittel der Berg- und Dschungelgebiete befreit. Sie wurde dabei von Freiwilligeneinheiten der Vietnamesischen Volksarmee unterstützt. Wir vermieden, das zu erwähnen. Die Presseabteilung in Hanoi hätte das nicht gern gesehen. Die Hauptstadt Vientiane, die Königsresidenz Luang Prabang und die Städte beherrschte damals noch eine Washington hörige Regierung. Während an der Spitze der NLH Prinz Souphanouvong stand, war in Vientiane sein Halbbruder Prinz Souvanna Phouma Regierungschef. Dreimal reisten wir für mehrere Wochen in die Gebiete der NLH, zweimal weilten wir in Vientiane.
Das Hauptquartier der Befreiungsfront befand sich in Sam Neua im Nordosten in einem kilometerlangen Tal, das von steil aufragenden Felsmassiven umgeben war. Hier gab es Tausende Felsengrotten. Manche reichten Hunderte Meter in die Berge hinein und hatten saalgroße Ausdehnungen. Seit 1964 die US-Luftwaffe die Pathet-Lao-Gebiete angriff und Sam Neua völlig zerstörte, hatten in diesen Höhlen Zehntausende Menschen Zuflucht gesucht. In einer dieser Grotten empfing uns Prinz Souphanouvong. Es war eine von vielen Begegnungen. Wir trafen den Sekretär der Revolutionären Partei, den Oberbefehlshaber der Befreiungsarmee, begleiteten ihre Kämpfer in die Gefechtsstellungen und weilten in den Bergen der legendären Meo, die oft noch Halbnomaden waren, Brandrodung betrieben und teilweise noch in urgemeinschaftlichen Stammesformen lebten. Wir trafen Ärzte, Lehrer und Schüler, buddhistische Priester, Arbeiter und Bauern. Es waren bewegende Erlebnisse mit Menschen, die sich trotz unterschiedlicher sozialer Herkunft im Kampf gegen die Fremdherrschaft für ein freies Laos zusammenfanden.
Im Frühjahr 1969 machte ich in Vientiane Schlagzeilen in den Medien. AP berichtete, der Ostberliner ADN-Korrespondent habe beim Außenminister die Aufnahme diplomatischer Beziehungen der DDR zum Königreich Laos sondiert. Das war korrekt. Dr. Klaus Willerding, 1969 bis 1972 unser Botschafter in Hanoi, hatte mir in Absprache mit der DRV vorgeschlagen, das Thema vorsichtig und auf rein journalistischer Ebene anzusprechen. Die Antwort war, man sei dazu bereit, wenn die DDR anerkenne, daß die DRV in den Pathet-Lao-Gebieten Truppen stationiert habe. Das kam natürlich für Berlin nicht in Frage.
In Vientiane war ich ein begehrter Gesprächspartner. In Begegnungen mit Journalisten, so von AP, ging es erstaunlich offen zu. Während offiziell geleugnet wurde, daß in der DRV Wohnviertel und zivile Einrichtungen bombardiert wurden, konzentrierten sich die Fragen darauf, wie denn die Bevölkerung das aushalte, ob sich das auf die Widerstandskraft auswirke. Es ging auch um die Versorgung des Südens und anderes mehr. Dabei wurde immer wieder nach dem Gesundheitszustand des Präsidenten gefragt. Ich hütete mich, Interna preiszugeben, zumal kurz vorher die ungarische Nachrichtenagentur MTI ihren Korrespondenten auf Verlangen der Presseabteilung in Hanoi abgezogen hatte. UPI hatte sich bei Berichten über den schlechten Gesundheitszustand Ho Chi Minhs auf ihn berufen.
Die Konfrontation, in der sich in Kalten-Kriegs-Zeiten DDR und BRD gegenüberstanden, spiegelte sich wie beispielsweise in Kuba oder Chile auch in Vietnam wider. Während die DDR solidarisch fest an der Seite der DRV stand, unterstützte das offizielle Bonn bedingungslos bis hin zum verdeckten militärischen Engagement den US-Krieg. In Hanoi war von 1963 bis 1968 als DDR-Botschafter der von den Nazis ins Gefängnis gesperrte Antifaschist Wolfgang Bergold tätig. Für Bonn war zu dieser Zeit Horst von Rom Chefdiplomat in Saigon, einer der Gefolgsleute Hitlers, die Antifaschisten wie Bergold verfolgt, eingesperrt und viele von ihnen umgebracht hatten. Die IG-Farben-Nachfolger BASF und die Farbwerke Hoechst beteiligten sich an der Produktion und Lieferung von Giftgasen nach Saigon. 2500 westdeutsche Techniker, darunter 121 Piloten, sammelten Kriegserfahrungen in Vietnam.
Im Spätherbst 1970 nahmen wir in der Überzeugung Abschied, daß Vietnam siegen würde. Diese Gewißheit bestätigte sich, als die Freiheitskämpfer im April 1975 nach erfolgreichen Feldschlachten die letzten US-Amerikaner in Saigon sprichwörtlich ins Meer jagten, den Süden befreiten, die Einheit ihres Landes wiederherstellten und am Ziel einer sozialistischen Gesellschaft festhielten. Nach der sozialistischen Niederlage 1989/90 in Osteuropa brachte die Sozialistische Republik Vietnam die Hoffnungen ihrer Gegner, auch sie werde den Weg osteuropäischer »kommunistischer und Arbeiterparteien« gehen und den Weg der Sozialdemokratie einschlagen, zum Scheitern. Als in Osteuropa die kommunistischen Parteien zerfielen, stieg die Mitgliederzahl der KPV um 500000 auf 2,5 Millionen an. Mit hohen Zuwachsraten in der Wirtschaft (von sieben bis acht Prozent) ist die Partei heute dabei, Vietnam aus seinem zurückgebliebenen Entwicklungsstadium in ein modernes Industrieland zu verwandeln. Während in anderen Ländern der sogenannten Dritten Welt Millionen Menschen Hunger leiden, sind die Vietnamesen zufriedenstellend mit Grundnahrungsmitteln versorgt.
* Der Artikel in der jW war mit Fotos Von Irene Feldbauer versehen, die wir aus technischen Gründen hier nicht dkumentieren konnten.
Aus: junge Welt, Dienstag, 31. Juli 2012
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