"Die Frauen müssen raus aus der Isolation"
Nguyen Hong Oanh über verbesserte Chancen für Frauen mit Behinderung in Vietnam *
Nguyen Hong Oanh leitet die Nichtregierungsorganisation IDEA (Inclusive Development Action) in Hanoi, die sich für eine Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderung einsetzt. IDEA war zudem an der Formulierung des Nationalen Gesetzes zum Schutz von Menschen mit Behinderung beteiligt, das am 1. Januar 2011 in Vietnam in Kraft trat. Mit ihr sprach für »nd« Susanne Wienke, SODI-Projektmanagerin Südostasien.
nd: Frau Nguyen, wie leben Frauen mit Behinderung in Vietnam?
Nguyen: Frauen mit Behinderung ziehen sich oft zurück, haben wenig Austausch mit anderen Menschen und sind dadurch abgeschnitten von Informationen, zum Beispiel über Gesundheitsversorgung oder Ausbildungsmöglichkeiten. Ihr Selbstvertrauen ist im Keller. Das Gesetz zum Schutz von Menschen mit Behinderung wird bis jetzt noch nicht umgesetzt, und die Gesellschaft fördert sie auch kaum. Das fängt schon bei den Kindern an. Insbesondere auf dem Land kümmern sich die Familien eher um ihre gesunden Kinder. Die Kinder mit Behinderung werden irgendwie »mitgeschleift«.
Was tut Ihre Organisation IDEA?
Unser Ziel ist die Inklusion. Wir wollen deutlich machen, dass Frauen mit und ohne Behinderung im Grunde genommen die gleichen Interessen haben. Sie wollen zum Beispiel ihr eigenes Einkommen verdienen, ihre Familien unterstützen, ihren Kindern eine gute Zukunft bieten und aktiv ihr Leben gestalten. Dazu arbeiten wir eng mit Regierungsbehörden, Berufsschulen und Medien zusammen. Wir wollen zum Beispiel dazu beitragen, dass die Menschen in Vietnam verstehen, dass auch Frauen mit Behinderung ein Recht haben, eine Ehe zu führen und Kinder zu bekommen.
Ist denn das Thema »Behinderung und Sexualität« ein Tabu?
Ja, das kann man so sagen. Es kommt so gut wie nie vor, dass eine Frau mit Behinderung einen Mann ohne Behinderung heiratet. Wir haben versucht, für ein Seminar mit vietnamesischen Medienvertretern Beispiele zu finden, aber wir konnten keine finden. Als ich vor vielen Jahren geheiratet habe, war mein Foto in allen Zeitungen: Eine Frau im Rollstuhl heiratet einen Mann ohne Behinderung. Das war eine Sensation!
Was kann getan werden, damit Frauen mit Behinderung einen Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen? Reicht eine gute Ausbildung?
Leichter gesagt als getan. Die Berufsausbildungen für Frauen mit Behinderung müssen so gestaltet sein, dass sie auch daran teilnehmen können. Das klingt vielleicht selbstverständlich. Aber oft kommen die Frauen gar nicht erst hin oder es gibt keine passenden Unterkunftsmöglichkeiten. Vor allem aber müssen die Frauen ihr Selbstvertrauen stärken und an sich glauben. Wir unterstützen die Frauen in der Gründung von Selbsthilfegruppen, in denen sie sich über Themen wie Ausbildung, Gesundheit oder Familienplanung austauschen können. Wenn sie sich erst mal rausgetraut haben, trauen sie sich auch mehr zu. Durch die Arbeit mit Medien wollen wir den Blick der Öffentlichkeit auf Menschen mit Behinderung verändern. Menschen mit Behinderung sind nicht nur passiv und hilfsbedürftig. Die Medien aus dem Ausland helfen uns dabei, dieses Bild zu verändern.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 08. Dezember 2012
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