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"Orange Day" in Vietnam

Der Tod kam auch aus Ingelheim: Vor 50 starteten die USA ihren chemischen Krieg gegen den Kommunismus in Südostasien. Ein deutscher Konzern half dabei

Von Sebastian Carlens

Am Anfang fielen die Blätter von den Bäumen. Reispflanzungen gingen ein, der Dschungel verdorrte. Später starben die Menschen. Genau 50 Jahre sind vergangen, seit die USA im Krieg gegen den südvietnamesischen Vietcong erstmals Vorstufen des Entlaubungsmittels Agent Orange einsetzten, um ganze Landstriche biologisch abzutöten. Die Rückzugswege der vietnamesischen Guerilla sollten auf diese Art für amerikanische Luftangriffe offengelegt, den Reisbauern die ökonomische Grundlage entzogen werden.

Chemischer Feldversuch

Der 10. August ist in Vietnam »­Orange Day«. Kein Feier-, sondern ein Gedenktag. Am 10. August 1961 begannen die US-Streitkräfte in Vietnam mit der Operation »Ranch Hand« (Erntehelfer), der großflächigen Versprühung von dioxinverseuchten Entlaubungsmitteln. Auch am gestrigen Mittwoch erinnerten die Vietnamesen an die Opfer eines heimtückischen, nicht sichtbaren Giftes, das noch immer in Millionen Litern im Boden, in den Pflanzen und damit auch im menschlichen Nahrungskreislauf lauert. Zum 50. Jahrestag des Beginns der Verseuchung ihres Landes veranstaltete die Vietnamesische Vereinigung der Agent-Orange-Opfer (VAVA) eine internationale Konferenz, um auf die nach wie vor nicht bewältigte Katastrophe aufmerksam zu machen. Nicht bewältigt unter anderem deshalb, weil die USA auch 36 Jahre nach Kriegsende nicht bereit sind, die vietnamesischen Opfer ihrer Kriegsführung anzuerkennen und zu entschädigen. Die Konferenz fordert deshalb von den USA, die Verantwortung für die Schäden zu übernehmen, die dem vietnamesischen Volk zugefügt wurden. Auch die amerikanischen Unternehmen, »allen voran Dow Chemical und Monsanto, die einst das Agent Orange an die US-Streitkräfte geliefert haben«, müßten endlich anerkennen, »daß sie falsch gehandelt haben«, heißt es in der Abschlußerklärung.

Zehn Jahre dauerte der militärisch-chemische Großfeldversuch am lebenden Objekt. Nach zehn Jahren hatten die Vereinigten Staaten in 9495 dokumentierten Einsätzen rund 90 Millionen Kilogramm Agent Orange auf einer Fläche der Größe Hessens versprüht, drei Millionen Hektar Regenwald und Reisfelder vernichtet sowie 26000 Dörfer verseucht. 15,9 Liter kamen in den regelmäßig »entlaubten« Gebieten auf jeden Einwohner. Auch heute, 40 Jahre nach Ende des Agent-Orange-Einsatzes, leiden und sterben Menschen an den Langzeitfolgen. Neugeborene mit deformierten Schädeln, ohne Augen und Nase, mit fehlenden oder mißgebildeten Organen; junge Frauen um die 20 mit vom Krebs zerfressenen Gebärmüttern; Kriegsveteranen und einfache vietnamesische Bauern, die – oft Jahre nach Kontakt mit Agent Orange – an bösartigen Tumoren sterben.

2,4,5-Trichlorphenoxyessigsäure (T-Säure) heißt der Wirkstoff in »Agent Orange«, der die Blätter von den Bäumen fallen und die Reissetzlinge eingehen läßt. Bei seiner Synthetisierung entsteht Dioxin. Diese chlorhaltige organische Verbindung wurde 1957 vom deutschen Chemiefabrikanten Boehringer entdeckt und zählt zu den potentesten Giften, das die Menschheit je ersonnen hat. Es ist nicht nur ausgesprochen persistent, also über lange Zeiträume in der Umwelt stabil. Es schädigt das Genom, schwächt das Immunsystem und ist stark krebserregend. Blutkrebs und Nierenversagen, Nervenleiden und Metastasenbildungen zählen zu den rund 140 bekannten Folgeerkrankungen. Fünf Millionen Vietnamesen kamen mit Agent Orange in Berührung. Drei Millionen von ihnen erkrankten in der einen oder anderen Form. Dazu kommen rund 200000 Angehörige der US-Streitkräfte, die bei der Veteranenbehörde als Agent-Orange-Opfer registriert sind.

Gift aus Ingelheim

Auch in Deutschland hat das Gift Tote gefordert. Rund 115 einstige Arbeiter von Boehringer Ingelheim verstarben alleine bis 1991 an Krebs. Das weltweit größte in Familienbesitz befindliche Chemieunternehmen aus Ingelheim am Rhein wurde vom US-Unternehmen Dow Chemical, neben Monsanto einer der beiden Hauptlieferanten des Herbizids, nach Lieferengpässen eingeschaltet. 1967 hatte das US-Militär die gesamte US-amerikanische Jahresproduktion an T-Säure beschlagnahmen lassen, doch auch das sollte nicht reichen: bei 45,2 Millionen Litern lag der Jahresbedarf mittlerweile. »Die beste Waffe, die wir haben, aber wir können nicht genug kriegen«, meldete das U.S. Military Assistance Command aus Vietnam. Boehringer Ingelheim konnte helfen. Ein bereits 1965 getroffenes Abkommen mit Dow Chemical über chemische Lieferungen wurde »erweitert«. »Solange der Vietnamkrieg andauert, sind keine Absatzschwierigkeiten zu erwarten«, läßt der Produktionschef hausintern verlauten. Geschlossen wurde der gewinnträchtige Pakt zwischen Boehringer und Dow Chemical zu einer Zeit, als Richard v. Weizsäcker, der das Unternehmen 1966 verließ, noch Personalvorstand in Ingelheim war.

Der Großeinsatz für Agent Orange dauert bis ins Jahr 1971. Für Boehringer endet damit der Krieg schon vier Jahre vor der Einnahme Saigons durch nordvietnamesische Truppen: Es gebe »auf Sicht nur noch geringe Verkaufsmöglichkeiten«; ein »spürbarer Erlößverfall« sei zu erwarten. Bei den Arbeitern, die in Ingelheim in Kontakt zu Dioxin kamen, stellte eine 1991 vom Hamburger Senat veröffentlichte Studie das Risiko einer »deutlichen Übersterblichkeit« von 240 Prozent fest.

Weizsäcker, der später Bundespräsident werden sollte, war zu diesem Zeitpunkt bereits aus der freien Wirtschaft zur evangelischen Kirche gewechselt. Für seinen neuen Arbeitgeber stand er als Präsident zwei Kirchentagen, in Hannover (1967) und Stuttgart (1969), vor. Die christlichen Großveranstaltungen standen unter den Leitmotiven »Der Friede ist unter uns« und »Hunger nach Gerechtigkeit«.

* Aus: junge Welt, 11. August 2011

Erklärung zum Jahr der Opfer von Agent Orange 2011

Am 10. August 1961 führte die US-Luftwaffe die ersten Versprühungen von Unkrautvernichtungsmitteln über vietnamesischem Territorium durch, unter ihnen Agent Orange, das Dioxin enthält. In diesem Jahr erinnert Vietnam mit vielfältigen Veranstaltungen an den 50. Jahrestag dieses Ereignisses.

Der US-amerikanische Vietnamkrieg (1961-1975) ist bekannt für die massiven Bombardements auf Nordvietnam. Noch heimtückischer war der von der Öffentlichkeit lange Zeit nicht beachtete chemische Krieg, der von 1961 bis 1971 im Süden dramatische, bis heute andauernde Wirkungen auslöste. Es handelt sich dabei um eine Umweltzerstörung größten Ausmaßes und eine menschliche Katastrophe vielfältiger Art mit Auswirkungen auf Gesundheit, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, jetzt schon in der dritten Generation.

Die Regierung der Vereinigten Staaten und die Firmen, die diese chemischen Produkte hergestellt haben, leugnen jegliche Verantwortung. Aber dabei darf es nicht bleiben.

Am 16. Juni 2010 hat in Hanoi die Dialoggruppe USA-SR Vietnam1 ihren vierten Bericht veröffentlicht, der aus zwei Teilen besteht, einer Erklärung und einem Aktionsplan.

Die Erklärung nimmt kein Blatt vor den Mund und bricht mit der bislang üblichen sprachlichen Zurückhaltung. Sie begrüßt die Anstrengungen, die Vietnam seit 1980 unternommen hat, um selbst gegen die Folgen dieser Versprühungen anzukämpfen und erinnert daran, daß es auch bescheidene humanitäre Hilfe von Nichtregierungsorganisationen gegeben hat, unter ihnen der Ford-Stiftung.

Der Plan, der im zweiten Teil erläutert wird, gibt als Ziel der Aktionen die Summe von 300 Mio. US-$ an, die in Jahresraten von 30 Mio. aufgebracht werden müssen. Die Aufzählung der einzelnen Aufgaben, die in dieser Zeit zu lösen sind, ist vier Seiten lang. Das Programm ist ehrgeizig, und man kann Zweifel hegen, daß 300 Mio. ausreichen werden, es durchzuführen.

Allerdings hat die Dialoggruppe keinerlei Entscheidungsbefugnis und verfügt über keine finanziellen Mittel. Das Problem der Folgen der Sprühaktionen ist also weit entfernt davon, gelöst zu werden. Aber ein Punkt verdient, hervorgehoben zu werden: Die Dialoggruppe wendet sich direkt an die amerikanische Regierung mit der Aufforderung, den größten Teil der nötigen Mittel bereitzustellen.

Die bislang geleistete humanitäre Hilfe steht in keinem Verhältnis zu dem was nötig wäre. Und deshalb muß die Unterstützung für Vietnam und die gerechte Entschädigung für die Opfer auf dem Niveau der Staaten organisiert werden. Die Firmen, die die Pflanzenvernichtungsmittel hergestellt haben, vor allem Monsanto und Dow Chemical, müssen sich an dieser Unterstützung beteiligen und so die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen.

In Ivry (Frankreich) haben sich anläßlich des Kongresses der AAFV zum 50. Jahrestag ihrer Gründung die Vertreter von vier Solidaritätsorganisationen mit Vietnam darauf verständigt, die Öffentlichkeit erneut auf die Tragödie hinzuweisen, die sich in Vietnam abspielt, mehr als 35 Jahre nach Ende des Krieges. Sie wollen ihre Anstrengungen drauf richten, in ihren jeweiligen Ländern Abgeordnete der Parlamente von der Notwendigkeit einer schnellen und massiven Hilfe für die vietnamesischen Opfer von Agent Orange und für das Land Vietnam, dessen Natur durch diese Mittel verwüstet worden ist, zu überzeugen.

[1] Gruppe von vietnamesischen und amerikanischen Wissenschaftlern und Politikern, gegründet 2007, um gemeinsam das Problem der Folgen von AO zu diskutieren und im Sinne der Humanitären Hilfe zu lösen. Organisiert wird die Arbeit vom Aspen-Institute und finanziert von der Ford-Foundation.

Diese Resolution wurde wurde auf der Mitgliederversammlung der Freundschaftsgesellschaft am 28. 3. einstimmig verabschiedet. Sie ist eine gemeinsame Aktion der AAFV (Association Franco-Vietnamienne), der Gesellschaft Schweiz-Vietnam und der Association Belgique-Vietnam.

Quelle und Kontakt: www.fg-vietnam.de




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