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Kritik von links

Venezuela: Regierung und Opposition einigen sich auf gemeinsamen Kampf gegen Kriminalität. Kommunisten bemängeln Ausgrenzung

Von André Scheer *

In Venezuela haben Regierung und Opposition bei der zweiten Runde ihrer von der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) und dem Vatikan vermittelten Gespräche am Dienstag (Ortszeit) erste Vereinbarungen erzielt. Das Bündnis der Regierungsgegner, der »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD), distanzierte sich erneut »von jeder Gewalt« und erkennt die Verfassung als rechtlichen Rahmen aller politischen Auseinandersetzungen an. Zudem will sich die Opposition an dem von Präsident Nicolás Maduro vorgestellten »Nationalen Befriedungsplan« beteiligen. MUD-Koordinator Ramón Guillermo Aveledo erklärte nach Ende der Gespräche im staatlichen Fernsehen VTV, die von der Opposition gestellten Bürgermeister und Gouverneure würden sich im Rahmen ihrer Aufgaben an dem von der Zentralregierung aufgenommenen Kampf gegen das organisierte Verbrechen beteiligen.

Der »Plan Nacional de Pacificación« war schon am 14. Februar von Maduro vorgestellt worden. Zu den zehn strategischen Grundzügen dieses Pakets gehört etwa die Entwaffnung der kriminellen Banden. Der Staatschef sprach in diesem Zusammenhang von rund 600 Gruppen in Venezuela, mit denen die Sicherheitskräfte in Verhandlungen seien, um sie von ihrem kriminellen Weg abzubringen, sie von der Abgabe ihrer Waffen zu überzeugen und in das öffentliche Leben zu integrieren.

In anderen Bereichen gab es ebenfalls eine Annäherung zwischen der Exekutive und ihren Gegnern. So soll eine »Wahrheitskommission« eingerichtet werden, die rund 60 Foltervorwürfe gegen Angehörige der Sicherheitskräfte untersuchen soll. Das venezolanische Parlament hatte zu diesem Zweck bereits eine Kommission eingesetzt, doch die Regierungsgegner beharrten auf einem Ausschuß, der außerhalb der öffentlichen Gewalten wirken sollte. Als Kompromiß einigte man sich nun darauf, die Kommission der Nationalversammlung um anerkannte Persönlichkeiten zu erweitern, »die für alle vertrauenswürdig sind«, wie es Aveledo formulierte. »Ich hätte nicht gedacht, daß es in gerade einmal drei Stunden möglich sein würde, so bedeutend voranzukommen«, freute sich anschließend Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño, der als Vermittler eigens nach Caracas gereist war.

Während die staatlichen Medien die Zusagen der Opposition feiern, reagiert der linke Flügel der Regierungsanhänger skeptisch auf die laufenden Gespräche. Bei einer Pressekonferenz unterstrich der Chef der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV), Oscar Figuera, die vom Imperialismus unterstützte Opposition halte an ihrem Ziel fest, die Erfolge des revolutionären Prozesses in Venezuela zurückzudrehen. Die PCV sei – wie alle Venezolaner – für den Frieden, doch dieser könne nicht durch »Zugeständnisse an den Faschismus« erreicht werden. Notwendig sei eine Vertiefung des politischen und gesellschaftlichen Prozesses. Einen Frieden ohne Bestrafung der Ausschreitungen könne es nicht geben. Zudem kritisierte Figuera, daß die Regierung nicht parallel das Gespräch mit ihren Verbündeten suche. »Während sie diesen Dialog mit der Opposition führt, führt sie ihn nicht mit den Kräften, die sich dem nationalen Befreiungsprojekt verschrieben haben«, so Figuera. Schon vor der ersten Gesprächsrunde am 10. April hatte die PCV verlangt, eine Sitzung des »Großen Patriotischen Pols« durchzuführen, in dem sich die verschiedenen linken Organisationen zusammengeschlossen haben. Dieses Treffen kam kurzfristig zustande, doch offenbar als Retourkutsche wurde dem Vertreter der PCV bei den Gesprächen, Yul Jabour, ein eigener Redebeitrag verweigert.

Die seit Mitte Februar anhaltenden Ausschreitungen militanter Regierungsgegner haben offiziellen Angaben zufolge bislang 41 Menschenleben gefordert. Während die Opposition die »Repression« für diese hohe Zahl verantwortlich macht, kommt eine Studie des Rundfunksenders Alba Ciudad zu dem Ergebnis, daß lediglich fünf Opfer auf Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte zurückgeführt werden können. Die meisten Menschenleben kosteten Barrikaden und Fallen, die von Militanten auf Hauptverkehrsstraßen errichtet worden waren. So waren mehrere Motorräder über kaum sichtbare, über die Fahrbahn gespannte Drähte gestürzt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 17. April 2014


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