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Opposition gegen Karneval

In Venezuela greift die extreme Rechte zu Paramilitärs. Polizist erschossen

Von André Scheer *

Venezuelas Karneval ist international nicht so berühmt wie etwa der in Rio de Janeiro – doch die »fünfte Jahreszeit« ist auch in dem südamerikanischen Land Anlaß für ausgelassene Feiern. Der heutige Rosenmontag und der morgige Karnevalsdienstag sind offiziell arbeitsfrei. Für viele Venezolaner sind die »tollen Tage« eine willkommene Atempause nach der politischen Anspannung der vergangenen Wochen – zum Unmut des Oppositionsbündnisses MUD (Tisch der demokratischen Einheit), das in diesem Jahr auf Spaß und Umzüge verzichten will. »Der Karneval sollte durch eine wirkliche Untersuchung der Todesfälle und Folterungen ersetzt werden«, forderte die Allianz am Sonnabend via Twitter.

In verschiedenen Städten versuchten Regierungsgegner, mit Barrikaden die Zufahrtswege zu den Städten zu blockieren und so die Feiern zu verhindern. So berichtete Cumanás Bürgermeister David Velásquez am Freitag, eine kleine Gruppe habe versucht, die Straßen zu sperren, und Parolen gegen den Karneval gerufen. Sie habe jedoch weder die Wahl der Karnevalskönigin noch den Umzug durch die Stadt verhindern können. Bei der MUD las sich das am Wochenende anders: »In Cumaná ging die Nationalgarde gegen Demonstranten vor.« Doch die Boykottaufrufe der Opposition gegen den Karneval sind selbst bei den Angehörigen der wohlhabenden Mittelschicht nur auf wenig Widerhall gestoßen. Venezuelas Fluggesellschaften jedenfalls berichteten, daß die Flüge etwa nach Miami komplett ausgebucht seien. Auch die Strände sind wie üblich an so einem verlängerten Wochenende überfüllt.

Die Strategie der radikalen Teile der Opposition ist längst nicht mehr darauf ausgerichtet, große Demonstrationen für konkrete Forderungen zu organisieren. Von Miami aus gab die ultrarechte »Organisation der Venezolaner im Exil« bereits die Parole aus, zum Sturz des »internationalen Castro-Stalinismus« sei es nur noch nötig, »daß der Protest auf unbestimmte Zeit an vielen Punkten im ganzen Land aufrechterhalten wird, bis das Regime implodiert«. Dabei solle die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften vermieden werden, indem die Protestierenden Barrikaden aus Abfällen und Autoreifen errichten und sich dann zurückziehen.

Die Sicherheitskräfte, die die Hindernisse anschließend beseitigen, müssen immer mehr befürchten, dabei in einen Hinterhalt zu geraten. Im Bundesstaat Carabobo wurde am Freitag ein Angehöriger der Bolivarischen Nationalgarde (GNB) erschossen. Präsident Nicolás Maduro informierte, Giovanni Pantoja sei attackiert worden, als er mit seinen Kollegen eine auf einer Autobahn errichtete Barrikade beseitigen wollte. Der Staatschef machte den Dekan der juristischen Fakultät der Universität von Carabobo, Pablo Aure, in diesem Zusammenhang dafür verantwortlich, auf dem Campus paramilitärische Gruppen ausgebildet zu haben. Auf Fotos, die das linke Internetportal Aporrea.org veröffentlicht hatte, waren auf dem Gelände der Hochschule mit Kriegswaffen ausgerüstete Personen zu sehen, von denen einige Uniformen ohne Abzeichen trugen. Aure wurde zwar am vergangenen Freitag von der Staatsanwaltschaft vorgeladen, durfte nach einer Befragung jedoch wieder gehen. »An der Universität von Carabobo wurden nur Bürger ausgebildet, keine Paramilitärs«, behauptete er anschließend gegenüber Medienvertretern.

Kurz zuvor hatte er wie viele andere Oppositionelle über Twitter ein Video des spanischen Programms von CNN verbreitet. In dem am Freitag ausgestrahlten Beitrag präsentierte der US-Nachrichtensender einen »unpolitischen Jugendlichen aus Petare«, der sich unzufrieden mit der Regierung zeigte und beklagte, nicht genug Geld zum Kauf von Fahrscheinen zu haben, weil seine Mutter nur den Mindestlohn verdiene. Die Botschaft war klar: Auch in den armen Vierteln der Hauptstadt wächst der Unmut über Maduro. Nikary González, die Vizechefin der oppositionellen Journalistengewerkschaft CNP, erklärte den »Chamo« (Kumpel) daraufhin prompt zu einem »Symbol«. Das könnte sein, doch anders, als González es gemeint hat. Denn der »einfache Junge«, der von sich behauptete, weder Chavista noch von der Oppostion zu sein, ist kein Unbekannter. Vielmehr handelt es sich um Yeiker Guerra, den Finanzkoordinator der Rechtspartei Primero Justicia. Die private Universität Monteávila, in der Guerra nach eigenen Angaben Verwaltungswissenschaft studiert, verlangt jährliche Studiengebühren in Höhe von umgerechnet 3450 Euro.

* Aus: junge Welt, Montag, 3. März 2914


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