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Neues Feindbild

Venezuela: Rechte Opposition macht Basisgruppen für Gewalt verantwortlich

Von André Scheer *

In dem für seine kämpferischen Traditionen bekannten Stadtviertel 23 de Enero im Westen der venezolanischen Hauptstadt Caracas haben am Donnerstag morgen (Ortszeit) Mitglieder zahlreicher Basisgruppen für den Frieden und gegen den drohenden Staatsstreich in ihrem Land demonstriert. Sie reagierten damit auf eine in venezolanischen und ausländischen Medien seit Tagen betriebene Kampagne gegen die »Colectivos«, wie diese Vereinigungen auch genannt werden. So ruft die rechte Opposition für Sonnabend zu einer Demonstration für die »Entwaffnung« der Colectivos auf. Von Zeitungen der Regierungsgegner, aber auch von internationalen Nachrichtenagenturen wie dpa oder AFP, werden die linken Basisvereinigungen als Stoßtruppen der Regierung dargestellt. »Dabei handelt es sich um bewaffnete ›Chavista‹-Gruppen, die von Anhängern des an Krebs gestorbenen Staatschefs Chávez gebildet werden«, hieß es etwa am vergangenen Montag in einer Meldung der dpa.

Zwar gibt es in Venezuela Gruppen, die sich darauf vorbereiten, im Falle eines Staatsstreichs den Putschisten auch bewaffnet Widerstand leisten zu können. Doch die meisten dieser Colectivos beschäftigen sich vor allem mit sozialen Aktivitäten in ihrem lokalen Umfeld, wie Computerkursen, Lebensmittelverteilungen oder gesundheitlicher Aufklärung. Viele von ihnen sind jedoch auch radikale Verfechter des revolutionären Kurses in Venezuela und lehnen Kompromisse mit der Opposition ab. Dazu haben sie sich in der Partei REDES zusammengeschlossen, die vom früheren Oberbürgermeister von Caracas, Juan Barreto, geführt wird und bei der letzten Präsidentschaftswahl im April 2013 gut 0,6 Prozent der Stimmen erzielen konnte.

»Mit Putschisten, Terroristen oder Faschisten führt man keinen Dialog und keine Verhandlungen, man besiegt sie«, zitiert die »Coordinadora Simón Bolívar« auf ihrer Homepage Hugo Chávez, der dies 2003 im Zusammenhang mit der Wirtschaftssabotage der rechten Unternehmerverbände erklärt hatte. Schon damals hatte die Opposition den Basisgruppen, vor allem den ab 2001 gebildeten »Círculos Bolivarianos«, vorgeworfen, mit Waffengewalt gegen Regierungsgegner vorzugehen.

Aktuell werden die Colectivos von der Opposition unter anderem für den Tod eines Fotomodells verantwortlich gemacht. Génesis Carmona, die amtierende »Miss Tourismus Carabobo«, war am Dienstag während einer Oppositionskundgebung in Valencia angeschossen worden. Einen Tag später erlag sie im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen. Wer die tödlichen Schüsse abgegeben hat, konnte bislang nicht geklärt werden. Die rechte Tageszeitung El Universal berichtete, die Demonstration sei von bewaffneten Motorradfahrern angegriffen worden, die rote T-Shirts mit dem Symbol der Regierungspartei PSUV getragen hätten. Der sozialistische Gouverneur des Bundesstaates Carabobo, Francisco Ameliach, verurteilte das Verbrechen und forderte die Sicherheitsorgane auf, die Täter und deren Hintermänner dingfest zu machen. Ebenso verurteilte er auch den am selben Tag erfolgten Angriff auf ein Büro der PSUV, bei dem ein junges Mitglied der Sozialistischen Partei durch Schüsse verletzt worden war. In Guayana im Osten Venezuelas wurden einem Bericht des Internetportals Aporrea.org zufolge am Mittwoch mehrere Teilnehmer einer Arbeiterdemonstration zur Unterstützung der Regierung verletzt, als von einem Hochhaus aus auf sie geschossen wurde.

Weiter unklar sind auch die genauen Hintergründe der Zusammenstöße am 12. Februar, bei denen in Caracas drei Menschen getötet worden waren. Die Tageszeitung Últimas Noticias meldete inzwischen, ein Beamter des Geheimdienstes SEBIN sei in diesem Zusammenhang festgenommen worden. Er habe sich über eine Anordnung von Präsident Nicolás Maduro hinweggesetzt, daß sich alle SEBIN-Angehörigen von den Oppositionsprotesten fernhalten sollten. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es bislang nicht. In venezolanischen Medien war der Beamte bezichtigt worden, die Schüsse auf einen der Getöteten abgegeben zu haben. Sollte sich dies bestätigen, könnte es sich um eine Provokation wie im Vorfeld des Putsches gegen Hugo Chávez gehandelt haben. Am 11. April 2002 hatten Polizisten der damaligen Hauptstadtpolizei PM auf Regierungsgegner und Oppositionelle geschossen und damit den Militärs einen Vorwand für den Sturz von Hugo Chávez geliefert.

* Aus: junge Welt, Freitag, 21. Februar 2014


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