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Was von Hugo Chávez bleibt

Venezuelas 2013 verstorbener Präsident wäre am Montag 60 Jahre alt geworden. Sein Erbe ist die »Bolivarische Revolution«

Von André Scheer *

Zehntausende Menschen feierten am vergangenen Wochenende in Managua den 35. Jahrestag der Sandinistischen Revolution. Während der Rede von Nicaraguas Präsident Daniel Ortega auf der Plaza de la Fe trugen Helfer eine lebensgroße Statue auf die Bühne und stellten sie vor einen Stuhl, der direkt neben dem Staatschef freigehalten worden war. Sie stellte unverkennbar den im vergangenen Jahr Verstorbenen Präsidenten der Bolivarischen Republik Venezuela dar. »Hugo Chávez ist hier!« rief Ortega aus, während aus den Lautsprechern der Wahlkampfsong von 2012 – »Chávez, Herz des Volkes« – tönte. Der Blick streifte hinüber zu dem Denkmal für den venezolanischen Präsidenten, das nach dessen Tod im vergangenen Jahr an dem großen Platz errichtet worden war.

In Nicaragua und ganz Lateinamerika ist Hugo Chávez auch fast anderthalb Jahre nach seinem Verschwinden präsent. Vor allem aber in Venezuela und ganz besonders in Caracas stößt man an jeder Straßenecke auf sein Bild. Ob als Wahlplakat in den Fenstern eines der vielen neuen Wohnhäuser oder als Graffiti an einer Mauer in der Innenstadt, ob als überlebensgroß aufblasbare Figur auf einer Demonstration oder als geschnitztes Andenken auf einem Markt – an Chávez führt nichts vorbei. Viele tragen auch heute noch die in allen Farben erhältlichen T-Shirts, die nur das Augenpaar des Präsidenten zeigen – und jeder versteht die Botschaft.

Am Montag wäre Hugo Chávez 60 Jahre alt geworden, und die Regierung hat zahlreiche seiner Weggefährten, vor allem Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika, zur Feier eingeladen. Zu den Gästen gehören die Präsidenten der Mitgliedsstaaten des südamerikanischen Wirtschaftsblocks MERCOSUR, der am Dienstag in Caracas sein jährliches Gipfeltreffen durchführt. Vor allem soll das Volk an den Veranstaltungen zur Erinnerung an Chávez teilnehmen und »feiern, daß Gott uns einen Mann von der ethischen, moralischen, intellektuellen und spirituellen Größe unseres geliebten Comandante geschenkt hat«, wie es Venezuelas Präsident Nicolás Maduro am Mittwoch bei einer Fernsehansprache sagte.

Solche religiösen Formulierungen sind in Venezuela keine Ausnahme. Die führenden Köpfe des bolivarischen Prozesses haben dem am 28. Juli 1954 in einfachsten Verhältnissen in Sabaneta geborenen Hugo Chávez, der Militär wurde, 1992 mit einem Aufstand die korrupte Regierung stürzen wollte und am 6. Dezember 1998 zum Präsidenten seines Landes gewählt wurde, längst den Titel des »Ewigen Obersten Comandante« verliehen, und bis heute beruft sich Maduro bei praktisch jeder Entscheidung darauf, daß dies die Umsetzung des Programms seines Vorgängers sei. Doch was bleibt von Hugo Chávez außer einer solchen leidenschaftlichen, aber doch oberflächlichen Verehrung?

Zunächst einmal ist es die von ihm angestoßene »Bolivarische Revolution«, die seinen Tod überdauert hat. Nicolás Maduro ist es trotz einer gewaltsamen Kampagne der Regierungsgegner und trotz eigener Unsicherheiten gelungen, sich an der Spitze des Staates zu behaupten. Nun soll es darum gehen, den von Chávez eingeschlagenen Weg weiterzugehen. »Die große Aufgabe ist die Schaffung und Entwicklung des neuen produktiven Wirtschaftsmodells und die Überwindung der Erdölrentenökonomie«, erläuterte er am Donnerstag im gerade gestarteten englischsprachigen Programm des lateinamerikanischen Fernsehsenders TeleSur im Gespräch mit dem britischen Publizisten und Filmemacher Tariq Ali. »Das Hauptthema unserer Revolution«, so Maduro weiter, »ist die Entwicklung eines modernen, produktiven Wirtschaftsmodells sozialistischen Charakters.«

Sozialismus als Ziel – Die historische Leistung von Hugo Chávez war es, als erster nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in Europa eine solche Losung wieder populär gemacht zu haben. Im Januar 2005 – sechs Jahre nach seinem Regierungsantritt – hatte er das Wort zum ersten Mal öffentlich in den Mund genommen. »Dem Volk seine Rechte zu verweigern ist der Weg in die Grausamkeit, der Kapitalismus ist Grausamkeit«, rief er bei einer Kundgebung am Rande des Weltsozialforums im brasilianischen Porto Alegre aus. »Es ist notwendig, den Kapitalismus zu überwinden – das sagen auch viele Intellektuelle. Aber ich füge hinzu: Der Kapitalismus wird nicht aus sich selbst heraus überwunden werden. Der Kapitalismus muß auf dem Weg des Sozialismus überwunden werden.« Gleichheit und Gerechtigkeit seien die Merkmale des echten Sozialismus – »Aber das ist nicht die Demokratie, die uns Mister Superman in Washington aufzwingen will, denn die ist keine Demokratie.«

Unter Hugo Chávez hat Venezuela viel erreicht. Vieles andere, was als Ziel proklamiert wurde und wird – wie etwa die endgültige Überwindung der Armut – steht noch aus. In manchen Bereichen mußten Rückschläge hingenommen werden. Doch Venezuelas revolutionärer Prozeß hat die Schockstarre der Linken in den 90er Jahren aufgebrochen. Das bleibt die historische Leistung von Hugo Chávez – auch unabhängig davon, wie der konkrete Prozeß in Venezuela letztlich weitergeht.

* Aus: junge Welt, Samstag, 26. Juli 2014


Pünktliche Provokation

Niederländische Behörden nehmen auf Aruba venezolanischen Diplomaten fest. USA fordern Auslieferung wegen angeblicher FARC-Unterstützung

Von André Scheer **


Auf der niederländischen Karibikinsel Aruba, einer niederländischen Kolonie, ist am Donnerstag (Ortszeit) der designierte Generalkonsul Venezuelas, Hugo Carvajal, festgenommen worden. Die Verhaftung des Diplomaten geschah offenbar auf Betreiben der USA, die ihm vorwerfen, in seiner Zeit als Chef des venezolanischen Militärgeheimdienstes DIM zwischen 2004 und 2009 die kolumbianische FARC-Guerilla materiell unterstützt zu haben. Wie das in Oranjestad, der Hauptstadt von Aruba, betriebene Internetportal 24ora.com berichtete, hat Washington die Auslieferung des früheren Generals beantragt.

Caracas reagierte empört auf die »illegale und willkürliche« Festnahme Carvajals. Dieser sei im Besitz eines Diplomatenpasses und genieße entsprechende Immunität. Die von den niederländischen Behörden vorgenommene Verhaftung sei deshalb ein Bruch des Völkerrechts und speziell der Wiener Konvention über diplomatische und konsularische Beziehungen. »Die Bolivarische Republik Venezuela richtet einen nachdrücklichen Appell an das Königreich der Niederlande, dieses ungerechtfertigte und unangemessene Verhalten zu korrigieren« und den venezolanischen Diplomaten auf freien Fuß setzen, heißt es in einer offiziellen Erklärung des Außenministeriums in Caracas. Ansonsten bestehe die Gefahr, »daß diese Aktion zu einer Verschlechterung der diplomatischen, wirtschaftlichen, Energie- und Handelsbeziehungen« führe. Daran dürfte Aruba kein Interesse haben, auch wenn die Haupteinnahmequelle Touristen aus den USA sind – Venezuela ist neben Kolumbien schon aufgrund der Nähe der wichtigste Handelspartner in Südamerika.

Wie der niederländische Rundfunk NOS berichtete, bestätigten die Behörden von Aruba zwar, daß Carvajal im Besitz eines Diplomatenpasses sei. Allerdings sei er von Den Haag noch nicht als Generalkonsul akkreditiert worden, weshalb er auch noch keine Immunität genieße. Caracas hatte den Diplomaten bereits im Januar nominiert.

Es dürfte kein Zufall sein, daß diese neue nordamerikanisch-europäische Provokation gegen Venezuela gerade zu diesem Zeitpunkt losgetreten wurde. Am Donnerstag beging das Land den Geburtstag des Nationalhelden Simón Bolívar, der einer der wichtigsten gesetzlichen Feiertage des Landes ist. Zudem bereitet sich das Land auf den an diesem Wochenende beginnenden Kongreß der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) und auf den 60. Geburtstag von Hugo Chávez am Montag vor. Schließlich ist man am Dienstag auch Gastgeber der Staats- und Regierungschefs des MERCOSUR. Caracas hat die Präsidentschaft dieses aus Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela bestehenden Wirtschaftsblocks in den vergangenen zwölf Monaten ausgeübt, am Dienstag wird Präsident Nicolás Maduro das Amt an seine argentinische Amtskollegin Cristina Fernández de Kirchner übergeben.

Maduro verurteilte die »Entführung« Carvajals und kündigte an, den Diplomaten sowie die Integrität des Landes und seiner Bürger gegen das »nordamerikanische Imperium« zu verteidigen: »Wir wollen keine Probleme mit niemandem auf der Welt. Doch wenn sie versuchen, die Würde Venezuelas zu verletzen, wird Venezuela mit ausreichender Kraft antworten«, erklärte er bei einer Zeremonie aus Anlaß des Feiertags. »Wir werden nicht zulassen, daß die Ehre Venezuelas oder auch nur eines einzigen Venezolaners durch Kampagnen besudelt wird, die vom Imperium zusammengebastelt werden.«

* Aus: junge Welt, Samstag, 26. Juli 2014


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