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Venezuela zählt durch

Neuer Zensus soll Sozialpolitik der Regierung unterstützen

Von Harald Neuber *

Am Mittwoch (14. Sept.) gab Venezuelas Wahlbehörde CNE den 7. Oktober 2012 als Termin für die nächste Präsidentschaftswahl bekannt. Ein Jahr davor wird beinahe jede Maßnahme der sozialistischen Regierung zu einem Streitpunkt. Auch das im September angelaufene Zensus trifft auf harsche Kritik von Teilen der rechtsgerichteten Opposition.

Mit Weste und Schirmmütze ausgestattete Mitarbeiter des Nationalen Statistikinstituts (INE) sind seit Anfang September in Venezuela im Einsatz. 18 000 von ihnen sollen die Haushalte zu ihren Wohn- und Arbeitsverhältnissen befragen. Denn die Bevölkerungsdaten sind, wie es in Caracas heißt, nicht mehr aktuell. Um die laufenden sozialpolitischen Programme effektiver zu gestalten, bedarf es daher einer neuen Volkszählung. Der Fragenkatalog umfasst insgesamt 69 Punkte, die Antworten werden von den INE-Mitarbeitern elektronisch erfasst.

Protest gegen das Vorhaben regte sich zwei Wochen vor Start der Befragung vor allem bei der christdemokratischen Partei Copei. Deren Vorsitzender Roberto Enríquez hatte weniger grundsätzliche Bedenken gegen Datensammlungen, wie sie vor Volksbefragungen in Europa wiederholt geäußert worden waren. Der Oppositionspolitiker beklagte auf einer Pressekonferenz in Caracas, dass mit einigen Fragen die Persönlichkeitsrechte der Bürger verletzt würden. Die Chávez-Regierung wolle, so hieß es zudem in Oppositionskreisen, die Bevölkerung aushorchen und persönliche Daten sammeln. Enríquez erinnerte vor diesem Hintergrund daran, dass jeder Bürger das Recht habe, einzelne Fragen nicht zu beantworten. Zugleich mahnte der Christdemokrat aber, die Mitarbeiter des INE nicht persönlich anzugreifen oder für das vermeintlich politische Ansinnen hinter dem Zensus verantwortlich zu machen.

Zu Beginn der Volkszählung trat nun der INE-Mitarbeiter Luis Gerónimo Reyes den Vorwürfen entgegen. Zahlreiche Fragen des Zensus' seien schon seit Mitte des vergangenen Jahrhunderte gestellt worden und bisher nie auf Kritik gestoßen. Selbst die regierungskritische Tageszeitung »El Universal« widersprach den Christdemokraten. Fragen nach Arbeitsplatz, Gehalt und Art der Arbeit hätten die Bürgerinnen und Bürger auch 2001 und in den Jahrzehnten davor beantwortet, schreibt das Blatt. Seit 1950 sei die geografische Herkunft der Bürger erfasst worden und seit dem ersten Zensus 1941 wurden das Verhältnis von Personen zu Schlafräumen in einzelnen Wohneinheiten erfasst, berichtet »El Universal«. Gerade diese letzte Frage diene dazu, die Bevölkerungsdichte in urbanen Räumen als ein Indikator für Armut zu erfassen, so Jorge González Caro, Venezuelas Vertreter beim UNO-Bevölkerungsfonds. So macht die Kritik der Opposition vor allem eines deutlich: Die grundsätzliche Ablehnung jeglicher Regierungspolitik unter Hugo Chávez.

Der Präsident selbst hielt sich in der Debatte zurück. Ende vergangener Woche hatte Hugo Chávez den vierten Zyklus seiner Chemotherapie abgeschlossen, um »gestärkt«, wie er versicherte, die Regierungsgeschäfte wieder aufzunehmen. Nach Beginn der laufenden Krebsbehandlung hatte der sozialistische Staatschef die Regierungsvollmachten weitgehend an seinen Vize Elías Jaua delegiert. Die Arbeit der Regierung sei daher kaum eingeschränkt gewesen, versicherte er unlängst gegenüber dem staatlichen Fernsehkanal VTV. Vor allem der Wohnungsbau, der Aufbau einer eigenen Agrarwirtschaft, das Bildungs- und das Gesundheitswesen würden mit Vorrang behandelt, sagte Chávez.

* Aus: Neues Deutschland, 15. September 2011


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