Wider die Korruption
Venezuela: Politikern wegen Veruntreuung passives Wahlrecht aberkannt
Von Harald Neuber *
Gut dreieinhalb Monate vor den Regionalwahlen in Venezuela ist 272
Bürgern das passive Wahlrecht aberkannt worden. Nach einem monatelangen
Streit zwischen Regierung und Opposition bestätigte der Oberste
Gerichtshof in Caracas in der vergangenen Woche eine entsprechende
Entscheidung des Staatlichen Rechnungsprüfers Clodosbaldo Russián. Bei
der obligatorischen Überprüfung der Steuererklärungen und Konten von
Funktionären in Verwaltung und Politik hatte er zunächst 386 Fälle von
Korruption festgestellt, gut hundert Vergehen waren jedoch schon
verjährt. Die Regelung der staatlichen Kontrollstelle sieht vor, daß
sich die Überführten bis zu 15 Jahren nicht mehr für politische Ämter
bewerben dürfen. Auch wenn die tatsächliche Strafzeit unterschiedlich
ausfallen kann, braucht sich niemand der Aufgelisteten Hoffnung auf eine
Kandidatur bei den kommenden Regionalwahlen zu machen.
Obwohl von der Aberkennung des passiven Wahlrechts sowohl Angehörige des
Regierungslagers als auch Oppositionspolitiker betroffen sind, laufen
besonders die Gegner der Administration von Präsident Hugo Chávez gegen
die Entscheidung Sturm. Der Grund: Einigen ihrer bekanntesten Vertreter
droht das politische Aus. So wurde der Bürgermeister des wohlhabenden
Hauptstadtviertels Chacao, Leopoldo López, überführt, im Jahr 1998
umgerechnet rund 18500 Euro Spenden an seine damals neu gegründete
Partei Primero Justicia (Gerechtigkeit zuerst) veruntreut zu haben. Das
Geld stammte aus der staatlichen Erdölgesellschaft PdVSA, wo López und
seine Mutter, die den Scheck unterzeichnete, beschäftigt waren.
Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zum Entzug des passiven
Wahlrechts für korrupte Funktionäre führte López in der vergangenen
Woche im wohlhabenden Osten von Caracas Proteste an. Vor wenigen
Zuhörern, aber vielen Kameras privater TV-Sender verkündete er, sich
ungeachtet des höchstinstanzlichen Urteils beim Nationalen Wahlrat für
das Oberbürgermeisteramt von Caracas bewerben zu wollen. Der rechte
Studentenaktivist Jon Goicochea drohte damit, Caracas »in Flammen zu
setzen«, wenn die Wahlsperre für die korrupten Oppositionspolitiker
nicht aufgehoben werde.
Der Leiter der staatlichen Rechnungsprüfung verurteilte die Proteste.
Die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes hätten seine Entscheidung mit
vier gegen eine Stimme sanktioniert. »Es war die dritte Bestätigung«
binnen weniger Monate, so Russián. Glaubwürdig wird die Entscheidung des
Obersten Gerichts auch dadurch, daß das Präzedenzverfahren nicht gegen
einen Regierungsgegner geführt wurde. Die Klägerin Xiomara Lucena gehört
dem Chávez-Lager an.
Trotz mehrfacher Bestätigung des Wahlausschlusses wird der Streit von
Gesinnungsfreunden der venezolanischen Opposition aus anderen
lateinamerikanischen Staaten politisiert. Ende vergangener Woche trafen
in Caracas zwei Abgeordnete des Mercosur-Parlaments ein, um die
korrupten Chávez-Gegner in ihrem Kampf zu unterstützen. Die eher
unbekannte Adriana Peña von der konservativen Nationalpartei aus Uruguay
und Mirtha Palacios von der liberalen Partei PLRA aus Paraguay erklärten
auf einer Pressekonferenz in Caracas ihre »Besorgnis« über die
Wahlausschlüsse der korrupten Politiker. Ob ihre Meinung Gewicht hat,
ist fraglich. Der Präsident des Mercosur-Parlaments und Abgeordnete der
brasilianischen Partei der Arbeiter, Florisvaldo Fier, erkannte den
beiden Kolleginnen die politische Legitimation ab: »Sie reisen nicht im
Auftrag des Parlaments«.
* Aus: junge Welt, 11. August 2008
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