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Chávez will Oktoberrevolution

Venezuelas Präsident gibt ehrgeiziges Wahlziel aus. Opposition glaubt an Erfolgschancen

Von André Scheer *

Venezuelas Präsident Hugo Chávez hofft auf eine »Oktoberrevolution« im kommenden Herbst. Bei einer Pressekonferenz am Mittwoch im Regierungssitz Miraflores gab er seinen Anhängern für die am 7. Oktober 2012 stattfindenden Wahlen, bei der er sich um eine weitere Amtszeit bewirbt, das Ziel aus, zehn Millionen oder 70 Prozent der Stimmen zu gewinnen. Der Abstand zum Kandidaten der Opposition dürfe »nicht weniger als vier Millionen Stimmen« betragen, so der Comandante. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Die Mitte November veröffentlichte jüngste Umfrage des regierungsnahen Meinungsforschungsinstituts GIS-XXI prognostizierte nur 56 Prozent der Stimmen für den Präsidenten, wenn die Wahlen bereits jetzt wären.

Das der Opposition zuneigende Institut Keller y Asociados sagte in einer am Donnerstag von der Tageszeitung El Nacional veröffentlichten Umfrage sogar einen Sieg der Regierungsgegner voraus. Jeder der drei derzeit populärsten Oppositionspolitiker würde demzufolge Chávez besiegen können. Die Popularität des Präsidenten sei auf 50 Prozent gesunken, und eine Mehrheit der Bevölkerung traue ihm eine Lösung der Probleme des Landes nicht mehr zu.

Damit dürfte das Institut den vor Wahlen in Venezuela fast schon traditionellen »Krieg der Umfragen« eingeläutet haben. GIS-XXI hatte für den Präsidenten Zustimmungswerte von 62 Prozent ermittelt, während das private IVAD diese sogar auf 67 Prozent bezifferte. Beide kamen außerdem zu dem Ergebnis, daß die Zahl der Wähler, die ihre Stimme »auf jeden Fall« Chávez geben wollen, steige, während die der »harten« Oppositionsanhänger abnehme. In der Vergangenheit hatte die Opposition wiederholt Umfrageergebnisse kolportiert, die ihr einen Vorsprung vor dem Präsidenten oder zumindest ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorhersagten. Die Wahlergebnisse entsprachen dann meist jedoch eher den optimistischen Prognosen regierungsnaher Einrichtungen.

Wer für die Regierungsgegner als Herausforderer des seit Februar 1999 regierenden Chávez antreten wird, ist indes noch offen. Erst im kommenden Jahr will die Opposition in Vorwahlen ihren gemeinsamen Kandidaten bestimmen. Dafür bringen sich führende Repräsentanten der verschiedenen rechten Parteien mit immer neuen, polarisierenden Vorschlägen in Stellung. So forderte der frühere Bürgermeister des Hauptstadtbezirks Chacao und jetzige Chef der aus Abspaltungen mehrerer Oppositionsparteien hervorgegangenen »Voluntad Popular« (Volkswille), Leopoldo López, am Donnerstag gegenüber dem Fernsehsender Globovisión eine Privatisierungswelle in Venezuela. »Es ist nicht positiv, daß der Staat die produktive Wirtschaft führt«, erklärte der Politiker. Aufgabe des Staates müsse es sein, Investitionen privater Anleger aus dem In- und Ausland zu garantieren, ohne sich selbst an ökonomischen Aktivitäten zu beteiligen.

Seine Konkurrentin María Corina Machado will unterdessen die unter der Regierung Chávez aufgebauten basisdemokratischen Ansätze zerstören. Ebenfalls gegenüber Globovisión kündigte sie an, die als parallele Machtorgane von unten konzipierten Kommunalen Räte abzuschaffen und statt dessen »Nachbarschaftsvereinigungen« zu bilden, die mit den traditionellen Bezirksverwaltungen zusammenarbeiten sollten. »So werden die Probleme der Venezolaner gelöst«, zeigte sich die parteilose Oppositionelle überzeugt. Ihre Chancen, die Regierungsgegner in den Präsidentschaftswahlkampf zu führen, stehen jedoch schlecht. In Umfragen führen neben López die Gouverneure der Bundesstaaten Miranda, Henrique Capriles, und Zulia, Pablo Pérez. Die Entscheidung zwischen ihnen soll am 12. Februar fallen.

* Aus: junge Welt, 12. Dezember 2011


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