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"Zivilisiert, demokratisch und fröhlich"

Referendumsmehrheit erlaubt Venezuelas Präsident die unbeschränkte Wiederwahl

Von Tommy Ramm, Bogotá *

»Wenn Gott und das Volk es nicht verhindern werden, wird dieser Soldat sich 2012 als Kandidat für die Wahlen aufstellen«, verkündete Venezuelas Präsident Hugo Chávez in der Nacht zum Montag Tausenden jubelnden Anhängern vor dem Präsidentenpalast seinen Willen, auch im nächsten Jahrzehnt die Geschicke Venezuelas in die Hand zu nehmen.

Nur wenige Minuten, nachdem der Nationale Wahlrat die Referendumsergebnisse zugunsten des Präsidenten veröffentlicht hatte, trat Chávez gegen neun Uhr abends auf den Balkon seines Amtssitzes, um seiner Freude Luft zu machen. »Das war ein großartiger Sieg! Hier ist das Volk von Simón Bolivar, das die Fahnen der Würde hochhält!«, rief der Staatschef den feiernden Anhängern zu.

Für den venezolanischen Präsidenten ging es um Kopf und Kragen. Noch während des Wahlgangs, zu dem rund 17 Millionen Venezolaner aufgerufen waren, erklärte Chávez, dass an diesem Tag seine politische Zukunft entschieden werde. Und diese wollte er nicht dem Glück überlassen.

Hunderte bestens organisierte »Chavistas« mobilisierten bereits am frühen Sonntagmorgen die Wählerschaft in Caracas mit Lautsprechern, um dem Aufruf des Staatschefs, Stimmen gar unter jedem Stein zu suchen, nachzukommen. »Die Stimmen werden Mann für Mann, Haus für Haus gejagt«, gab Chávez die Parole aus. Der Eifer war von Erfolg geprägt.

Es war der zweite Versuch des Linkspolitikers, sich per Verfassungsreform zumindest eine weitere Amtszeit von sechs Jahren erlauben zu lassen, weil er noch »mindestens zehn Jahre« brauche um sein Projekt zu vollenden«. Bis er das »unvollendete Bild« seines sozialistischen Projekts der Bolivarianischen Revolution vollendet oder verloren habe, wolle er weitermachen, erklärte Chávez unlängst. Erst danach wolle er sich in die Hängematte legen und Kühe auf dem Land züchten.

Der erste Anlauf scheiterte Ende 2007 knapp. Die erklärten Gegner von Chávez und die Zweifler hatten sich eine hauchdünne Mehrheit verschafft. Nun hat es geklappt, wenn auch nicht mit überragender Mehrheit. Gut 54 Prozent der abgegebenen Stimmen bestätigten die Verfassungsreform, knapp 46 Prozent waren dagegen. Diesmal ging es um die Möglichkeit mehrerer Amtszeiten nicht nur für den Präsidenten, sondern für sämtliche Träger politischer Ämter, als auch für die Gegner Chávez' auf Gouverneurs- und anderen Posten.

Das Votum verlief überraschend friedlich und reibungslos. Die Präsidentin des Wahlrates beglückwünschte die Venezolaner zu ihrem »zivilisierten, demokratischen und fröhlichen Verhalten« und nannte die Wahl außergewöhnlich.

Als demokratisch bezeichnete sich in der Nacht zum Montag auch die Opposition, die ihre Niederlage trotz ungleicher Bedingungen einräumte. »Wir erkennen das Resultat an, das von den besseren Bedingungen der Regierung beeinflusst war, und rufen das Land auf, weiter zu kämpfen«, erklärte der oppositionelle Politiker Omar Barboza. Doch nicht alles schien für die Opposition verloren. »Wir haben es geschafft, mehr als fünf Millionen Stimmen zu versammeln«, hob der Politiker Ismael Garcia hervor, was - vom Verfassungsreferendum 2007 abgesehen - als bestes Ergebnis der Opposition bei den vielen Abstimmungen der letzten zehn Jahre unter Chávez gilt.

Dennoch dürfte das Ergebnis für die Opposition eine bittere Niederlage sein, nachdem sie bei den Regionalwahlen vor wenigen Monaten Erfolge verbuchen konnte und seitdem Aufwind verspürte. Ziemlich klar ist nun, dass es der Oppositionskandidat bei den Präsidentschaftswahlen 2012 - wer immer es sei - im Kampf um die Macht mit Hugo Chávez zu tun haben wird.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Februar 2009

Demokratisch

Von Harald Neuber **

Am Sonntag haben sich die Venezolaner für die Initiative der Regierung ausgesprochen, die Verfassung zu ändern. Träger politischer Ämter können damit - anders als bisher - unbegrenzt wiedergewählt werden. Das Ergebnis fiel deutlicher aus, als selbst Anhänger der linksgerichteten Staatsführung erwartet hatten. Der Grund ist einfach: Auch wenn es formell um Amtsträger aller Ebenen ging, haben gut elf Millionen Menschen am Sonntag über Präsident Hugo Chávez abgestimmt. Knapp 55 Prozent votierten für ihn.

Dass der 54-Jährige weiter an der Regierung bleiben will (und Millionen ihn dabei unterstützen), ist Ausdruck des venezolanischen Paradoxons: Chávez' »Bolivarische Revolution« entwickelt sich im Rahmen der parlamentarischen Demokratie. Sie ist aber auch eine »Revolution«, der Versuch also, die bestehende politische und soziale Ordnung umzustürzen.

Chávez übernahm im Februar 1999 ein Land, das schwer unter dem kolonialen Erbe litt. Er übernahm ein Land, dessen soziale und politische Ordnung durch Jahrzehnte neoliberaler Misswirtschaft zerstört war. Diese Ordnung für alle wieder herzustellen, dauert mehr als zwei Amtszeiten.

Mit einer Million Stimmen Vorsprung hat Hugo Chávez diesen Auftrag auf demokratischem Weg erhalten. Einen Freibrief hat er nicht: Bis zur kommenden Präsidentschaftswahl 2012 muss er beweisen, dass er dieses - und vielleicht ein weiteres - Mandat verdient hat. Wie in jeder Demokratie.

** Aus: Neues Deutschland, 17. Februar 2009 (Kommentar)



"Ja" zur Revolution

Von André Scheer ***

»Alle, die heute mit Ja stimmten, haben für den Sozialismus und für die Revolution gestimmt«, rief Venezuelas Präsident Hugo Chávez den Tausenden Menschen zu, die am Sonntag abend zum Präsidentenpalast Miraflores in Caracas geströmt waren, um den Sieg des »Ja« beim Referendum über die Verfassungsänderung zu feiern. »Die Türen zur Zukunft stehen weit offen«, so Chávez, der ankündigte, sich 2012 erneut zur Wahl zu stellen -- solange Gott und das venezolanische Volk nichts anderes geplant hätten. Unmittelbar zuvor hatte die Präsidentin des Nationalen Wahlrates (CNE), Tibisay Lucena, die ersten offiziellen Zahlen bekanntgegeben.

Nach Auszählung von über 94 Prozent der Stimmen lagen die Unterstützer der Verfassungsänderung, durch die eine mehrfache Wiederwahl des Präsidenten und anderer Amtsinhaber ermöglicht wird, mit über einer Mil­lion Stimmen Vorsprung gegenüber dem »Nein« in Führung und hatten 54,36 Prozent der Stimmen erreicht. Die Beteiligung an der Abstimmung lag bei knapp 70 Prozent. Auch in 19 der 24 Bundesstaaten Venezuelas lag das »Ja« vorn. Von besonderer Bedeutung sind hier die Hauptstadt Caracas und der Staat Carabobo, wo die Opposition bei der Regionalwahl im vergangenen November Mehrheiten errungen hatte, in denen sich nun aber die revolutionäre Bewegung durchsetzen konnte.

Sprecher der Opposition erkannten bei einer Pressekonferenz den Erfolg des »Ja« an. Allerdings sprachen sie erneut davon, man müsse in Venezuela »die Demokratie wiederherstellen«. Es sei hoffnungsvoll, daß es den Regierungsgegnern endlich gelungen sei, die Hürde von fünf Millionen Stimmen zu überwinden, was ihnen seit dem Amtsantritt des Präsidenten vor zehn Jahren nicht mehr gelungen war. Chávez verharre bei sechs Millionen Stimmen. Die Präsidentschaftswahl 2006 habe er mit 64 Prozent der Stimmen gewonnen, nun sei er auf 54 Prozent »abgerutscht«, freuten die Vertreter des Rechtsparteien »Primero Justicia«, »Podemos« und »Un Nuevo Tiempo«. Auf den ansonsten während der Kampagne immer wieder herangezogenen Vergleich mit der Abstimmung über die Verfassungsreform vom Dezember 2007 verzichteten sie diesmal jedoch. Im Vergleich zur damaligen knappen Niederlage konnte das Regierungslager Zugewinne von fast 50 Prozent verbuchen: Von knapp 4,4 Millionen Stimmen kletterte das »Ja« nun auf über 6,3 Millionen.

Der erste Gratulant, der Chávez und das venezolanische Volk zum Sieg beglückwünschte, war der langjährige kubanische Präsident Fidel Castro. Nur »zehn Sekunden« nach der offiziellen Bekanntgabe der Ergebnisse habe er die Zeilen seines Freundes aus Havanna erhalten, berichtete Chávez der feiernden Menge. Die Bedeutung dieses Sieges sei noch gar nicht absehbar, las Chávez die Worte Fidels vor und bat dann die jubelnden Menschen um einen Applaus für den Comandante.

Auch in den venezolanischen Vertretungen in Europa wurde abgestimmt. Nur im Generalkonsulat Venezuelas in Madrid mußte das Referendum für mehrere Stunden unterbrochen werden, nachdem Anhänger rechter Gruppierungen gewaltsam versucht hatten, in das Wahllokal einzudringen. Sie protestierten gegen die Ausweisung des spanischen EU-Abgeordneten Luis Herrero von der postfrankistischen Volkspartei (PP) aus Venezuela. Dieser hatte als Wahlbeobachter schon vor Beginn der Abstimmung behauptet, daß das Referendum nicht »westlichen demokratischen Standards« entspräche.

*** Aus: junge Welt, 17. Februar 2009


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