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Chávez gibt sich nicht geschlagen

Kampf zwischen Venezuela und Guatemala um Sicherheitsratssitz noch ohne Sieger

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Weder Venezuela noch USA-Vorzugskandidat Guatemala erhielten bei den ersten 22 Abstimmungen die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit für einen Platz im UN-Sicherheitsrat. Hugo Chávez will noch nicht aufgeben. Gestern (18. Okt.) wurde beraten, heute (19. Okt.) stehen die nächsten Wahlrunden bevor.

Üblicherweise ist die Wahl der nichtständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat eine Formsache. Nicht so in diesem Jahr: Seit Montag wird in New York darüber abgestimmt, wer Lateinamerika 2007 und 2008 im höchsten UN-Gremium vertreten wird – Venezuela oder Guatemala. Bis Dienstagabend war keine Entscheidung gefallen. In 22 Abstimmungsrunden verfehlten beide Staaten die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit der 192 UNO-Mitglieder. Fast immer lag das zentralamerikanische Guatemala vorne, einmal sogar mit 116 zu 70 Stimmen. Zwischenzeitlich zog Venezuela auf 93 zu 93 gleich. Am Dienstagabend stand es 102 zu 77, gestern wurden die Abstimmungen ausgesetzt.

Venezuelas UN-Botschafter Francisco Arias Cárdenas sieht sein Land nicht im Duell mit dem »Bruderland Guatemala«, sondern mit den »Herren des Universums«: »Es ist eine Konfrontation mit den Falken der nordamerikanischen Politik.« Ein Sieg gäbe den Staaten des Südens »eine unabhängige Stimme«, um im Sicherheitsrat gegen »die Macht des Geldes zu kämpfen«. Mit ganz ähnlichen Tönen hatte in den letzten Monaten Venezuelas Präsident Hugo Chávez persönlich in China, Afrika, in der arabischen Welt und selbst in Belarus um Verbündete geworben. Natürlich werde sein Land seine Kandidatur aufrechterhalten, sagte Arias am Montagabend.

Auch USA-Botschafter John Bolton, der sich in den letzten Monaten eifrig für Guatemala stark gemacht hatte, stellt sich auf ein zähes Ringen ein. »Das war erst der Anfang«, sagte der Bush- Hardliner und erinnerte an den umstrittenen Ausgang der USA-Präsidentenwahl vor sechs Jahren: »Im Jahr 2000 war ich 31 Tage lang in Florida.« Ein vergleichbares Duell um einen Platz im UN-Sicherheitsrat gab es zuletzt 1979. Damals brauchte es zweieinhalb Monate und 154 Abstimmungen, bis sich die Kontrahenten Kuba und Kolumbien zugunsten des Kompromisskandidaten Mexiko zurückzogen.

Auch diesmal geht der Riss nicht nur durch die Staatengemeinschaft, sondern mitten durch Lateinamerika und die Karibik. Dort hat sich Hugo Chávez als sichtbarster und lästigster Gegenspieler Washingtons profilieren können. Wirkungsvoller als seine unverblümte Rhetorik sind dabei großzügige Finanzhilfen: Mit venezolanischen Erdöldollars werden auf Jamaika Straßen gebaut, auf Antigua und Dominica Flughäfen modernisiert, in Uruguay ein Krankenhaus. Seit 2005 belaufen sich Kredite und Schenkungen Venezuelas in der Region auf gut 1,1 Milliarden Dollar. Das ist immerhin ein Drittel der Summe, die das USA-Außenministerium 2005 und 2006 als »Entwicklungshilfe« für Lateinamerika deklariert hat.

Während die meisten Staaten Südamerikas und der Karibik in der UNO für Venezuela votieren, kann Guatemala auf die Stimmen Kolumbiens, Mexikos und seiner zentralamerikanischen Nachbarn zählen. Chiles Präsidentin Michelle Bachelet erklärte am Sonntag ihre Neutralität – auch weil Venezuelas Botschafter in Santiago ganz undiplomatisch an die Unterstützung des Pinochet- Putsches 1973 durch die heute mitregierenden Christdemokraten erinnert hatte. Der Vertreter Lateinamerikas im Sicherheitsrat solle den »Konsens und nicht die Spaltung der Region« darstellen, sagte Außenminister Alejandro Foxley. Uruguay, dessen Linksregierung beste Beziehungen zu den USA unterhält, ist ein denkbarer Kompromisskandidat.

Früher oder später wird Hugo Chávez einlenken müssen, auch wenn er dies offenbar noch als Gesichtsverlust begreift. »Das Imperium muss seine unflätige Erpressung beenden«, sagte er vorgestern in einer Fernsehansprache. »Venezuela gibt nicht auf. Sollen sie uns auf dem Schlachtfeld besiegen. Wir werden mit niemandem verhandeln«. An der derzeitigen Sackgasse ist auch Chávez nicht unschuldig: Dass er George W. Bush im September vor der UNOVollversammlung als »Teufel« bezeichnete, dürfte Venezuela Stimmen gekostet haben. Zwar sicherte sich der Mann aus Caracas den Applaus der USA-Gegner, doch anderen ging das zu weit. »Damit hat er sich und seinen Ambitionen klar geschadet«, glaubt etwa der frühere USA-Präsident Bill Clinton.

Chávez könnte sich damit trösten, dass das reale Gewicht der nichtständigen Mitglieder im Vergleich zu den Vetomächten USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien begrenzt ist. Darauf weist auch Phyllis Bennis vom linksliberalen Institute for Policy Studies in Washington hin: »Wir müssen über den großen Einfluss diskutieren, den die USA mit ihrer Vetomacht ausüben«, meinte die Nahost-Expertin.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Oktober 2006


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