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Devisenquelle mit Risiken und Nebenwirkungen

Venezuela will sich mit dem Ausbau des Tourismus ein zweites Standbein neben der Ölwirtschaft schaffen

Von Harald Neuber *

Um Venezuela für ausländische Touristen attraktiver zu machen, sollen auch bislang unberührte Gebiete erschlossen werden. Das ruft Umweltschützer auf den Plan.

Venezuela will den Tourismus massiv ausbauen, um eine Alternative zur dominierenden Erdöl-Industrie zu schaffen. Nach Angaben von Tourismusminister Andrés Izarra soll die Zahl ausländischer Besucher von derzeit knapp 800 000 im Jahr auf bis zu 2,5 Millionen ansteigen. Die Pläne beschäftigen allerdings schon jetzt den Umweltausschuss der Nationalversammlung (Parlament) in Caracas: Umweltschützer laufen gegen die vom Tourismusministerium geplante Erschließung kleiner, artenreicher Inseln Sturm.

Kurzfristig will Minister Izarra die Grenze von einer Million Touristen knacken. »Dabei geht es auch darum, Devisen zu erwirtschaften, um Alternativen zur Erdölwirtschaft aufzubauen«, sagte er unlängst im Gespräch mit »nd« in Berlin. International trage der Tourismus im Schnitt neun Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei: »In Venezuela liegen wir derzeit bei rund 3,5 Prozent.« Dafür notwendige Zahl von 2,5 Millionen Touristen halte er für das Jahr 2019 für realistisch.

Der Erdölstaat Venezuela ist bislang kein klassisches Ziel des internationalen Fremdenverkehrs. Zwar zählte das zuständige Ministerium alleine in diesem Jahr 4,6 Millionen Binnentouristen. Sie aber bringen keine Devisen in das Land, das durch die Erdöl-Ökonomie ständig mit Währungsproblemen zu kämpfen hat. Um Venezuela für internationale Gäste attraktiver zu machen, setzen Tourismusstrategen daher offenbar auch auf die Erschließung bislang unberührter Kleininseln. Vor allem Touristen aus Brasilien, Kolumbien und Panamá sollen mit neuen Zielen auf den Kleininseln La Orchilla, La Tortuga und La Blanquilla angelockt werden. Minister Izarra will damit eine neue Destination als Alternative zur Karibikinsel Aruba schaffen. Anders im Fall des mit den Niederlanden assoziierten Eilands soll auf den bislang unberührten venezolanischen Kleininseln aber »umweltverträglicher Tourismus« verfolgt werden, so der Ressortchef.

Umweltschützer hält das nicht von Protesten ab. Humberto Márquez, der Korrespondent der unabhängigen Nachrichtenagentur IPS in Caracas, zitiert mehrere Organisationen, die das Vorhaben verhindern wollen. Die Erschließung der Naturinseln sei laut geltender verfassungsrechtlicher Bestimmungen illegal, weil sie zum Mochima-Nationalpark gehören, gibt Márquez das Netzwerk ARA wieder, ein Zusammenschluss von zwei Dutzend Umweltschutzorganisationen. Die Forderungen werden nun im Parlament diskutiert. Manuel Briceño, Abgeordneter der sozialistischen Regierungspartei PSUV und Vorsitzender des Umweltausschusses, hat eine Prüfung angekündigt.

Unabhängig von solchen Debatten will Tourismusminister Izarra das Urlaubsland Venezuela auch in Deutschland attraktiver machen – gerade auch für politische Touristen. »Unser politischer Prozess ist auch ein Vorteil, denn er stößt auf viel Neugier. Viele Menschen wollen erfahren, wie Venezuela eine soziale und politische Alternative in dieser Welt schafft«, sagte er. Zugleich müsse sich die Branche mit einer ständigen Medienkampagne auseinandersetzen, beklagte Izarra. So bestehe eines der Hauptprobleme in den ständigen Berichten über Gewalt in Venezuela. »Wir haben ein Problem mit der Gewalt im Land, dem wir uns durchaus widmen«, sagte er. Jedoch sei die Lage nicht schlimmer als in Kolumbien oder Mexiko, Länder mit schweren internen Konflikten. »Unser Problem ist eine Dämonisierungskampagne, deren eigentlicher Grund unser politischer Prozess ist«, fügte Izarra hinzu.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 17. September 2013


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