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Parlament der Straße

Venezuelas Opposition ruft zum Widerstand gegen Verfassungsreform auf. Abgeordnete des Regierungslagers debattieren mit Bevölkerung

Von Maxim Graubner (amerika21.de) *

Ganz Venezuela soll über die geplante Verfassungsreform diskutieren. Nachdem die Novelle in der vergangenen Woche in der ersten von drei parlamentarischen Lesungen angenommen wurde, gehen die Abgeordneten nun an die Öffentlichkeit. Mit einem »Parlamentarismus der Straße« wollen sie die Änderung von 33 der insgesamt 350 Verfassungsartikel mit der Bevölkerung besprechen. Gewährleistet werden soll das durch einen »Nationalen Plan zur Diskussion der Verfassungsreform«: Abgeordnete gehen in die Gemeinden. Unterstützt werden sie von Zehntausenden Freiwilligen.

Bereits am Freitag vor der ersten Lesung wurde in Caracas mit der Verteilung der Reformvorschläge an die Bevölkerung begonnen. Auf dem zentralen Bolívar-Platz wurden die Dokumente auf Papier und auf Daten-CDs ausgegeben. Nun soll jeder der 5,4 Millionen Haushalte in Venezuela den Text erhalten, wie das Internetportal Venezuelaanalysis.com berichtet.

Die Einbindung der Bevölkerung in die Verfassungsdiskussion hat für die Regierung hohe Priorität. Die Nationalversammlung, in der nach einem Wahlboykott der Opposition nur noch Vertreter des Regierungslagers sitzen, hat daher vier strategische Linien vorgegeben. Zu dem direkten Kontakt zwischen Abgeordneten und Bevölkerung kommt eine breitangelegte Informationskampagne, eine entsprechende internationale Initiative sowie die »Ausbildung und Orientierung« der bolivarischen Bewegung. So soll die Unterstützung für das Reformvorhaben gesteigert werden. Dafür will man 80000 Aktivisten mobilisieren, von denen die Reformdebatte im ganzen Land geführt werden soll. Interessengruppen wie Arbeiter, Bauern, Unternehmer oder Studenten wurden von Parlamentspräsidentin Cilia Flores explizit aufgefordert, ihre Vorstellugen darzulegen.

Bis zur abschließenden dritten Lesung des Parlamentes und vor der für Dezember geplanten Volksabstimmung sollen die Vorschläge auf diese Weise bekanntgemacht und diskutiert werden. Anfang vergangener Woche hatte das Parlament schon verschiedene soziale Organisationen zur ersten öffentlichen Debatte über die Reform in das Theater Teresa Carreño in Caracas eingeladen.

In seiner Sendung »Aló Presidente« hatte Präsident Hugo Chávez bereits vor zwei Wochen eine »intensive Diskussion« über seine Vorschläge angekündigt. Auch versuchte er, Befürchtungen zu entkräften, nach denen der künftige sozialistische Charakter des Landes den politischen Pluralismus beeinträchtigen werde. Seinen Vorschlag zur Wiederwahl des Präsidenten sieht Chávez mißverstanden. Schließlich müsse er sich auch weiterhin zur Wahl stellen, wie auch die Staatschefs in England oder Frankreich. Die Opposition hatte Chávez vorgeworfen, eine lebenslange Herrschaft vorzubereiten.

Chávez reagierte auch auf Vorschläge, die geplanten Änderungen der Bevölkerung einzeln zur Abstimmung zu stellen: »Wir müssen über ein Gesamtpaket abstimmen, sonst verliert die Reform ihren Sinn«. Er deutete an, daß er bei einer Änderung des Abstimmungsverfahrens seinen Reformvorschlag zurückziehen würde. Die Mehrheit im Parlament steht dabei hinter ihm.

* Aus: junge Welt, 31. August 2007


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