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"Es war Sabotage"

Venezuela: Explosion in Ölraffinerie mit 11. September verglichen. Propagandakrieg gegen Regierung

Von Modaira Rubio, Barinas *

Erst vier Tage nach der verheerenden Gasexplosion in der Erdölraffinerie von Amuay ist es den Löschmannschaften am Dienstag gelungen, das Feuer vollständig zu löschen. Das berichtete die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Vertreter der venezolanischen Regierung vor Ort. Ener-gieminister Rafael Ramírez, der auch Präsident des Erdölkonzerns PDVSA ist, kündigte die Gründung einer Sonderkommission ein, die die Ursachen für das Unglück untersuchen soll. Auch die venezolanische Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen.

Medienkrieg

Während sich die venezolanische Regierung auf die Versorgung der Verletzten und die Beseitigung der Schäden konzentriert, ist in dem südamerikanischen Land ein brutaler Medienkrieg entfesselt worden. Ohne die Untersuchungen abzuwarten, machen die von der Opposition kontrollierten Medien die Führung des Staatskonzerns für die Katastrophe verantwortlich. Dabei greifen die Regierungsgegner auf die seit fast einem Jahrzehnt gepflegte Legende zurück, wonach eigentliche Ursache der Probleme die Anfang 2003 erfolgte Entlassung der »Fachleute« aus der PDVSA-Zentrale sei. Im Dezember 2002 hatte das damalige obere Management des Konzerns versucht, durch eine Stillegung der Erdölförderung die venezolanische Regierung ökonomisch zu erdrosseln und so einen Sturz des Präsidenten Hugo Chávez zu erreichen. Es gelang damals mit Hilfe der Arbeiter in den Raffinerien und internationaler Unterstützung anderer Länder Lateinamerikas jedoch, die Produktion wieder in Gang zu setzen. In Folge dieser als »Erdölputsch« bekanntgewordenen Sabotage waren die beteiligten Personen, die sich vor allem in der gemütlich in Caracas sitzenden Verwaltung konzentriert hatten, entlassen worden.

Parallel zu den Spekulationen in den rechten Medien wird die venezolanische Bevölkerung von der Opposition einer psychologischen Kampagne unterzogen. Über unzählige SMS und E-Mails werden Gerüchte verbreitet, wonach die offiziell inzwischen mit 41 angegebene Zahl der bei dem Unglück getöteten Personen weit höher liege und es in der Folge zu Lieferengpässen bei Treibstoff und Lebensmitteln kommen werde. Offensichtlich soll Panik geschürt werden, um die Lage in Venezuela zu destabilisieren. Schon Tage vor der Katastrophe hatte in Miami die Tageszeitung Nuevo Herald, die den konterrevolutionären Kubanern und Venezolanern in Florida nahesteht, Berichte über eine bevorstehende Benzinknappheit wegen Problemen in der Produktion verbreitet. Auch in der bürgerlichen Presse war PDVSA wochenlang besonders häufig attackiert worden. Am 15. August mußte Minister Ramírez zudem sogar einen Bericht des US-Energieministeriums dementieren, wonach Venezuela mehr als eine Million Barrel Erdöl habe importieren müssen, um die interne Nachfrage befriedigen zu können. »Wir decken den internen Markt mit unserer eigenen Produktion ab«, unterstrich Ramírez, »wir importieren lediglich Additive (Zusatzstoffe), weil wir von diesen nicht genügend produzieren. Unsere Raffinerien sind in gutem Zustand.«

James Petras warnt

Nur neun Tage später ereignete sich die Tragödie von Amuay, weniger als 40 Tage vor der Präsidentschaftswahl vom 7. Oktober. Reiner Zufall, oder kommt dieser Zeitpunkt jemandem gelegen? Der US-amerikanische Soziologe James Petras zeigte sich im Gespräch mit junge Welt überzeugt: »Ich denke, daß es sich um Sabotage handelt, und ich glaube, daß die Regierung den Notstand ausrufen sollte, wie es die USA am 11. September 2001 getan haben. Die momentane Reaktion ist sehr schwach, so werden sich solche Sabotagefälle wiederholen.«

Petras fordert Aufklärung darüber, wer das Gasleck, das offenbar zu der Katastrophe führte, verursacht hat. »Woher weiß die Opposition ohne jede Untersuchung, daß schuld daran die schlechte Wartung der Anlage war? So beginnen alle Destabilisierungskampagnen. Denken wir nur an Kuba 1960, Chile 1971, Jamaika 1977 und andere.«

Der Bruder des Präsidenten und Gouverneur des Bundesstaates Barinas, Adán Chávez Frías, betitelte seine am Montag erschienene wöchentliche Zeitungskolumne mit den Worten »Revolutionäre Wachsamkeit« und schrieb: »Wir müssen verantwortungsvoll die Untersuchungen und Analysen der zuständigen Organe abwarten, die offiziell das Sagen haben und die Gründe herausfinden werden, die zu der Tragödie geführt haben. Aber wir müssen angesichts all der Ereignisse, die sich von jetzt an bis zum 7. Oktober und darüber hinaus in unserem Land ereignen können, die revolutionären Wachsamkeit verstärken.«

PDVSA privatisieren?

Adán Chávez erinnerte zudem an die Äußerungen des früheren Gouverneurs des Bundesstaates Anzoátegui, David De Lima, ein Gegner des Präsidenten. Er hatte in der vergangenen Woche öffentlich erklärt, den Oppositionskandidaten Henrique Capriles Radonski wegen dessen »faschistischem Programm« nicht zu unterstützen. De Lima warf dem Favoriten der Regierungsgegner vor, zur extremen Rechten zu gehören. Zudem präsentierte er ein Dokument aus dem Umfeld des Kandidaten, das er als inoffizielles Wirtschaftsprogramm der Opposition bezeichnete und dessen Inhalte in klarem Widerspruch zu den im Wahlkampf gemachten Versprechungen Capriles’ steht. So sei daran als Hauptziel die »Verringerung der staatlichen Beteiligung am Erdölgeschäft« festgeschrieben. »Das würde zur Abschaffung der sozialen Missionen führen, weil es dann heißen würde, daß der Staat sich so hohe Sozialausgaben nicht leisten könne«, warnte De Lima. Das Oppositionsbündnis MUD bestritt zwar nicht die Existenz des Papiers, sprach ihm jedoch jeden offiziellen Charakter ab.

»Welch Zufall. Angesichts des tragischen Unfalls von Amuay erklären nun die ›Erdölexperten‹ dieser MUD, daß das Unglück nicht passiert wäre, wenn 2002 der faschistische Putsch gesiegt und die alte Technokratie die Kontrolle über PDVSA behalten hätte«, kommentierte der Gouverneur von Barinas.

Die Katastrophe von Amuay ist ein Schlag in das wirtschaftliche und politische Herz des revolutionären Prozesses. Einmal mehr ist das venezolanische Volk wie 2002 aufgerufen, sich auf der Höhe des historischen Augenblicks zu erweisen und für den Frieden zu arbeiten.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. August 2012


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