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Putschgefahr in Caracas

Venezuela: Opposition ruft Militär zum »Eingreifen« auf

Von Modaira Rubio, Barinas *

Venezuela stehen am heutigen Donnerstag heiße Stunden bevor. In der Nacht zum Mittwoch hatte die Nationalversammlung, das Parlament des südamerikanischen Landes, in einer teilweise tumultartig verlaufenden Sitzung mehrheitlich beschlossen, die ursprünglich für heute vorgesehene Vereidigung von Staatschef Hugo Chávez abzusagen. Dieser hatte über seinen Stellvertreter Nicolás Maduro in einem Brief an Parlamentspräsident Diosdado Cabello darum gebeten, entsprechend der Verfassung den Amtseid zu einem späteren Zeitpunkt vor dem Obersten Gerichtshof ablegen zu dürfen. »Aufgrund der Empfehlungen des Ärzteteams, das über die Wiederherstellung seiner Gesundheit wacht, muß der postoperative Genesungsprozeß über den 10. Januar hinaus ausgedehnt werden«, heißt es in dem von Maduro unterschriebenen Brief.

Für die venezolanische Opposition ist dies der Anlaß, von einer »Regierungskrise« und einer Verletzung der Verfassung zu sprechen. Henrique Capriles Radonski, der am 7. Oktober des vergangenen Jahres bei den Präsidentschaftswahlen Chávez klar unterlegen war, forderte kaum verklausuliert einen Militärputsch. Bei einer Pressekonferenz erklärte er am Dienstag abend (Ortszeit), die Nationalen Streitkräfte seien verpflichtet, »die Verfassung zu verteidigen und zu handeln, damit die Gesetze respektiert werden«. Das Militär habe »eine Aufgabe zu erfüllen«, wenn »die Regierung versucht, die Verfassung zu mißachten und aus dem rechtlichen Rahmen auszuscheren«. Aufrufe zu einem »Bürgerstreik«, die von Teilen der Opposition in den vergangenen Tagen verbreitet wurden, griff Capriles hingegen nicht auf. Der »Tisch der demokratischen Einheit«, das Bündnis der Regierungsgegner, hatte sich bereits am Dienstag ausdrücklich von einem solchen Ausstand distanziert.

Trotzdem befürchten die Anhänger des Präsidenten gewaltsame Proteste. »Ein Teil der Ultrarechten hat dazu aufgerufen, den revolutionären Prozeß zu destabilisieren, in dem er einen Bürgerstreik organisieren will. Die Anweisungen dazu stammen zweifellos vom US-Imperialismus«, warnte der Abgeordnete des Lateinamerikanischen Parlaments und internationale Sekretär der KP Venezuelas (PCV), Carolus Wimmer. Er verwies auf Äußerungen des Lateinamerika-Sprechers des US-Außenministeriums, William Ostick. Dieser hatte gegenüber der spanischen Nachrichtenagentur EFE einen »demokratischen, legalen, verfassungsmäßigen und transparenten Übergang« gefordert. »Wir wissen aber, daß sie tatsächlich einen Übergang in die Vergangenheit wollen: ohne Chávez, ohne das im bolivarischen Prozeß aktiv gewordene, bewußte Volk, ein vom Imperialismus kontrolliertes Venezuela, ein gespaltenes Lateinamerika«, so Wimmer. »Die revolutionären und antiimperialistischen Kräfte müssen darauf eine organisierte und umfassende Antwort geben, um den am 7. Oktober ausgedrückten Volkswillen zu verteidigen.« Bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Herbst war Chávez mit mehr als 8,5 Millionen Stimmen wiedergewählt worden.

Der Generalsekretär der PCV, Oscar Figuera, warf während der Parlamentsdebatte am Dienstag den Abgeordneten der Opposition vor, das Szenarium des Putsches vom April 2002 wiederholen zu wollen. Auch mit Blick auf die jüngsten Staatsstreiche in Honduras und Paraguay, wo rechte Parlamentsmehrheiten den Sturz der linken Präsidenten Manuel Zelaya und Fernando Lugo abgesegnet hatten, warnte Figuera die Regierungsgegner, in Venezuela ähnliches zu probieren: »Hier werden Sie auf eine revolutionäre Mehrheit im Parlament treffen, die jeden Putschversuch vereiteln wird.«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 10. Januar 2013


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