Private Medien gezügelt
Venezuela: Neues Gesetz definiert soziale Verantwortung der Presse
Von Harald Neuber*
Es war der erste große Auftritt der Opposition nach ihren Niederlagen beim Amtsenthebungsreferendum gegen Präsident Hugo Chávez im August und den Regionalwahlen Ende Oktober. Als das venezolanische Parlament in der vergangenen Woche ein neues »Gesetz über die soziale Verantwortung von Radio und Fernsehen« mit einer knappen Regierungsmehrheit von 87 zu 78 Stimmen verabschiedete, nahmen einige Mitglieder der oppositionellen Fraktionen an der Abstimmung mit schwarzen Maulkörben teil. Mit dem Gesetz, so ihr Vorwurf, greife »das Regime« massiv in die Pressefreiheit ein. Unterstützung erhalten die Gegner der Chávez-Regierung einmal mehr von der US-Organisation »Human Rights Watch« (HRW) und der »Interamerikanischen Pressevereinigung« (SIP).
Regierungsvertreter weisen die Vorwürfe entschieden zurück. Die Medien hätten mit einer unfairen Berichterstattung in den vergangenen Jahren maßgeblich zur Notwendigkeit des Gesetzes beigetragen, heißt es. Das Paradebeispiel für die Parteinahme der einflußreichen Medienunternehmen in Venezuela war die Berichterstattung der vier großen privaten Fernsehsender während des Putsches im April 2002. Während Hunderttausende Menschen auf den Straßen gegen die Putschisten demonstrierten, nahmen sich diese Redaktionen die (Presse-)Freiheit, Spielfilme oder Zeichentrickprogramme auszustrahlen.
Inhalte definiert
Das neue Gesetz definiert nun erstmals Inhalte, die ausgestrahlt werden dürfen. Maßgebliche Einschränkungen gibt es bei sexuellen oder gewaltverherrlichenden Beiträgen. Unter anderem schreiben die insgesamt 35 Artikel des Gesetzes ein Werbeverbot für Alkohol und Tabak vor – eine Maßnahme, die seit Jahren auch in Deutschland diskutiert, gegen den Widerstand der Industrie jedoch nie durchgesetzt werden konnte. Zum Jugendschutz wird das tägliche Programm in zwei Blöcke eingeteilt: Von sieben Uhr morgens bis 19 Uhr am Abend gelten dabei besondere Regelungen bezüglich jugendgefährdender Inhalte. In dieser Zeit sind auch Privatsender angehalten, mindestens drei Stunden Bildungs-, Informations- oder Kulturprogramme auszustrahlen.
Angriffe aus Miami
Viele dieser Regelungen entsprechen europäischen Maßstäben zur Medienkontrolle an oder entwickeln sie – wie das Werbeverbot für Suchtstoffe – weiter. Für die Gegner des Gesetzes spielt das indes keine Rolle. Der Chefkolumnist der US-amerikanischen Tageszeitung Miami Herald bezeichnete die Verabschiedung des Gesetzes als »schlechten Moment für den Journalismus«, weil es der Regierung künftig die Möglichkeit zu Eingriffen in die Inhalte gebe. Der Präsident des Medienunternehmerverbandes SIP, Alejandro Miró Quesada, ging in seinem Urteil deutlich weiter. Das Mediengesetz sei »eine Gefahr für die Pressefreiheit, weil es die Zensur des Staates etabliert«. Quesada, der hauptberuflich die wirtschaftsliberale peruanische Tageszeitung El Comercio herausgibt, ruft auch nach der Verabschiedung des Gesetzes zum internationalen Protest auf. »Es geht um das Recht der Bürger, sich frei zu informieren und nicht das zu hören und zu sehen zu bekommen, was die Regierung sie wissen lassen will, wie es in Kuba der Fall ist«, so Miró Quesada. Daß es bei der »Kritik« am Mediengesetz um einen Angriffe gegen die Chávez-Regierung geht, belegt auch die Geschichte des SIP: Miró Quesadas Vorgänger Danilo Arbilla zeichnete als Pressechef der Militärdiktatur in Uruguay für die systematische Verfolgung von Journalisten und zum Verbot von 173 Publikationen verantwortlich.
Vor diesem Hintergrund ist verständlich, weshalb Präsident Chávez die Verabschiedung des Gesetzes als »Beginn der Demokratisierung der Medien« bezeichnete. Die Kritik des SIP wies er zurück. Dessen Protest, so Chávez, bliebe schließlich gerade dann aus, »wenn die privaten Medien die Wahrheit kidnappen und nur darüber informieren, was die Medienunternehmer und die Eliten verbreiten wollen«.
Regelungen nicht neu
Tatsächlich übergehen die Gegner des Gesetzes geflissentlich, daß ähnliche Regelungen, wie sie das neue Mediengesetz nun in Venezuela etabliert, weltweit Standard sind. So sprachen sich Medienunternehmer in Spanien zeitgleich zur venezolanischen Initiative einer Initiative dafür aus, die jugendgefährdende Inhalte aus dem Tagesprogramm der dortigen Fernsehsender zu verbannen. In Frankreich wird gerade das Verbot eines Satellitenprogramms wegen rassistischer Inhalte diskutiert. Und auch in Mexiko läuft die Debatte über eine stärkere Kontrolle der privaten Medien auf Hochtouren. Fast zweihundert Nichtregierungsorganisationen fordern vom Parlament in Mexiko-Stadt die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes. Ihr Argument: Mit der uneingeschränkten Macht der Medienkonzerne werde die Demokratie erst in Gefahr gebracht. Eine staatliche Kontrolle sei daher unabdingbar.
* Aus: junge Welt, 14. Dezember 2004
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