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Das sinkende Schiff verlassen

In Venezuela läuft die Basis der Opposition zum Regierungslager über

Von Modaira Rubio, Caracas *

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Venezuela am 7. Oktober zeigen sich Risse im Oppositionsbündnis MUD. Der Wahlkampf von dessen Kandidaten Henrique Capriles Radonski wird von sektiererischen Kräften bestimmt, die sogar die Leitung der sozialdemokratischen »Demokratischen Aktion« (AD) aus der Führung der Kampagne ausgeschlossen haben. Auch andere Teile des Bündnisses beklagen den Zufluß von ausländischen Devisen, die ausschließlich der von Capriles gegründeten Partei »Zuerst Gerechtigkeit« (PJ) zugute kommen. Die zentristische Opposition spielt in den Vorstellungen des Kandidaten keine Rolle, er sucht das Bündnis mit Ultrarechten wie der spanischen »Volkspartei« (PP), den Kräften um den früheren kolumbianischen Präsidenten Àlvaro Uribe oder mit den Neopinochetisten des chilenischen Staatschefs Sebastián Piñera.

Dieses Vorgehen hat zur erneuten Spaltung von zwei Parteien geführt, die ursprünglich mit Chávez verbündet, dann aber zur Opposition übergegangen waren. Teile der Basis von »Heimatland für alle« (PPT) und »Für die soziale Demokratie« (Podemos) haben sich gegen den Willen ihrer jeweiligen Führungen inzwischen für eine Unterstützung des Amtsinhabers ausgesprochen. Vor dem Obersten Gerichtshof wird nun um die Namen und Symbole der beiden Parteien gestritten.

PPT und Podemos waren ursprünglich als Pro-Chávez-Parteien entstanden und konnten in den ersten Jahren der bolivarischen Regierung mit Unterstützung des Präsidenten wichtige Staats- und Regierungsämter besetzen. Später brachen die führenden Köpfe dieser beiden Organisationen jedoch mit der venezolanischen Linken – offenbar ohne darüber ausreichend mit ihrer Basis zu diskutieren, wie jetzt deutlich wird.

Zu der wachsenden Gruppe von Podemos-Mitgliedern, die nun öffentlich ihre Unterstützung für Chávez erklärt haben, gehört der Exgouverneur des Bundesstaates Aragua und frühere Vizegeneralsekretär der Partei, Didalco Bolívar, der den Anteil der den Präsidenten unterstützenden Parteimitglieder gegenüber Journalisten auf rund 60 Prozent bezifferte. Unklar ist bislang jedoch, ob seine Gruppe »Podemos mit Chávez« bereits am 2. Juni an der Gründung des »Patriotischen Rats politischer Parteien« teilnehmen wird, erklärte die Nationalkoordinatorin des Wahlbündnisses »Großer Patriotischer Pol« (GPP), Blanca Eekhout, gegenüber junge Welt. Ihr Kollege Yul Jabour von der Kommunistischen Partei (PCV) hob hervor, daß diesem Zusammenschluß zur Unterstützung des Präsidenten neben dessen Vereinter Sozialistischer Partei (PSUV) und den Kommunisten bereits die Venezolanische Volksunion (UPV), die Revolutionäre Bewegung Tupamaro (MRT), die linkssozialdemokratische Wahlbewegung des Volkes (MEP), die »Unabhängigen für die nationale Gemeinschaft« (IPC) sowie die linke PPT-Strömung angehören. Hinzu kommen »unzählige« kleine Regionalvereinigungen, die ihren Beitritt zum Rat beantragt haben. Es sei somit bereits klar, daß viele Parteien Chávez als ihren Kandidaten beim Nationalen Wahlrat (CNE) anmelden werden. In Venezuela können bei den Präsidentschaftswahlen die Felder der einzelnen Parteien angekreuzt werden, auch wenn diese für denselben Kandidaten werben. Dadurch sind die Kräfteverhältnisse innerhalb der jeweiligen Lager durchschaubar. Die Opposition plant jedoch, mit einer einzigen Liste unter dem Label »Demokratische Einheit« anzutreten. Alle seriösen Umfragen sagen nach wie vor einen klaren Sieg von Hugo Chávez gegen seinen Herausforderer voraus.

* Aus: junge Welt, Freitag, 1. Juni 2012


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