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Mutterschutz zum 1. Mai

Venezuelas Regierung feiert Tag der Arbeit mit neuen Sozialgesetzen. Frauen werden künftig besonders gefördert

Von Modaira Rubio, Caracas *

Venezuelas Regierung hat den 1. Mai auch in diesem Jahr zum Anlaß für eine Reihe sozialer Maßnahmen genommen, die der arbeitenden Bevölkerung zugute kommen sollen. In der vergangenen Woche unterzeichnete Präsident Hugo Chávez das bereits vom Parlament beschlossene Gesetz über das Venezolanische Sozialversicherungsinstitut, mit dem – zwölf Jahre nach deren Inkrafttreten – wichtige Versprechen der Verfassung von 1999 erfüllt werden sollen. Weiter wurde dem Staatschef der von einer Kommission ausgearbeitete Entwurf für ein neues Arbeitsgesetz überreicht, das vermutlich am 1. Mai per Dekret durch den Präsidenten in Kraft gesetzt werden soll.

Das neue Sozialversicherungsgesetz verspricht eine umfassende Absicherung aller Venezolaner, einschließlich derer, die auf eigene Rechnung arbeiten. Damit können künftig auch Motorradkuriere, Taxifahrer, Fischer oder Straßenhändler, aber auch selbständige Rechtsanwälte, Friseure und Zahnärzte Beiträge in die Sozialversicherung einzahlen und sich damit für ihr Alter absichern. Davon betroffen sind Schätzungen zufolge 3,7 Millionen Menschen. Die Reform umfaßt auch die Tätigkeit von Hausfrauen, versicherte Oswaldo Vera, der die Parlamentskommission zur Vorbereitung des neuen Gesetzes geleitet hatte. Die venezolanische Verfassung erkennt die Tätigkeit der Hausfrauen als »wertschaffende Tätigkeit« an, aus der sich Ansprüche an die Sozialversicherung ergeben. Bislang war jedoch nicht geregelt worden, wie diese eingefordert werden können.

Auch durch das neue Arbeitsgesetz werden Frauen besonders gefördert. So gilt für venezolanische Arbeiterinnen künftig eine Mutterschutzzeit von sechs Wochen vor und 20 Wochen nach der Geburt. Bislang hatte diese Zeit bei 42 Tagen vor und 84 nach der Geburt gelegen. Dem neuen Gesetz zufolge dürfen Mütter künftig in den ersten zwei Jahren nach der Geburt ihres Kindes nicht gekündigt werden, bislang hatte diese Frist zwölf Monate betragen.

In Venezuela wird besonders hervorgehoben, daß das Land in dieser Weise die Sozialleistungen ausbaut, während fast überall auf der Welt infolge der Wirtschaftskrise Sozialabbau betrieben wird. Deshalb sei es nicht überraschend, daß gerade in dieser Zeit eine Medienkampagne gegen die Regierung in Caracas entfesselt wird. So waren in der vergangenen Woche im Internet Gerüchte über einen angeblichen Tod von Präsident Chávez verbreitet worden, die auch von Fernsehsendern im In- und Ausland aufgegriffen wurde. Erst als der Staatschef persönlich im Fernsehen auftrat, verstummte die Kampagne.

Das sei kein Zufall, sondern Teil einer Destabilisierungskampagne, sagte der Politologe Pável Rondón. »Vor zwei Monaten wurde verbreitet, daß das Trinkwasser in Venezuela verseucht sei. Um diese Information zu verbreiten, wurde auf die privaten Medien – Zeitungen, Fernsehen und Radio – zurückgegriffen«, erinnerte der Akademiker. Dahinter stecke eine ständige Kampagne gegen Chávez, die von den USA aus gesteuert werde.

Dazu gehöre auch die Flucht des früheren venezolanischen Verfassungsrichters Eladio Aponte Aponte, der sich in der vergangenen Woche in die USA abgesetzt hatte. Aponte war zuvor von der Nationalversammlung nach Vorwürfen der Verwicklung in den Drogenhandel und Fälle von Korruption abgesetzt worden. Während Venezuelas Staatsanwaltschaft ihn über Interpol zur Fahndung ausgeschrieben hat, tritt er in den Vereinigten Staaten als »Zeuge aus erster Hand« in den Medien auf und erzählt von angeblichen Verbindungen der venezolanischen Regierung mit der Drogenmafia. »Diese Erklärungen von Aponte Aponte sind Teil des konspirativen Plans von Washington, um Venezuela zu einem gescheiterten Staat zu machen und eine ausländische Intervention zu befördern«, kommentierte dies Carolus Wimmer, der Venezuela im Lateinamerikanischen Parlament vertritt.

»Jeder, der vor der venezolanischen Justiz flieht, geht in die USA«, erklärte auch Parlamentsvizepräsident Aristóbulo Istúriz. Das diene dazu, die Institutionen Venezuelas zu disqualifizieren und so Unruhe zu stiften. Bislang scheinen diese Bemühungen jedoch nicht zu fruchten. In allen Umfragen liegt Chávez vor den Präsidentschaftswahlen am 7. Oktober mehr als 20 Prozentpunkte vor dem Oppositionskandidaten Henrique Capriles.

(Übersetzung: André Scheer)

* Aus: junge Welt, Montag, 30. April 2012


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