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Bereit für den Ernstfall

Venezuelas Streitkräfte werden modernisiert und für die asymmetrische Kriegsführung umorganisiert

Von Ingo Höhmann und Peter Wolter *

Am liebsten würde die US-Regierung als erstes das kommunistische Gespenst ausmerzen, das seit 50 Jahren auf Kuba umgeht. Da sie sich im Kampf gegen Kuba bisher aber nur eine blutige Nase geholt hat, könnte zunächst das bolivarische Gespenst dran sein, das vorwiegend in Venezuela, aber auch in Bolivien, Ecuador und Nicaragua herumspukt. Eile ist geboten, denn die Unbotmäßigkeit gegenüber Washington macht auf dem ganzen Subkontinent Schule.

Die USA stecken jedoch in einem Dilemma, das sie sich selbst eingebrockt haben: Der Widerstand im Irak ist fünf Jahre nach dem Überfall auf das Land immer noch so stark, daß sie sich keinen zweiten Kriegsschauplatz leisten können. Ein Angriff auf Kuba oder Venezuela könnte sogar zu einem Flächenbrand werden, da sich die genannten Länder wahrscheinlich gemeinsam wehren würden. Venezuelas Präsident Hugo Chávez macht sich seit einiger Zeit dafür stark, den Ende 2005 ins Leben gerufenen Wirtschaftspakt ALBA zu einem Verteidigungsbündnis zu erweitern. Unabhängig davon: Kuba und Venezuela würden sich auf jeden Fall gegenseitig helfen.

Wenn schon die USA nicht selbst eingreifen können, bietet sich Kolumbien als Hilfssheriff an. Beim Militär des Landes hat das Pentagon schon seit langem den Finger am Abzug: In die Streitkräfte sind etwa 600 US-Offiziere integriert, die von der Bataillonsebene an aufwärts beratende und koordinierende Funktionen ausüben.

Die Streitkräfte sind nicht nur hochgerüstet – sie haben auch 40 Jahre Erfahrung im Krieg gegen die Guerrilla­organisationen FARC und ELN. Erst kürzlich hatte kolumbianisches Militär ein FARC-Lager im ecuadorianischen Urwald angegriffen. Sowohl Ecuador als auch Venezuela fürchteten, dies könne der Auftakt zu einem Angriffskrieg sein – beide Staaten verlegten daraufhin Truppen an die Grenze zu Kolumbien. Zur Zeit scheint sich die Situation entspannt zu haben, nachdem sich die Präsidenten aller drei Staaten getroffen hatten.

Obwohl Kolumbien im Norden des Subkontinents die mit Abstand stärkste Militärmacht ist – für einen militärischen Überfall auf Venzuela sind die Streitkräfte nur bedingt zu gebrauchen. Da ihre Hauptaufgabe die Bekämpfung der Guerrilla ist, besitzt das Heer zwar 55 Hubschrauer, aber kaum schwere Waffen wie Panzer oder Artillerie. Die sieben Heeresdivisionen sind über das ganze Land verteilt – relevant für einen Angriff wären lediglich die an der Grenze zu Venezuela stationierte 1. Division (La-Guajira-Halbinsel) und die 2. Division (etwa 800 Kilometer westlich von Caracas).

Am bedrohlichsten für Venezuela ist die 1. Division, die nur etwa 200 Kilometer von der Bucht von Maracaibo stationiert ist, wo sich die Erdölindustrie konzentriert. Die Division ist so ausgerüstet, daß sie in ein bis zwei Tagen am Ziel sein könnte. Unklar ist, ob die 1. Division genügend Gefechtsfahrzeuge hat. Der Ankauf von 46 mittleren Kampfpanzern (AMX-30) von Spanien konnte 2004 durch Venezuela auf diplomatischem Wege verhindert werden.

Da Venezuela und Ecuador früher ebenfalls Vasallen der USA waren, wurden ihre Streitkräfte nach deren strategischen Vorgaben konzipiert. Und die lauteten: Angriff auf Kolumbien, falls dort die FARC an die Macht kommen sollte. Beide Länder wurden daher üppig mit Panzern und Artillerie ausgestattet. Im Gegensatz zu Kolumbien hat aber weder das venezolanische noch das ecuadorianische Militär Kampferfahrung.

Falls es zum Krieg kommen sollte, wäre in erster Linie Venezuela das Ziel. Dessen Streitkräfte wurden nach der Revolution umorganisiert: Wie auf Kuba wird das System der integralen Volksverteidigung eingeführt, die asymmetrische Kriegführung vorbereitet und eine nationale Militärreserve mit bis zu zwei Millionen Reservisten aufgebaut. Außerdem ist Venezuela dabei, seine Bewaffung zu modernisieren und zwar durch Käufe in Rußland, Belarus, China, Spanien und Brasilien. Darunter sind Kampfflugzeuge des Typs Suchoi-30, Kampfhubschrauber, Fregatten und U-Boote. Rußland lieferte die Lizenz zur Herstellung von Kalaschnikows. Venezuela hat von China auch einen Aufklärungssatelliten gekauft – die Spezialisten dafür werden zur Zeit ausgebildet.

* Aus: junge Welt, 22. März 2008

Kräfteverhältnis - Bewaffnung

Kolumbien

  • Armee: 178000 Mann, 13 leichte Kampfpanzer, 55 Hubschrauber
  • Lufwaffe: 7000 Mann, 67 Kampfflugzeuge, 58 Transportflugzeuge, 92 Hubschrauber
  • Marine: 15000 Mann, 4 Korvetten, 4 U-Boote, 27 Schnellboote, 4 Hubschrauber

FARC

bis zu 20000 Mann, ausgerüstet mit Handfeuerwaffen

Ecuador

  • Armee: 50000 Mann, 111 Kampfpanzer, 155 gepanzerte Fahrzeuge
  • Luftwaffe: 4000 Mann, 63 Kampfflugzeuge, 3 Bomber, 28 Hubschrauber
  • Marine: 3550 Mann, 2 Fregatten, 4 Korvetten, 2 U-Boote, 5 Schnellboote

Venezuela

  • Armee: 34000 Mann, 81 Kampfpanzer
  • Luftwaffe: 7000 Mann, 72 Kampfflugzeuge, 25 Transportflugzeuge, 45 Hubschrauber
  • Marine: 18300 Mann, 6 Fregatten, 2 U-Boote, 6 Flugkörperschnellboote

Kuba

  • Armee: 35000 Mann, 1 500 Kampfpanzer, 1 200 Transportflugzeuge
  • Luftwaffe: 8000 Mann, 126 Kampfflugzeuge, 45 Kampfhubschrauber
  • Marine: 3000 Mann, 2 Fregatten, 2 U-Boote, 6 Minenleger, 5 Schnellboote



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