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Hundert neue Sender

Venezuela: "Reporter ohne Grenzen" kritisiert angebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit. Statt dessen entstehen immer neue Stimmen

Von André Scheer *

Die Organisation »Reporter ohne Grenzen«, die unter anderem aus den USA finanziert wird, macht sich Sorgen um die Meinungsfreiheit in Venezuela. »Im Zuge einer Reform der Mediengesetzgebung muß auch die Vergabe der Rundfunklizenzen überprüft werden«, forderte sie wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl am 14. April. »In der Ära Chávez haben Dutzende lokale Radio- und Fernsehsender ›aus technischen und administrativen Gründen‹ ihre Lizenzen verloren; gleichzeitig trieben die Behörden den Aufbau eines staatlich kontrollierten Rundfunksystems voran«, heißt es in der Pressemitteilung weiter.

Wenn hierzulande von der venezolanischen Medienlandschaft zu hören und zu lesen ist, geht es meistens um die »Schließung« von Sendern. So löste die Nichtverlängerung der Lizenz des Kommerzsenders RCTV im Mai 2007 eine internationale Medienkampagne gegen die venezolanische Regierung aus. Übersehen wird dabei zumeist, daß Radio, Fernsehen und Presse Venezuelas in den vergangenen Jahren gewaltigen Zuwachs hatten: Hunderte alternative Rundfunksender haben den Betrieb aufgenommen, neue Fernsehkanäle machen den altbekannten Kommerzsendern Konkurrenz, und auch neue Zeitungen wie die staatliche Correo del Orinoco haben den Wettbewerb mit den ansonsten fast durchgehend von der Opposition kontrollierten Blättern aufgenommen.

Als nächsten Schritt startete Venezuela im Februar offiziell sein Digitalfernsehen über Antenne. Im Gegensatz zu dem in Deutschland benutzten DVB-T wird in Venezuela im japanisch-brasilianischen Standard ISDB-T gesendet, den die meisten Länder Südamerikas nutzen. Zunächst werden darüber vor allem die landesweiten Senderketten verbreitet: die staatlichen VTV, ViVe und TVes sowie die privaten Venevisión, Televen und Meridiano TV. Hinzu kommen der internationale Sender TeleSur sowie drei staatliche Spartenkanäle, die nicht analog verbreitet werden: das Bildungsfernsehen Colombeia, der Kinderkanal 123TV und das Wissenschaftsprogramm ConCiencia TV, das am 12. April seinen Probebetrieb aufgenommen hat.

Für »Reporter ohne Grenzen« ist das ein Skandal: »Wiederum ging unter anderem Globovisión leer aus.« Die Organisation hätte hinzufügen könnnen: Wie alle anderen nur lokal über Antenne verbreiteten Programme, so das Parlamentsfernsehen ANTV oder der staatliche Jugendkanal aus Caracas, Ávila TV.

Die venezolanische Regierung hat sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt, wie Nicolás Maduro am 12. April bei der offiziellen Eröffnung von ConCiencia TV erklärte. Innerhalb von drei Jahren sollen 100 neue Programme ihren Betrieb aufnehmen und digital verbreitet werden, sagte der Staatschef auf der Plaza de los Museos im Zentrum der Hauptstadt Caracas. So könne es nicht nur mehrere Jugendprogramme geben, sondern auch einen eigenen Sender für die Arbeiterklasse, kündigte der frühere Gewerkschafter an. Auch das von Basisgruppen betriebene Alba-TV, dem bisher eine eigene Frequenz fehlt, soll so gestärkt werden.

Das sei die Antwort der venezolanischen Regierung auf die Strategie der Rechten, erklärte Maduro. Bei der Inbetriebnahme von ConCiencia TV erinnerte er daran, daß exakt elf Jahre zuvor, am 12. April 2002, die Putschisten nach dem Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Hugo Chávez den damals einzigen staatlichen Fernsehkanal, Venezolana de Televisión, abgeschaltet hatten. Die Privatsender verbreiteten nur noch Zeichentrickfilme, um den Protest des Volkes gegen den Staatsstreich zu verschweigen. Nun jedoch würden weitere Stimmen des Volkes auf Sendung gebracht.

Bereits jetzt verfügen nach Angaben der staatlichen Rundfunk- und Fernsehbehörde CONATEL 34 von Basisgruppen betriebene Community-Fernsehsender über eigene Lizenzen. Doch wie aktuell die Erinnerung Maduros an den Putsch 2002 war, zeigten die Ereignisse am 15. April, dem Tag nach der Präsidentschaftswahl. Mehrere der Alternativkanäle, so »Jaureguina« und »Montaña TV« im Bundesstaat Táchira sowie »Selva TV« in Amazonas, wurden von maskierten Regierungsgegnern attackiert, die versuchten, sie zu besetzen und zum Schweigen zu bringen. Auch mehrere Radiosender, von denen in Venezuela Hunderte lizensiert wurden, gerieten in Gefahr, konnten jedoch von den Betreibern und Nutzern verteidigt werden. Ebenso gelang es, Angriffe auf TeleSur und den Staatskanal VTV in Caracas zu verhindern.

»Der Faschismus ist die kapitalistische Konterrevolution, die von rechts Diktaturen des Finanzkapitals durchgesetzt hat – doch hier besiegen wir ihn«, kommentierte Präsident Maduro die Terrorkampagne der Opposition am Dienstag über den Internetdienst Twitter. »Besiegen wir den Faschismus und schreiten wir voran zum Sozialismus!« Er habe Vertrauen in die demokratischen und sozialistischen Werte des Volkes.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 25. April 2013


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