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Mann aus dem Volk

Venezuela: Durch die Erkrankung von Präsident Chávez rückt sein Stellvertreter Nicolás Maduro ins Rampenlicht

Von André Scheer *

Venezuelas Präsident Hugo Chávez sei optimistisch und fühle sich gut, berichtete Rafael Correa am Dienstag nach seiner Rückkehr aus Havanna. »Wir alle kennen Chávez als jemanden, der immer bereit ist, auch die härtesten Kämpfe zu bestehen«, sagte Ecuadors Staatschef. Er war am Montag eigens in die kubanische Hauptstadt gereist, um seinem Amtskollegen »eine solidarische Umarmung Ecuadors« zu überbringen. Chávez muß sich wieder einer Krebsoperation unterziehen, nachdem bei Untersuchungen in der vergangenen Woche wieder bösartige Zellen in seinem Körper entdeckt worden waren.

Am vergangenen Wochenende hatte Chávez die Öffentlichkeit in einer von allen Rundfunk- und Fernsehsendern übertragenen Ansprache darüber informiert. Erstmals räumte er dabei auch die Möglichkeit ein, daß er aufgrund seiner Erkrankung möglicherweise sein Amt nicht mehr ausüben könne. »Zum Glück hängt diese Revolution nicht von einem einzelnen Mann ab, denn sie wird von einem Kollektiv geführt«, unterstrich der Präsident. Sollte er die offiziell im Januar beginnende neue Amtszeit, für die er am 7. Oktober wiedergewählt wurde, nicht antreten oder vollenden können, solle der amtierende Vizepräsident und Außenminister Nicolás Maduro seine Arbeit fortsetzen und bei den dann anstehenden vorgezogenen Neuwahlen der »Kandidat der Revolution« sein, so Chávez.

Nicolás Maduro gilt seit Jahren als enger Vertrauter des Präsidenten. Der am 23. November 1962 in Caracas geborene Politiker schloß sich bereits in jungen Jahren der Sozialistischen Liga (LS) an, einer marxistischen Partei, die 1969 zunächst als legaler Arm einer Guerillagruppe gegründet worden war. In den 80er Jahren konzentrierte sich diese Partei vor allem auf die Arbeit an den Universitäten, wo sie die »Studentenbewegung der Volkseinheit« (MEUP) kontrollierte. Auch Maduro war in dieser Organisation aktiv, ohne jedoch selbst die Hochschule zu besuchen. Statt dessen arbeitete er als Busfahrer bei der Metro von Caracas und führte in den frühen 90er Jahren die dortige Betriebsgewerkschaft.

Hugo Chávez lernte Maduro 1992 persönlich kennen, als dieser nach dem gescheiterten Aufstand vom 4. Februar desselben Jahres im Gefängnis saß. Den Kontakt stellte Maduros Lebensgefährtin, die Rechtsanwältin Cilia Flores, her, die das Verteidigerteam des »Comandante« leitetet. 1994 rückte Maduro dann in die Nationalleitung von Chávez’ Untergrundorganisation »Revolutionäre Bolivarische Bewegung 200« (MBR-200) auf und wirkte in dieser 1997 an der Gründung der »Bewegung Fünfte Republik« (MVR) als legaler Partei mit. Nach dem Wahlsieg Chávez’ Ende 1998 wurde Maduro im folgenden Jahr in die verfassunggebende Versammlung gewählt und wirkte hier an der Ausarbeitung des neuen venezolanischen Grundgesetzes mit. Im Jahr 2000 ließ er sich dann als Abgeordneter der MVR in die Nationalversammlung wählen, deren Präsidentschaft er im Januar 2006 für ein halbes Jahr übernahm. Im Sommer desselben Jahres ernannte Chávez ihn dann zum Außenminister.

In seiner Ansprache am 8. Dezember würdigte Chávez seinen Stellvertreter Maduro als »einen der jungen Führungspersönlichkeiten mit der größten Fähigkeit, mit seiner festen Hand, seinem Blick und dem Herzen eines Manns aus dem Volk, diesen Prozeß fortzusetzen.« Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte am folgenden Tag Umfragen, die im Vorfeld der letzten Präsidentschaftswahl gemacht wurden und einen Sieg für den Oppositionskandidaten Henrique Capriles prognostiziert hatten, falls dessen Gegner Maduro und nicht Chávez gewesen wäre. Die Agentur weist aber darauf hin, daß diese Frage damals rein hypothetisch war. Sollte Maduro nun als der von Chávez proklamierte Kandidat antreten, sähen seine Chancen besser aus, so Reuters.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 12. Dezember 2012


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