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Maduro übernimmt Chavez' Stab

Venezuelas Vizepräsident wird als Interimsstaatschef vereidigt und tritt am 14. April bei den Neuwahlen an

Von Harald Neuber *

Die Woche der Staatstrauer ist in Venezuela auch nach der Trauerfeier am Freitag für den verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez im Gang. Die Neuwahlen wurde für den 14. April angesetzt.

Unmittelbar nach den Trauerfeiern für den verstorbenen venezolanischen Staatschef Hugo Chávez stehen die Eckdaten für die Wahl seines Nachfolgers fest: Die Wahlkommission legte am Samstag den 14. April als Termin für die Präsidentschaftswahl fest, die Wahlkampfphase auf die Zeit vom 2. bis 11. April. Der von Chávez aufgebaute Übergangspräsident Nicolás Maduro geht als Favorit gegen den Oppositionskandidaten Henrique Capriles ins Rennen.

Für beide Seiten waren vor der Kandidatur juristische Hürden zu überwinden. Die Verfassung sieht vor, dass der amtierende Vizepräsident, Minister oder Gouverneure sich nicht für das höchste Staatsamt bewerben dürfen. Capriles muss deswegen seinen Gouverneursposten wieder ablegen, den er bei den letzten Regionalwahlen Mitte Dezember erst gewonnen hat. Der bisherige Vizepräsident Maduro wurde am Freitag vor der Nationalversammlung in Caracas indes zum »amtsführenden Präsidenten« vereidigt.

Während das Regierungslager damit die Verfassungsbestimmungen erfüllt sieht, läuft die Opposition gegen die Entscheidung Sturm. Maduro müsse ebenso seine Ämter niederlegen, hieß es vom rechtsgerichteten Parteienbündnis »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD). Die Nominierung des Übergangspräsidenten Maduro bezeichnete der MUD als »Wahlbetrug«. Zugleich griffen Vertreter der Opposition den Obersten Gerichtshof scharf an, der das Vorgehen des Regierungslagers bestätigt hatte.

Für die Chavisten ist der Verbleib von Nicolás Maduro an der Staatsspitze wichtig, um ihn als unmittelbaren Nachfolger von Hugo Chávez zu inszenieren. Deutlich wurde dies bei der Zeremonie zur Vereidigung. Ob Maduro schwöre »unermüdlich dafür zu kämpfen, dass sich Gedankengut und Werk unseres Kameraden, Genossen, Präsidenten und obersten Führers der Bolivarianischen Revolution jeden Tag weiter konsolidiert«, fragte der Präsident der Nationalversammlung und Parteigenosse Maduros, Diosdado Cabello. »Ich schwöre die Verfassung mit der eisernen Hand eines Volkes zu verteidigen, das sich für die Freiheit entschieden hat«, antwortete Maduro, der mit diesem für Lateinamerika nicht untypischen Politpathos als neuer Anführer der Bolivarianischen Revolution inthronisiert wurde.

Der Kandidat der Opposition, Henrique Capriles, versuchte diesen Personenkult aggressiv anzugehen. Während einer Pressekonferenz wandte er sich an den Interimsstaatschef, den er vorsätzlich duzte: »Nicolás, niemand hat Dich zum Präsidenten gewählt«. In ähnlichem Ton kritisierte Capriles die Obersten Richter wegen deren Bestätigung der Amtsübernahme durch Maduro. »Ihr seid nicht das Volk, ihr entscheidet nicht über den Präsidenten«, so Capriles. Die Amtseinführung Maduros hatte das MUD-Bündnis zuvor boykottiert. Ein halbes Dutzend der insgesamt 68 oppositionellen Abgeordneten nahm an der Zeremonie dennoch teil.

All dies ereignete sich unmittelbar nach einer monumentalen Trauerfeier für Chávez. Über zwei Millionen Menschen waren seit Dienstag nach Caracas geströmt, um dem »Comandante« ihre letzte Ehre zu erweisen. 33 Staats- und Regierungschefs nahmen neben dem Sarg mit dem Leichnam Stellung ein. Insgesamt seien 55 Staatsvertreter zu der Zeremonie gekommen, gab die Regierung bekannt. Der Leichnam von Chávez soll insgesamt sieben Tage in einem teilverglasten Sarg aufgebahrt bleiben. Dann wird die Regierung ihn offenbar in einem Mausoleum ausstellen. »Ebenso wie Ho Chi Minh, Lenin und Mao«, sagte Maduro. Mindestens 15 Regierungen hatten zuletzt Staatstrauer angeordnet. Neben lateinamerikanischen Staaten gehören zu dieser Gruppe auch Länder wie Iran, Nigeria und Belarus.

Präsidenten der Region würdigten den Verstorbenen. »Das Wichtigste ist, dass Chávez unbesiegt abgetreten ist, er war unbesiegbar, er war siegreich, und das wird ihm niemand nehmen können, das ist in der Geschichte verankert«, sagte Kubas Staats- und Regierungschef Raúl Castro. Boliviens Präsident Evo Morales sprach von Chávez als »Erretter der armen Völker dieser Erde«. Was Chávez nach Fidel Castro vollbracht habe, sei unerreichbar. Ecuadors Präsident Rafael Correa versprach, weiter an dem gemeinsamen regionalen politischen Projekt festzuhalten: »Wir werden weiter für Deine Träume und Vorstellungen arbeiten, Hugo«, sagte Correa: »Für ein Lateinamerika frei von Armut und Leid, von ausländischem Joch und für einen Planeten mit wahrer Gerechtigkeit.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 11. März 2013


Historisches Datum

Venezuela wählt am 14. April den Nachfolger von Hugo Chávez. Nicolás Maduro als geschäftsführender Präsident vereidigt. Er kandidiert gegen Exputschist Henrique Capriles

Von André Scheer **


Die nach dem Tod von Hugo Chávez in Venezuela notwendigen Präsidentschaftswahlen finden am 14. April statt. Das kündigte die Präsidentin des Nationalen Wahlrats (CNE), Tibisay Lucena, am Sonnabend in Caracas an. Zuvor hatten sich die leitenden Mitglieder ihrer Behörde zu einer langen Arbeitssitzung zusammengefunden, um die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Durchführung der Wahlen abzustimmen. Es wird eine Vorbereitung im Zeitraffer. So können sich Kandidaten nur noch bis zum heutigen Montag beim CNE einschreiben. Der offizielle Wahlkampf dauert nur zehn Tage, vom 2. bis 11. April. Da die Zeit für eine Aktualisierung des Wählerregisters fehlt, wird das bei der letzten Präsidentschaftswahl am 7. Oktober 2012 gültige verwendet, auch die damals benannten Zeugen in den Wahllokalen werden erneut herangezogen.

Für das Lager von Chávez wird dessen Vizepräsident Nicolás Maduro kandidieren. Am Freitagabend wurde er nach Abschluß der offiziellen Trauerfeierlichkeiten vor der Nationalversammlung als geschäftsführender Präsident vereidigt. Während an der Zeremonie Delegationen aus 29 Ländern teilnahmen, unter ihnen Ecuadors Staatschef Rafael Correa und der im vergangenen Jahr gestürzte Staatschef von Paraguay, Fernando Lugo, boykottierte die Opposition die Vereidigung. Es habe keinen Grund gegeben, diese Vereidigung außerhalb der normalen Sitzungsperiode des Parlaments durchzuführen und stelle einen Bruch der Verfassung dar, erklärte der Sprecher der Oppositionsfraktion, Ángel Medina. An den Wahlen teilnehmen werden die Regierungsgegner jedoch. Als Kandidat für den »Tisch der demokratischen Einheit« hatten sie bereits in der vergangenen Woche Henrique Capriles Radonski nominiert, der schon im vergangenen Oktober angetreten und gegen Chávez unterlegen vor.

Putschistenfreund

Die Wahlen finden an einem für Venezuela historischen Datum statt. Am 11. April 2002 hatten die rechte Opposition und reaktionäre Militärs gegen Hugo Chávez geputscht. Der Staatsstreich scheiterte an einer Massenrebellion der Bevölkerung, die zu Millionen auf die Straße ging, um die Freilassung ihres entführten Präsidenten zu fordern. Im Verlauf des 13. April besetzten die Angehörigen der Ehrengarde den Regierungspalast Miraflores, setzten einige der Putschisten fest und übergaben die Macht wieder an das gewählte Kabinett. In den frühen Morgenstunden des 14. April 2002 kehrte Hugo Chávez aus der Gefangenschaft zurück. In einem Hubschrauber landete er in Caracas und zeigte sich mit geballter Faust seinen feiernden Anhängern.

Der Wahltermin wird dazu führen, daß sich Capriles in den Tagen vor der Abstimmung erneut seiner damaligen Rolle stellen muß. Er war in den Tages des Putsches Bürgermeister des Hauptstadtbezirks Baruta und bereits einer der bekanntesten Regierungsgegner. In dem seinerzeit von ihm regierten Stadtteil liegt auch das Gebäude der kubanischen Botschaft, die damals von aufgepeitschten Antikommunisten belagert und angegriffen wurde. Capriles stellte sich auf deren Seite und forderte unter Bruch der Immunität vom kubanischen Botschafter Germán Sánchez Otero, die Räumlichkeiten der diplomatischen Vertretung nach »dort versteckten Chavistas« durchsuchen zu dürfen, was von den Kubanern entschieden abgelehnt wurde.

Ehrung für Chávez

16 Länder der Erde hatten in der vergangenen Woche Staatstrauer um Hugo Chávez angeordnet, darunter Argentinien, Belarus, Bolivien, Brasilien, Chile, Kuba, China, Ecuador, Haiti, Iran und Nigeria. An der offiziellen Trauerfeier in der Militärakademie von Caracas, in der Hugo Chávez aufgebahrt wurde, nahmen am Freitag hochrangige Delegationen aus 55 Ländern teil, unter ihnen nicht weniger als 33 Regierungschefs. Sie alle erhoben sich, als das von Gustavo Dudamel geleitete Jugendsymphonieorchester Venezuelas die Nationalhymne intonierte. Der weltberühmte Jungdirigent hielt auch gemeinsam mit Sportlern und anderen Repräsentanten der neuen Generation Ehrenwache am offenen Sarg.

Die eigentliche Ehrung erwies dem Präsidenten jedoch das Volk. Tagelang warteten Hunderttausende Menschen trotz Temperaturen um die 30 Grad in kilometerlangen Warteschlangen auf die Gelegenheit, an dem offenen Sarg vorbeizuziehen und einen letzten Blick auf ihren Comandante zu werfen. Schon am Donnerstag wurde die Zahl der Wartenden mit über zwei Millionen angegeben. Erlebnisbericht

Unter ihnen war Marianny Rosado aus Caracas, die zwölf Stunden in der Schlange stand, ihre Mutter sogar 25 Stunden – beide konnten nicht bis zum Präsidenten vordringen. Auf Facebook schilderte sie ihre Erlebnisse: »Hunderttausende Menschen, die sich am Eingang des Hofs der Militärakademie drängen. Immer wieder werden die Absperrungen umgerissen, nahezu jede Minute bricht einer oder eine zusammen. Viele schlafen auf dem Boden, nachdem sie aus allen Ecken unseres Landes angereist sind, um den Comandante zu sehen. Sie trotzen Durst und Hunger. Andere haben ihre kleinen Kinder auf dem Arm mitgebracht. Wir sehen die internationalen Delegationen. Die Palästinenser ziehen mit ihrer Fahne in der Hand und dem Ruf ›Chávez lebt, der Kampf geht weiter‹ in die Militärakademie. Die Haitianer, die in Venezuela Medizin studieren. Musiker, die die in den Schlangen Wartenden mit ihren Liedern aufrütteln. Von Lastwagen aus werden die Wartenden mit Trinkwasser versorgt. Teilweise kann das Wasser auch nur über die Menge der Wartenden versprengt werden, damit diese durchhalten können.« Doch von Aufgeben habe keine Rede sein können: »Wir alle haben das Recht, den Comandante, diesen Giganten Amerikas, in dieser Stunde zu begleiten. Wir haben uns dieses Recht mit unserem Schmerz, unserer Arbeit, unserer Treue zur Bolivarischen Revolution erworben.«

In den politischen Diskussionen, die in den Schlangen der Wartenden geführt werden, sei die Idee der Einbalsamierung des Comandante entstanden. Dadurch solle allen dieses Recht garantiert werden.

** Aus: junge Welt, Montag, 11. März 2013


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