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Ein neues Modell für die Welt

Die Zusammenarbeit Kubas und Venezuelas demonstriert, wie internationale Beziehungen aussehen können, wenn sie nicht von den USA dominiert werden

Von Modaira Rubio, Caracas *

Die Solidarität des sozialistischen Kuba mit anderen Völkern ist legendär. Seine Ärzte, Lehrer und Techniker sind in alle Welt ausgeschwärmt, um andere Länder in schwierigen Situationen zu unterstützen. Derzeit arbeiten allein im Gesundheitsbereich 38000 kubanische Spezialisten in 66 Ländern, vor allem in Lateinamerika, Afrika und Asien. Die internationale medizinische Kooperation Kubas begann 1963, nur vier Jahre nach dem Sieg der Revolution, als kubanische Ärzte das gerade unabhängig gewordene Algerien unterstützten.

In Venezuela begann mit dem Amtsantritt des Präsidenten Hugo Chávez 1999 und den als Bolivarische Revolution bekanntgewordenen politischen Veränderungen auch eine neue Ära freundschaftlicher Beziehungen mit der Karibiknation. Zunächst handelte es sich dabei um kaum mehr als eine persönliche Freundschaft zwischen den beiden Revolutionsführern Fidel Castro und Hugo Chávez, die am 30. Oktober 2000 das erste umfassende venezolanisch-kubanische Kooperationsabkommen unterzeichneten. Bereits Ende 1999 jedoch waren kubanische Ärzte und Rettungsmannschaften Venezuela zu Hilfe geeilt, als anhaltende Regenfälle an der Küste des südamerikanischen Landes zu Erdrutschen führten, die an den Hängen der Berge errichtete Siedlungen mit sich rissen. Bei dieser als »Tragödie von Vargas« bekanntgewordenen Katastrophe kamen Schätzungen zufolge mindestens 10000 Menschen ums Leben.

Eine höhere Stufe erreichte die Zusammenarbeit zwischen Kuba und Venezuela jedoch ab 2003, nachdem die Versuche der Opposition, Chávez gewaltsam zu stürzen, gescheitert waren. Als erste große gemeinsame Initiative beider Länder schickte Kuba Ärzte nach Venezuela, die im Rahmen der Mission »Barrio Adentro« erstmals Versorgungseinrichtungen in den Armenvierteln der großen Städte und den entlegenen Gebieten des Landes schufen. Bis dahin hatte es für diese Menschen, die die Mehrheit der venezolanischen Bevölkerung ausmachten, kaum ärztliche Versorgung gegeben, da sich die meisten Ärzte auf die lukrativere Bevölkerung in den Stadtzentren konzentrierten.

In den seither vergangenen neun Jahren haben mehr als 31000 kubanische Ärztinnen und Ärzte sowie andere Gesundheitsspezialisten in Venezuela gearbeitet und dabei rund 500 Millionen kostenfreie medizinische Beratungen angeboten, die den offiziellen Zahlen zufolge praktisch die gesamte venezolanische Bevölkerung erreicht haben. Daneben sprechen die amtlichen Statistiken eine deutliche Sprache, welche Wirkung die aktive Unterstützung der Kubaner für die venezolanische Bevölkerung hatte: Die Kindersterblichkeit, die 1998 noch bei 21,4 auf tausend Lebendgeburten gelegen hatte, ging auf 13 zurück, die allgemeine Lebenserwartung stieg von 71 auf 73 Jahre.

Nach den Erfolgen von »Barrio Adentro« wurde die Zusammenarbeit zwischen den beiden befreundeten Ländern massiv ausgebaut. Inzwischen beteiligen sich nicht weniger als 26 Institutionen des kubanischen Staates an den Missionen, den sozialen Programmen der venezolanischen Regierung. Dazu gehören das Alphabetisierungsprogramm Mission Robinson, die Lebensmittelmärkte Mercal oder das Wohnungsbauprogramm Misión Vivienda. Durch diese konnten die sozialen Folgen der Politik der früheren Regierungen Venezuelas zu einem Großteil bewältigt werden. Hatte die allgemeine Armut 1998 noch 43,9 Prozent aller Haushalte Venezuelas betroffen und die extreme Armut bei 17,1 Prozent gelegen, lagen diese Zahlen im zweiten Halbjahr 2011 bei 26,7 Prozent armen Haushalten und nur noch sieben Prozent, die in extremer Armut leben müssen. Zu einem entscheidenden Teil ist dies das Ergebnis der kubanischen Solidarität.

Längst sind die Sozialprogramme keine bilaterale Angelegenheit beider Länder mehr. In Folge der politischen Veränderungen in Lateinamerika entwickelte sich die 2004 von Hugo Chávez und Fidel Castro gegründete Bolivarische Alternative (ALBA, heute Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas) zu einem Staatenblock, in dem neue, solidarische Beziehungen in der Region gepflegt werden. Die ALBA wurde zu einem Modell, das seine Stärke bei der Bekämpfung der Folgen der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise unter Beweis gestellt hat. Acht Staaten gehören dem Bündnis inzwischen an, neben Kuba und Venezuela auch Bolivien, Nicaragua, Dominica, Ecuador, San Vicente und die Grenadienen sowie Antigua und Barbuda. Die sozialen Folgen sind spürbar: Der Staatenblock ist die erste regionale Achse Süd­amerikas und der Karibik, der die UNESCO bescheinigt hat, den Analphabetismus überwunden zu haben. Doch von den engen Verbindungen der Mitgliedsstaaten haben auch Tausende Menschen aus Ländern profitiert, die sich der ALBA noch nicht angeschlossen haben. Allein die Misión Milagro, mit der heilbare Augenkrankheiten in ganz Lateinamerika behandelt werden, hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2014, zehn Jahre nach ihrem Start, insgesamt sechs Millionen Menschen kostenfrei operiert zu haben.

In die herrschende Weltordnung paßt ein solches Modell, in dem die angestrebten Gewinne Gesundheit und Wohlergehen der Menschen sind, nicht hinein. Doch auch auf wirtschaftlicher und finanzpolitischer Ebene hat sich die ALBA zu einer Alternative entwickelt. Die mit einem Startkapital von einer Milliarde US-Dollar ausgestattete und hauptsächlich von Venezuela und Kuba finanzierte ALBA-Bank hat bereits erste Schritte raus aus der Abhängigkeit von dem durch Washington kontrollierten Handelsverkehr ermöglicht. 2010 wurde erstmals bei der Abwicklung einer venezolanischen Reislieferung an Kuba auf die Rechnungswährung SUCRE zurückgegriffen, die längerfristig den Dollar bei allen Handelsgeschäften im ALBA-Raum ablösen soll.

Neben den unmittelbar materiellen Ergebnissen haben die venezolanisch-kubanische Kooperation und die ALBA auch zu einer neuen Popularität sozialistischer Vorstellungen in Lateinamerika und darüber hinaus geführt und lassen die Gestalt einer neuen Außenpolitik links vom Weißen Haus erkennen. Inzwischen ist die ALBA zu einem Block geworden, dessen Mitglieder auf internationaler Bühne gemeinsame Initiativen ergreifen und zusammen auf Herausforderungen reagieren. Gegen die Hegemonie des Imperialismus setzen die Mitgliedsstaaten das Ziel der Gleichheit zwischen den Nationen in einer multipolaren Weltordnung, den Schutz der Menschenrechte und regionale politische Übereinkünfte. Gegen Krieg und Interventionen stellen sie den Kampf um den Frieden, gegen die Ausplünderung des Planeten die Verteidigung der Umwelt und der Naturressourcen.

Es ist es auch ein Verdienst der ALBA-Staaten, daß neue regionale Bündnisse wie die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) oder die im Dezember 2011 in Caracas gegründete Gemeinschaft der Staaten Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) die alte, von Washington kontrollierte Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in den Hintergrund drängen. Nach dem institutionellen Staatsstreich in Paraguay hoben selbst Madrid und Paris die Rolle der UNASUR bei der Bewältigung der Krise hervor – die OAS war ihnen nicht einmal mehr eine Erwähnung wert. Innerhalb der OAS setzten vor allem die ALBA-Staaten durch, daß die Organisation den 1962 verhängten Ausschluß Kubas aufhob – was Havanna mit demonstrativem Desinteresse an einer Rückkehr beantwortete.

Die Beziehungen zwischen Kuba und Venezuela sind zu einem Beispiel dafür geworden, wie die internationalen Beziehungen auf dem lateinamerikanischen Kontinent und darüber hinaus im Rahmen einer nicht mehr von den USA kontrollierten Ordnung aussehen könnte.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. Juli 2012


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