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Venezuelas Ölwirtschaft ist in der Krise – gesamte Wirtschaft leidet

Von Knut Henkel, Caracas *

Jahrelang schrieb Venezuelas Ölkonzern Petróleos de Venezuela S.A. (PdVSA) glänzende Bilanzen. Nun hat die Krise das Staatsunternehmen eingeholt und mit ihm die gesamte Wirtschaft. Davon sind auch die Sozialprogramme der Regierung betroffen.

Der Bericht der Zentralbank Venezuelas lässt keine Zweifel zu: Um 55,4 Prozent gingen die Einnahmen aus dem Erdölexport zurück. 9,1 Milliarden US-Dollar gingen auf den Konten des venezolanischen Erdölunternehmens im ersten Quartal 2009 ein. Im Vergleich mit den 20,4 Milliarden des Vorjahreszeitraumes ist das eine beispiellose Talfahrt.

Erdöl ist nicht nur das wichtigste Exportprodukt, es dominiert quasi die Wirtschaft des Landes. Das lässt sich am Beispiel der PdVSA belegen. Das größte staatliche Unternehmen des Landes ist seit 2003 ein zentraler Förderer der staatlichen Sozialprogramme, der Misiones. 2007 überwies der Konzern 7,1 Milliarden US-Dollar an diese Sozialprogramme, die die Armut bekämpfen und Bildung in die Armenviertel bringen sollen. 2008 waren es nur noch drei Milliarden, die der Erdölgigant in die Programme der Regierung von Hugo Chávez pumpte. Das Geld floss zudem nicht mehr direkt, sondern wurde dem zuständigen Ministerium angewiesen.

Es gibt weniger zu verteilen, lautet die Nachricht aus der Firmenzentrale. Das deckt sich mit den jüngsten Zahlen der Nationalbank, die zwar noch ein leichtes Wachstum von 0,3 Prozent im ersten Quartal verzeichnet, aber das Land bekommt bereits die einseitige Abhängigkeit vom Öl zu spüren. So wurden Importe zahlreicher Produkte gedrosselt, um die Devisenreserven zu schonen. Die werden auf vierzig Milliarden US-Dollar taxiert, doch Venezuela ist sehr vom Import abhängig. So auch bei Lebensmitteln, die zu großen Teilen aus dem Ausland kommen. Selbst die staatlichen Mercal-Supermärkte, einst gegründet, um die Bevölkerung mit billigen Produkten aus heimischer Produktion zu versorgen, importieren rund siebzig Prozent ihrer Waren. Deren günstige Preise lassen sich angesichts der Inflation von dreißig bis vierzig Prozent im Jahresverlauf nicht mehr halten, so dass das Ernährungsministerium kürzlich die Preise anhob.

Für Gustavo Misle, Lehrer und Sozialarbeiter in Caracas, ein Vorgeschmack auf schlechte Zeiten. »Dem Geld steht zu wenig Ware gegenüber und unsere Wirtschaft ist nicht gerade die produktivste«. Ein Beispiel ist die Bauindustrie, wo trotz immenser Investitionen und Verstaatlichung der wichtigsten Zementwerke nicht die Zahl der anvisierten Wohnungen gebaut werden konnte. Auch in der Landwirtschaft, die unter der Regie der Regierung reanimiert werden sollte, sind die Erfolge mager. Darüber können die Erfolge der Misiones, die laut UN-Angaben die Armutsquote merklich reduzieren, nicht hinwegtäuschen. In Zeiten schlechter internationaler Rahmenbedingungen wiegt das doppelt schwer und in Armenvierteln wie Los Erasos, mitten im Zentrum von Caracas, wird der charismatische Staatschef auch schon mal an seinen Taten gemessen. So will der 24-jährige Jorge Gregorio Santiago nichts anderes als einen Job. »Das sichert mich und meine Familie gegen den Hunger ab, alles andere kommt danach«. Jobs sind jedoch weiterhin knapp in Venezuela.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Mai 2009


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