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Kriegstrommeln zwischen Kolumbien und Venezuela

Militärabkommen zwischen Bogotá und Washington lässt in Caracas die Alarmsirenen heulen

Die Auseinandersetzungen zwischen Venezuela und Kolumbien scheinen sich wieder zuzuspitzen, nachdem Kolumbien den USA die Nutzung mehrerer Militärstüzpunkte im Land vertraglich zugesichert hat. Nicht ohne Grund fühlt sich Nachbar Venezuela bedroht und Chávez mobilisiert die Bevölkerung.
Über die aktuellen Vorgänge und die Hintergründe des Konflikts informieren die folgenden Texte, die zum Teil aus unterschiedlichen Perspektiven geschrieben wurden.
Im einzelnen enthält diese Seite folgende vier Artikel:


Venezuela bereitet sich auf den Krieg vor - Kolumbien sucht Hilfe

Venezuelas Präsident Hugo Chavez hat seine Landsleute und die Armee aufgerufen, sich auf einen Krieg vorzubereiten.

Chavez kritisierte erneut den jüngsten amerikanisch-kolumbianischen Vertrag über militärische Zusammenarbeit und stellte fest: "Das Imperium lebt noch und bedroht uns wie nie zuvor. Der US-Stützpunkt ist nur 20 Minuten von unserer Hauptstadt Caracas entfernt. Die Offiziere sollten keinen einzigen Tag bei der Ausführung unserer Hauptaufgabe verlieren, nämlich bei der Vorbereitung auf den Krieg. Dem Volk muss bei den Kriegsvorbereitungen geholfen werden, weil das eine Verpflichtung von allen ist."

In seiner traditionellen Sonntagsrede, die vom venezolanischen Fernsehen übertragen wurde, behauptete Chavez, Kolumbien "hat sein Land in einen weiteren US-Bundesstaat verwandelt". Er appellierte auch an US-Präsident Barack Obama: "Begehen Sie keinen Fehler, Herr Obama, und erteilen sie keinen Befehl über eine offene Aggression gegen Venezuela von Kolumbien aus. Wir sind zu allem bereit und werden weder eine Kolonie der USA, noch eines anderen Landes.."

Zur Abkühlung zwischen Venezuela und Kolumbien war es im August gekommen, als Kolumbien und die USA den Abschluß eines bilateralen Vertrags über Zusammenarbeit im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich ankündigten, mit dem die USA das Recht auf die Nutzung von sieben Militärstützpunkten auf dem Territorium Kolumbiens zum Antiterrorkampf und zum Kampf gegen den Rauschgiftschmuggel erwarben. Der Vertrag wurde am 30. Oktober signiert.

Die Situation an der venezolanisch-kolumbianischen Grenze spitze sich in den letzten Tagen dermaßen stark zu, dass sich Kolumbien am Freitag mit der Bitte an Spanien wandte, bei der Normalisierung der Lage zu helfen.

Rund 100 Kolumbianer ohne Ausweispapiere wurden dieser Tage im venezolanischen Bundesstaat Barinas festgenommen. Indes entsandte Venezuelas Regierung zusätzlich 15 000 Soldaten zur Festigung der Grenze.

Nach der Fernsehansprache von Chavez appellierte Kolumbien an die Organisation der Amerikanischen Staaten und den UN-Sicherheitsrat. "Angesichts der von der Regierung Venezuelas ausgehenden Kriegsdrohungen will Kolumbien die Organisation der amerikanischen Staaten bzw. den UN-Sicherheitsrat um Vermittlungsdienste bitten", heißt es in einem Kommunique der kolumbianischen Regierung.

Darin wird versichert, dass Kolumbien keine aggressiven Kampfhandlungen gegen Bruderländer unternehmen werde. "Unser einziges Interesse besteht an der Überwindung des Drogenterrorismus, der den Kolumbianern im Laufe von vielen Jahren so viel Leid beschert hat."

Kolumbiens Regierung bekundete ferner ihren Willen zu einem "offenen Dialog" auf der Grundlage des Einvernehmens und der Respektierung des Völkerrechts.

Venezuelas Etat für Verteidigung und Staatsapparat explodiert zu Lasten des Sozialbereichs

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 9. November 2009; http://de.rian.ru


Chávez sieht Venezuela im Fadenkreuz

Armee und Bevölkerung sollen sich auf möglichen US-amerikanischen Angriff vorbereiten. Keine Kriegsdrohung gegen Kolumbien

Von Maxim Graubner, Caracas **

Caracas. Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat am Sonntag (Ortszeit) das kürzlich abgeschlossene Militärabkommen zwischen Bogotá und Washington erneut scharf kritisiert und seine Besorgnis gegenüber einem potentiellen US-Angriff bekräftigt. Während seiner wöchentlichen Fernsehsendung "Aló Presidente" rief er die Streitkräfte dazu auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um eine potentielle Verletzung der venezolanischen Souveränität erfolgreich abwehren zu können.

"Wenn Du Frieden willst, rüste Dich für den Krieg", so die Devise des Sozialisten unter Berufung auf ein altes lateinisches Sprichwort. Denn "sollten uns die USA von Kolumbien aus angreifen, müssen wir vorbereitet sein!" Die Armee solle nun die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Verteidigungsstrategie intensivieren, so der Staatschef: "Ich rufe die Militärführung dazu auf, den Aufbau von Milizen zu verstärken. Studenten, Arbeiter und Frauen müssen in die Lage versetzt werden, das Vaterland zu verteidigen".

Das US-Militär will in Zukunft mehrere Militärbasen in Kolumbien in unmittelbarer Nähe zur venezolanischen Grenze nutzen. Von dort aus könnte die US-Airforce die Hauptstadt Caracas innerhalb von 20 Minuten erreichen, beklagte Chávez. Damit steige die Gefahr eines kurzfristigen Angriffes von Seiten der USA. Aus dem Kooperationsdokument zwischen der rechtsgerichteten Regierung in Kolumbien und den USA geht nicht eindeutig hervor, dass sich die US-Militäroperationen auf kolumbianisches Hoheitsgebiet begrenzen. Das führt in der ganzen Region zu Besorgnis, die lateinamerikanischen Länder lehnen das Abkommen mehrheitlich ab.

Die kolumbianische Regierung bezeichnete die Äußerungen von Chávez in einer ersten Reaktion als "Kriegsdrohung". Das venezolanische Außenministerium wies dies am Montag in einer Erklärung entschieden zurück. Nicht Venezuela, sondern Kolumbien mit seinem Partner USA verfolge eine aggressive Politik. Dies habe die Bombardierung von ecuadorianischem Territorium im vergangenen Jahr bewiesen. Die Erklärungen der Uribe-Administration, man habe nie eine "feindliche Geste" gegenüber den Nachbarländern gezeigt, bezeichnete Venezuela daher als "unmoralische Lüge".

** Aus: Internet-Portal Amerika21.de, 10. November 2009; www.amerika21.de


Südamerika hat reichlich Grund zur Sorge

Dokument der US-Armee beweist: Militärabkommen mit Kolumbien gestattet Militäroperationen gegen jedwedes Ziel in der Region

Von Garry Leech ***


Bogotá, Washington. Mehrere Staatschefs in Südamerika haben öffentlich ihre Besorgnis über das kürzlich unterschiebene Abkommen zwischen den USA und Kolumbien ausgedrückt. Das Dokument stelle eine Bedrohung für die linksgerichteten Länder Südamerikas dar, erklärten diverse Staatschefs, insbesondere der venezolanische Präsident Hugo Chávez, aber auch Brasiliens Luiz Inácio "Lula" da Silva oder Evo Morales aus Bolivien. Es verschafft den USA einen langfristigen Zugang zu sieben Militärbasen auf dem Territorium seines engsten Verbündeten in Lateinamerika.

Der kürzlich veröffentlichte Text des Militärabkommens und ein damit zusammenhängendes Dokument des Pentagon beweisen, dass die Befürchtungen von Chávez und anderer südamerikanischer Staatschefs keinesfalls Paranoia sind. In dem Haushaltsvorschlag des Pentagons für den Militäretat im Haushaltsjahr 2010, das dem Kongress im Mai 2009 vorgelegt wurde, beantragte die US-Luftwaffe 46 Millionen US-Dollar zur Finanzierung der Nachrüstung der Palanquero Luftwaffenbasis - die größte überlassene Basis innerhalb des Abkommens. Wie das Dokument verdeutlicht, gehen die Absichten des US-Militärs zur Nutzung der kolumbianischen Basen weit über die Grenzen Kolumbiens hinaus, bis hin zu denjenigen Ländern Südamerikas, die als Bedrohung der US-Interessen gelten.

Laut der US-Luftwaffe bietet die Luftwaffenbasis Palanquero "eine einmalige Gelegenheit, umfassende Operationen in einer kritischen Teilregion unserer Hemisphäre durchzuführen, in der Sicherheit und Stabilität ständig durch Rauschgift-finanzierte Aufstände, Anti-US-Regierungen, vorherrschende Armut und wiederkehrende Naturkatastrophen bedroht sind." Der Ausdruck "umfassende Operationen" (full spectrum operations) bedeutet laut dem Dokument, dass der kolumbianische Stützpunkt nicht nur als Ausgangsbasis für Drogen- und Terrorbekämpfungsoperationen, sondern für jedwede Form militärischer Operationen in ganz Südamerika genutzt werden kann.

Folglich beschränkt das Militärabkommen die Aktivitäten des US-Militärs weder auf das Territorium Kolumbiens, noch auf Drogen- und Terror-Bekämpfungsoperationen. Mit anderen Worten: das US-Militär kann die kolumbianischen Stützpunkte dafür nutzen, jedwede Art von Militäroperation gegen jedes Ziel in Südamerika zu starten. In seiner Kongressvorlage machte die US-Luftwaffe die Bedeutung Kolumbiens größter Luftwaffenbasis deutlich. Mit dieser könnten die Ziele des US-Militärs überall in Südamerika erreicht werden, einschließlich "die Bedrohung durch Anti-US-Regierungen" zu bewältigen.

Offensichtlich haben die Länder Südamerikas, insbesondere Venezuela und Bolivien, reichlich Grund zur Sorge.

(Übersetzung: Regina, Bearbeitung: Maxim Graubner)

*** Aus: Internet-Portal Amerika21.de, 10. November 2009; www.amerika21.de


Venezuelas Etat für Verteidigung und Staatsapparat explodiert zu Lasten des Sozialbereichs

Venezuela hat für das nächste Jahr eine Erhöhung seiner Haushaltsausgaben für Verteidigung und Staatsapparat um 638 Prozent bei gleichzeitiger Beschneidung des Sozialbereichs, des Gesundheitsschutzes und des Bildungswesens geplant.

Das geht aus dem Entwurf des Staatshaushalts des Landes für 2010 hervor, der in der Nationalversammlung zur Bestätigung eingegangen ist.

Im vorigen Jahr haben die Verteidigungsausgaben 1,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausgemacht.

Der Gesamthaushalt für das kommende Jahr ist mit 74 Milliarden US-Dollar geplant. Dabei wurde ein Erdölpreis von 40 US-Dollar pro Barrel zu Grunde gelegt und nicht wie ursprünglich geplant von 60 Dollar.

Alle über der 40-Dollar-Marke liegenden Einnahmen sollen an einen Sonderfonds abgeführt werden, über den Venezuelas Präsident Hugo Chavez persönlich verfügen wird.

Der Ex-Direktor der Nationalbank von Venezuela Jose Guerra äußerte dazu die Vermutung, dass die Mittel des Sonderfonds für die Wahlkampagne, den Unterhalt des bestechlichen Verwaltungsapparats, der bewaffneten Strukturen und die Unterstützung der mit Chavez befreundeten Länder ausgegeben werden würden.

Die Einnahmen aus dem Erdölverkauf bilden 90 Prozent der venezolanischen Exporteinnahmen und etwa die Hälfte des Staatshaushaltes.

Das Land hat große Wirtschaftsprobleme. So lag die Inflationsrate im vorigen Jahr bei 31 Prozent, in diesem Jahr wird mit etwa 30 Prozent gerechnet und für 2010 werden bereits 35 Prozent prognostiziert.

Der Rückgang des BIP wird 2009 voraussichtlich bei 2,5 Prozent liegen und im nächsten Jahr laut Planung bei 0,5 Prozent.

Laut dem venezolanischen Wirtschaftsexperten Gustavo Rojas ist die Verschlechterung der Wirtschaftslage in Venezuela auf das von Chavez gewählte politisch-ökonomische Modell der Entwicklung des Landes zurückzuführen.

"Der von Chavez erklärte Kurs auf den Aufbau des ,Sozialismus des 21. Jahrhunderts' stellt eine sonderbare Symbiose der marxistischen Ideologie des vorigen Jahrhunderts und einer autoritären Leitung des Landes bei voller staatlicher Kontrolle über die Wirtschaft und das Privateigentum dar", betonte der Wissenschaftler.

In seinen elf Jahren an der Macht verstaatlichte Hugo Chevez die Erdölbranche, enteignete die Großgrundbesitzer und ausländische Unternehmen.

Diese Reformen führten zu einem Rückgang der Produktion in Industrie und Landwirtschaft und damit verbunden zu höheren Importen, in erster Linie von Lebensmitteln.

Gegenwärtig hat der Industriesektor einen Anteil von 27 Prozent am BIP und der Landwirtschaftsbereich von lediglich drei Prozent.

Ein Absinken der Erdölpreise unter 40 US-Dollar je Barrel im nächsten Jahr würde laut Experten verheerende soziale Folgen für das Land haben.

Der venezolanische Präsident hat von 2004 bis 2008 eine Politik betrieben, die aktiv auf die Subventionierung der Preise für die Hauptlebensmittel und auf die unentgeltliche Verpflegung in Sozialkantinen für die armen Bevölkerungsschichten ausgerichtet war, die Hugo Chavez bei seinen Reformen vorbehaltlos unterstützen.

Aber im Zusammenhang mit dem Rückgang der Erdölpreise und mit der Verringerung des Zustromes der "Erdöldollar" ist die Regierung gezwungen, die Sozialprogramme zu kürzen und unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen.

**** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 28. Oktober 2009; http://de.rian.ru


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