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Klerus im Clinch mit Chávez

Politische Aussagen des Erzbischofs von Caracas heizen Konflikt zwischen Regierung und Kirche in Venezuela an

Von James Suggett, Mérida *

Caracas. Ein Schlagabtausch zwischen dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und der oppositionsnahen Venezolanischen Bischofskonferenz (CEV) hat in dem überwiegend katholischen Land eine erhitzte öffentliche Debatte über die Trennung von Staat und Kirche ausgelöst.

Vergangene Woche sprach Kardinal Jorge Urosa Savino, bekannt als heftiger Kritiker von Chávez' Politik, in einem Rundfunksender in Rom und beschuldigte Präsident Hugo Chávez, das Land in eine "marxistisch-kommunistische Diktatur" nach dem "ausländischem Beispiel" der ehemaligen Sowjetunion zu führen. Urosa behauptete, die von Abgeordneten aus Chávez' Partei PSUV dominierte Nationalversammlung habe die Verfassung verletzt, da sie Gesetze aus der Verfassungsreform verabschiedet habe, die 2007 in einem Referendum abgelehnt wurde. Der Erzbischof von Caracas behauptete außerdem, Chávez habe eine "gewalttätige, ausschließlich totalitäre Tendenz" und nutze "seine Macht aus, um die Venezolaner, die nicht mit seinem politischen System einverstanden sind, zu diskreditieren, zu beschuldigen, anzugreifen und zu beleidigen."

Am vergangenen Sonntag (11. Juli) antwortete Chávez in seiner wöchentlichen Kolumne und beschuldigte Urosa und die CEV, durch ihr ständiges Eingreifen ins politische Geschehen die Rolle der Kirche zu überschreiten. "Es widerspricht unserer Verfassung, wenn Urosa und die CEV es nicht schaffen, den säkularen Charakter unseres Staates anzuerkennen und zusammen versuchen, sich als Staatsmacht darzustellen", schrieb Chávez.

Der Präsident beschuldigte Urosa auch der Unterstützung an dem Miltärputsch im April 2002, der ihn vorübergehend seines Amtes enthoben hatte. Zum Beweis führte Chávez einen Zeitungsartikel vom 12. April 2002 an. Darin erklärte der Kardinal seine Unterstützung für den Putsch und seine Anerkennung für die oppositionsnahen Medien, die - wie man später herausfand - die Nachrichten vorsätzlich beeinflussten, um den Putsch zu rechtfertigen.

Chávez ist bekennender Christ, Jesus bezeichnet er als einen Revolutionär. Die sozialen und politischen Reformen, die seine Regierung angestoßen hat, beruhen seiner Ansicht nach auf einer Mischung aus Christentum, Marxismus und den Ideen venezolanischer Unabhängigkeitskämpfer.

"Wir schreiten voran zur umfassenden Demokratisierung, die wir den Bolivarianischen Sozialismus nennen und deren ursprüngliches Ziel darin besteht, dem Volk die Macht zu geben, so dass es sein eigenes Schicksal in die Hand nehmen kann. Der Marxismus ist für uns ein Werkzeug, das uns hilft, die Menschheit, die Gesellschaft, und die Geschichte zu verstehen, und nicht ein Dogma oder eine Vorschrift", schrieb Chávez.

Der Schlagabtausch zwischen Chávez und Urosa setzte eine Reihe von Erklärungen von Vertretern der Regierung, der Opposition, und der katholischen Kirche in Gang, die sich entweder für die eine oder die andere Seite des Konflikts aussprachen. Die offizielle Stellungnahme der CEV am Montag war gefüllt mit politischen Forderungen und Angriffen auf Chávez und die Nationalversammlung.

Der venezolanische Minister für Kultur, Farruco Sesto, sagte, die Mitglieder der CEV seien Teil einer "Kirchenhierarchie, die von niemandem gewählt wurde" und würden daher nicht die Werte der Demokratie, des Christentums oder seiner Anhänger vertreten. "Während das Christentum Liebe, Frieden und das Verständnis unter den Völkern predigt, stellt Urosa sich an die Seite der Reichen und Mächtigen dieser Erde.", so Sesto in einer Pressekonferenz am Sonntag. "In vielen unserer Länder war die obere Ebene der Kirchenhierarchie an Staatsstreichen und blutigen Diktaturen beteiligt, sie segnen die Mörder und die Folterer", fuhr er fort.

In einer Stellungnahme des obersten Gerichtshofs hieß es, die Mitglieder der CEV seien zwar frei in der Ausübung ihrer Religion, müssten aber die Glaubenssache von ungerechtfertigter Einmischung in politische Angelegenheiten trennen.

Verteidigend sagte der CEV-Vertreter Jesus Gonzales: "es gibt nur eine, vereinigte Kirche" und beschuldigte Präsident Chávez alles, was nicht mit seiner Denkweise übereinstimme als einen persönlichen Angriff zu werten.

Julio Borges, nationaler Koordinator der rechtspopulistischen Oppositionspartei Primero Justicia, stelle sich hinter Urosa's Beschuldigungen. Er sagte, Chávez versuche "die Bevölkerung zu betrügen" in dem er sich "in einem Schaafsfell" verberge, um das wirtschaftliche und politische Modell Kubas in Venezuela einzuführen.

(Übersetzung: Regina Ellwanger)

* Aus: Internetportal Amerika 21, 15. Juli 2010; http://amerika21.de

Katholische Kirche Venezuelas gespalten

Reformkirche bricht mit regierungsfeindlicher Tradition des Klerus'. Neue Gruppierung will "Arbeit zum Wohl der Armen" unterstützen

Von Harald Neuber **


Caracas. Die Vertreter des Vatikans in Venezuela sehen sich einer neuen Herausforderung gegenüber: In Anbetracht der regierungsfeindlichen Linie des katholischen Klerus hat sich eine so genannte Katholische Reformkirche gebildet. Sie den armen Menschen Hilfe leisten und orientiert sich ersten Erklärungen zufolge an den Lehren des antikolonialen Befreiungskämpfers und venezolanischen Nationalhelden Simón Bolívar. Die neue Gruppierung hat nach eigenen Angaben mehrere Tausend Mitglieder, vor allem im Westen des südamerikanischen Landes. Vertreter des katholischen Klerus werfen der Reformkirche vor, von der Regierung bezahlt zu werden.

Die Aufregung um die neue Gruppierung ist in katholischen Kirchenkreisen groß. Die deutschsprachige vatikantreue Katholische Nachrichtenagentur (KNA) zitierte am 28. Juni den venezolanischen Erzbischof Roberto Lückert. Dieser habe dem Präsidenten Hugo Chávez in einem Radiointerview vorgeworfen, die Gründung der Reformkirche finanziert zu haben, "weil es ihm nicht gelungen sei, die katholische Kirche in Venezuela auf Regierungskurs zu bringen".

Lückert spielte damit auf dem politischen Konflikt zwischen den Kirchenoberen und der linksgerichteten Regierung Venezuelas an. Die katholische Kirche wendet sich seit Jahren vehement gegen den Reformkurs der Staatsführung. Die Opposition gipfelte im April 2002 in der Unterstützung eines Putschversuches durch mehrere hochrangige Funktionäre der katholischen Kirche. Bei dem letztlich misslungenen Staatsstreich wurden mehrere Menschen getötet.

Noch im vergangenen Jahr hatte sich der Präsident der venezolanischen Bischofskonferenz, Ubaldo Santana, die Regierung in allen wichtigen Politifeldern offen kritisiert. Santana wandte sich gegen den Sozialismus des 21. Jahrhunderts, gegen die damals debattierte Verfassungsreform, gegen "Korruption und Unsicherheit" sowie gegen die Nichtverlängerung der Sendelizenz für den Privatsender RCTV. Er teilte damit alle Positionen mit der politischen Opposition.

Die Reformkirche will nun mit dieser regierungsfeindlichen Tradition des katholischen Klerus' brechen. Der in der vergangenen Woche gewählte erste Bischof der neuen Kirche, Enrique Albornoz, wies die Anschuldigungen der vatikantreuen Funktionäre zurück. "Wir unterstützen die Arbeit der Regierung zum Wohl der armen Menschen", sagte der Geistliche. Trotzdem folge seine Kirche "keiner bestimmten politischen Linie". Die Katholische Reformkirche sei bereit, sich mit Vertretern der Opposition und mit Politikern der Regierung zu treffen.

Die italienische Nachrichtenagentur ANSA sieht hinter der Neugründung den anglikanischen Primas von Lateinamerika, Leonardo Marin Saavedra und Albornoz. Andere Beobachter rücken die Kirche in die Nähe der katholischen Befreiungstheologie.

** Aus: Internetportal Amerika 21, 11. Juli 2008; http://amerika21.de




Putschisten gegen Robin Hood

In Venezuela muß sich Kardinal Urosa für Angriffe auf Hugo Chávez verantworten

Von André Scheer ***


Der Erzbischof von Caracas, Jorge Urosa, muß am heutigen Dienstag vor dem venezolanischen Parlament seine Angriffe auf die Legislative und Staatschef Hugo Chávez rechtfertigen. Parlamentspräsidentin Cilia Flores bestellte den Geistlichen ein, nachdem dieser Ende Juni in der Tageszeitung El Universal den Regierenden seines Landes vorgeworfen hatte, durch das Durchsetzen einer »marxistisch-kommunistischen Linie« in allen Aspekten des Lebens »das Gemeinwohl, die Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden« aufs Spiel zu setzen. Diese Linie führe »in den Ruin, zur Zerstörung der Wirtschaft, zu noch größerer Armut«. »Das Problem ist groß, denn wir sind auf dem Weg in ein neues Kuba«, behauptete der Kardinal. Zugleich räumte er ein, daß eine Reihe von Priestern in Venezuela den Kurs von Hugo Chávez unterstützen, »weil sie im Präsidenten einen Robin Hood sehen, der den Reichen nimmt, um den Armen zu geben«. Es dürfe aber nicht darum gehen, den einen zu nehmen, um den anderen zu geben, »sondern um eine in Freiheit entfaltete Wirtschaft« im Interesse des Wachstums. »Ich glaube, das gesellschaftliche Verantwortungsbewußtsein der Unternehmer ist stark gewachsen«, so Urosa.

Der angegriffene Staatschef begrüßte die Reaktion des Parlaments. In seiner wöchentlichen Fernsehsendung »Aló, Presidente« warnte Chávez am Sonntag Urosa: »Mit Chávez und dem Volk hast du dich übernommen, Kardinal«. Wenn er tatsächlich die Verfassung verletze, wie es die Bischöfe behaupteten, dann müßten diese es beweisen, »denn sie beschuldigen mich eines Verbrechens«. Hinter den Angriffen Urosas auf Regierung und Parlament stünden die Putschisten, die zum Diskurs des Jahres 2002 zurückkehrten, um einen erneuten Staatsstreich zu rechtfertigen. Tatsächlich hatte Urosa, der damals noch Erzbischof von Valencia war, am 12. April 2002 den am Tag zuvor erfolgten Sturz des rechtmäßig gewählten Präsidenten begrüßt. Chávez sei »ein Albtraum« gewesen und müsse bestraft werden, sagte er damals der Tageszeitung Notitarde. Bis heute haben die Kirchenleute sich für die damalige Unterstützung der Putschisten nicht entschuldigt. Statt dessen wurde Urosa im September 2005 von Papst Benedikt XVI. zum Erzbischof von Caracas und ein Jahr später zum Kardinal ernannt.

*** Aus: junge Welt, 20. Juli 2010


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